Ich befinde mich am Lungi Air­port in Free­town, Sierra Leone. Ich warte auf mei­nen Rück­flug nach Brüs­sel, sitze in einer afri­ka­ni­schen VIP Lounge und schaue aus dem Fens­ter auf das Trei­ben auf dem Flug­feld. Eine Maschine der Kenya Air­ways kommt an, kurz danach die der Air Brussels, die mich zu-rück nach Europa brin­gen wird. Ein Feu­er­wehr­wa­gen steht bereit, rot, mit Lei­ter und Schlauch. Er ist eine Spende des Hono­rar­kon­suls für Sierra Leone in Baden Würt­tem­berg, das weiß ich aus Erzäh­lun­gen. Ohne sie würde der Flug­ver­kehr in Sierra Leone zum Erlie­gen kom­men: grö­ßere Maschi­nen dürf­ten Free­town dann nicht anflie­gen. Eine Feu­er­wehr ist auf Flug­hä­fen Pflicht, und Sierra Leone könnte sie sich defi­ni­tiv nicht leisten.

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Die ankom­men­den Pas­sa­giere lau­fen über das Roll­feld. Es sind Afri­ka­ner und Euro­päer, bunt gemischt. Erstaun­lich viele Men­schen, die in die­ses Land rei­sen. Ich frage mich, was sie in Sierra Leone zu tun haben, die­sem Land, das erst seit Kur­zem offi­zi­ell Ebo­lafrei ist. In dem man diese Krank­heit über­all zu spü­ren bekommt: die Angst vor einem Virus, der einen die ganze Zeit verfolgt.

Die gerade ange­kom­me­nen Rei­sen­den wer­den von zwei Per­so­nen emp­fan­gen: einer Frau, die allen erst ein­mal Sani­ti­zer (so nennt man hier Des­in­fek­ti­ons­mit­tel) auf die Hände sprüht und einem Her­ren in wei­ßem Kit­tel mit Fie­ber­ther­mo­me­ter in der Hand. Will­kom­men in Free­town, das Land des Sani­ti­zers und des Fie­ber­mes­sens. Bis zu neun­zig Tage nach der letz­ten doku­men­tier­ten Ebola-Erkran­kung müs­sen diese Kon­trol­len nach Vor­schrift der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­tion WHO auf­recht­erhal­ten wer­den. Bei mei­ner Ankunft war zählte Sierra Leone erst den fünf­zigs­ten Tag.

Vor mei­ner Abreise war Ebola als Gefahr sehr prä­sent, ich habe mich beim Tro­pen­in­sti­tut rück­ver­si­chert, ob mein Vor­ha­ben ohne Risiko ist. Aber unser Umgang mit dem Virus hier, zuhause in Deutsch­land, kommt nicht an die Wirk­lich­keit heran, die ich in den nächs­ten Tagen erfah­ren habe.

Warum reise ich nach Sierra Leone? Ein klei­ner Ver­ein in Bay­ern, der dort diverse Hilfs­pro­jekte finan­ziert, schickt mich. Mein Wunsch, diese Pro­jekte sel­ber zu sehen. Pro­jekte, die ich seit Jah­ren nur aus Erzäh­lun­gen kenne. Und meine eigene Sehn­sucht nach Afrika, wo ich einen Groß­teil mei­ner Kind­heit ver­bracht habe.

Das Leben kehrt zurück

Wir kom­men also am Mitt­woch­abend an, nach­dem ich den Tag hin­durch geflo­gen bin. Afrika emp­fängt mich schwül, warm mit sei­nem unend­lich tro­pi­schen Grün. Der Geruch bekannt: Feu­er­holz, Feuch­tig­keit, der Geruch Afri­kas. Lungi Air­port, ein klei­ner Flug­ha­fen auf einer Halb­in­sel vor Free­town. Nur ein paar Maschi­nen lan­den hier täg­lich und gleich am Ein­gang Ebola: des­in­fi­zie­ren, Fie­ber-mes­sen, Gesund­heits­for­mu­lare ausfüllen.

Die Über­fahrt nach Free­town erfolgt mit einer Fähre. Die afri­ka­ni­sche Nacht ist dun­kel, das Meer riecht sal­zig und gut. Auf der sehr moder­nen Fähre erste Gesprä­che: das „Warum gerade Sierra Leo-ne?“ wird mit­ein­an­der erör­tert. Mis­sio­nare, die ihre Pro­jekte besu­chen, Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen und Men­schen, die die Gele­gen­heit nut­zen end­lich ihre Ver­wand­ten wie­der zu sehen. Das Leben kehrt zurück.

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Joseph holt uns an der Fähre ab. Joseph, ein wun­der­ba­rer, klu­ger jun­ger Sierra Leoni, dem der Ver­ein ein Magis­ter­stu­dium in Greifs­wald ermög­licht hat und der nun, ent­ge­gen der Völ­ker­wan­de­rung, in sein Land zurück­ge­kehrt ist, um beim Auf­bau dabei zu sein. Joseph wird mich die vier Tage beglei­ten. Er hat ein Auto gemie­tet und Ter­mine koordiniert.

Die Fahrt ins Hotel und gleich der erste Schock: Ein­lass auch hier nur nach Des­in­fek­tion und Fie­ber-mes­sen. Ich merke bald, dies ist hier Stan­dard. Spä­ter ler­nen wir auch die Stra­ßen­sper­ren ken­nen, wo Poli­zis­ten bei Auto­in­sas­sen Fie­ber mes­sen. Bei einer Kör­per­tem­pe­ra­tur über 38 Grad wird man in ein Sam­mel­la­ger gebracht und auf Ebola getes­tet. Plötz­lich erfasst mich Panik: wenn ich eine Erkäl­tung bekomme oder gar Mala­ria, wie komme ich dann wie­der aus die­sem Land her­aus? Gesund­heit wird paramount.

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Und trotz alle­dem: an die­sem Abend begin­nen die Begeg­nun­gen mit wun­der­ba­ren, muti­gen Men­schen in die­sem land­schaft­lich so schö­nen aber gebeu­tel­ten Land. Ich ver­liebe mich in Sierra Leone, in die Men­schen und alle, die hier leben und Hilfe leisten.

Freetown

Free­town liegt an der Nord­west­spitze der Free­town Pen­in­sula, einer Halb­in­sel, die in den Atlan­ti­schen Ozean reicht. Die Land­schaft ist gekenn­zeich­net von mit tro­pi­schem Regen­wald bedeck­ten Hügeln, die bis an die fei­nen Sand­strände (die als die schöns­ten Afri­kas gel­ten) rei­chen. Wun­der-schön! Die Erde ist rot, üppige grüne Vege­ta­tion und dann das Meer. Die Stadt ist dicht bevöl­kert und arm. Über­all Müll unter den grü­nen Hügeln, die sanft heraufsteigen.

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Die Men­schen in Free­town üben sich wie­der am nor­ma­len Leben. Seit einer Woche dür­fen Stände am Stra­ßen­rand wie­der ver­kau­fen, läuft der Taxi- und Bus­ver­kehr wie­der. Der öffent­li­che Trans­port war ver­bo­ten wor­den. Zu eng der Raum. Zu ris­kant die Berüh­rung des unbe­kann­ten Nach­barn. Ein Wun­der, dass diese Men­schen, die von der Hand in den Mund leben, die­sen ver­ord­ne­ten wirt­schaft­li­chen Kol­laps über­lebt haben. Bewun­derns­wert auch die jet­zige Fröh­lich­keit, die Laut­stärke des Pala­verns. Der Ver­kehr ist teil­weise uner­träg­lich. Häu­fig sehen wir Fuß­ball­spiele auf pro­vi­so­ri­schen Plät­zen mit vie­len Zuschau­ern. Auch das ist seit einer Woche wie­der erlaubt. Man kann sich die Ent­beh­run­gen, die diese Men­schen so lange erlit­ten haben, kaum vor­stel­len. Hän­de­schüt­teln ist auch erst seit kur­zem wie­der mög­lich. Wie lebt man ohne mensch­li­che Berüh­rung und wie oft streift man ein­an­der aus Ver­se­hen am Arm, an der Schulter?

Mein neues Hobby ist es, Ebola-Stra­ßen­schil­der zu foto­gra­fie­ren. Auch diese sind Zei­chen des Grau­ens, unter dem die­ses Land nun mehr als andert­halb Jah­ren lebt.

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Zwei Ver­tre­ter der Welt­hun­ger­hilfe erzähl­ten am Abend unse­rer Ankunft im Hotel-Restau­rant, wie sie das Ange­bot ihrer Orga­ni­sa­tion, eva­ku­iert zu wer­den, nicht ange­nom­men haben und am Höhe­punkt der Ebola-Krise das Land nicht ver­las­sen haben. Sie haben die Infra­struk­tur ihres Unter­neh-mens genutzt, um den Men­schen, die in Qua­ran­täne fest­sa­ßen, Lebens­mit­tel, Feu­er­holz und sogar Fern­se­her zu brin­gen. Sie sag­ten, sie emp­fan­den das Risiko gering. Krank würde man nur, wenn man Kranke und Tote berühre. Ebola sei keine Infek­tion, die sich über Tröpf­chen ver­brei­tet. Es gebe zu viel Panikmache.

Die Kinder Sierra Leones

Ich treffe Jugend­hel­fer, ob nun einer gro­ßen Mis­sion zuge­hö­rig oder Sierra Leo­nis, die die Armut und das Leid in den Fami­lien ken­nen und ver­su­chen, diese zu lin­dern. Sie erzäh­len mir von Kin­dern, die ihre Fami­lien ver­las­sen, um auf der Straße zu leben, weil zuhause der Stress durch Armut und Krank­heit zu groß ist. Sie erzäh­len von Pro­sti­tu­tion, Dro­gen. Von Ebola-Wai­sen, die stig­ma­ti­siert sind, wie alle Überlebenden.

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Wir besu­chen eine Schule, wo wir fünf­zig Ebola-Wai­sen mit zwei Mahl­zei­ten am Tag unter­stüt­zen, damit sie ihren neuen Vor­mün­dern nicht zu sehr zur Last fal­len. Auch diese Kin­der ler­nen wir ken­nen und die Dank­bar­keit auch der Vor­mün­der ist fast zu viel. Die Kin­der füh­ren ein Thea­ter­stück über Ebola vor und man­che bre­chen am Ende wei­nend zusam­men. Zu groß der erlebte Ver­lust. Eine ordent­li­che Schule mit einer begna­de­ten, stren­gen Schul­lei­te­rin, die ein star­kes Inter­esse an ihren Kin­dern und deren Zukunft hat. Aber an allem fehlt es hier, beson­ders an flie­ßen­dem Was­ser. Und alle Kin­der haben Hunger.

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Dann der Besuch bei einer Schule für behin­derte Kin­der, die meis­ten gehör­los oder geis­tig krank. Eine depri­mie­rende Ver­an­stal­tung. Die Schul­lei­te­rin schwer krank. Auch hier fehlt es an allem, aber die Kin­der sind so wun­der­bar, so lebens­froh. Ich möchte zwei mit­neh­men: einen Jun­gen von 9 Jah­ren und einen um die 17. Die Lebens­freude, die Liebe, die diese Kin­der aus­strah­len, ich bin über­wäl­tigt. Aber ihre Zukunft ist unge­wiss. Wer wird sich ihrer annehmen?

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Und immer wie­der der Gedanke an benach­tei­ligte Rand­grup­pen, sei es aus gesund­heit­li­chen Grün-den oder von der Gesell­schaft stig­ma­ti­siert. Wer küm­mert sich um diese, wenn das all­täg­li­che Leben schon so schwer ist?

Wasser

Josef ist ein jun­ger Deut­scher, des­sen Vater als Ent­wick­lungs­hel­fer eine simple Methode ent­wi­ckelt hat, um ein­fa­che Brun­nen für Haus­halte zu bauen. Er ist seit einem hal­ben Jahr wie­der im Land und bringt den Men­schen bei, Was­ser­lö­cher zu boh­ren und diese dann auch zu war­ten. Unvor­stell­bar für uns, die­ses Land ohne flie­ßen­des Was­ser und ohne Abwas­ser­ka­na­li­sa­tion. Unvor­stell­bar auch, Josefs Enga­ge­ment für diese Sache, wenn man aus dem gesät­tig­ten Europa kommt! Er gibt uns einen Schnell­kurs in Toi­let­ten­bau mit Brunnenwasser.

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Und immer wie­der Was­ser: Has­tings, eine Gemeinde unge­fähr eine Stunde außer­halb Free­towns mit circa 20.000 Ein­woh­nern, nur wenige hier haben Was­ser. Ein klei­ner Stau­damm ist geplant. Mit ihm kön­nen fast 4000 Bewoh­ner mit fri­schem, sau­be­rem Was­ser ver­sorgt wer­den. Fast € 100.000 an Spen­den sind gemein­sam mit Rotary gesam­melt wor­den für die­ses Projekt.

Wir erklim­men die Hügel, die wir in Free­town sehen, um an die Stelle zu gelan­gen, wo der Damm gebaut wer­den soll. Es ist heiß und feucht. Wir stei­gen dem tro­pi­schen Hang empor, der Pfad muss teil­weise mit einer Machete geschla­gen wer­den, der Fluss ist breit, das Was­ser kühl. Immer wie­der das Bewusst­sein für die Schön­heit die­ses Lan­des. Die­ser Ein­druck wird noch über­trof­fen, als wir an einem Strand hal­ten und uns ins Meer stür­zen, um die Hitze des Hügels abzu­schwim­men. Die Kari­bik lässt grü­ßen – nur hier ist es menschenleer.

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Und dann ist schon der letzte Tag da: Sightseeing!

Der Cot­ton Tree im Zen­trum der Stadt ist das Wahr­zei­chen von Free­town. Der Baum steht min­des­tens seit 1792 an die­ser Stelle. Er war frü­her ein Wall­fahrts­ort für Gläu­bige und gilt noch heute als Zei­chen für Frie­den und Reich­tum in Sierra Leone. Auch wenn der Weg dort­hin schwie­rig wird, ich wün­sche genau dies die­sen wun­der­ba­ren Men­schen von Her­zen. Und ich hoffe bald wie­der dort zu sein – mit mehr Zeit für mehr Ein­drü­cke von die­sem lie­bens­wer­ten Land.

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Wie kann ich helfen

Der Ver­ein Für Sierra Leone e.V. wurde im Jahr 2013 von enga­gier­ten und afrika-inter­es­sier­ten Bür­gern aus Mün­chen und Sierra Leone gegrün­det. Wie kann ich helfen?

Cate­go­riesSierra Leone
Kornelia Holzhausen

Kornelia arbeitet zwar für die Medien-Industrie, hat aber noch nie eine Geschichte oder einen Reisebericht geschrieben. Aber nach vier Tagen in Sierra Leone und dem Verlieben in dieses wunderbare, gebeutelte Land, musste es einfach sein!

  1. Caroline says:

    Eine anre­gende Schil­le­rung, vol­ler Wahr­haf­tig­keit sowie Liebe für ein Land und des­sen Leute, deren Blüte bevor steht. Vie­len Dank für die­sen tol­len Ein­blick, liebe Kor­ne­lia! Ich freue mich bereits auf die Fortsetzung…

  2. Ines says:

    Ganz ehr­lich – ich kann es nicht ver­ste­hen – und nicht nach­voll­zie­hen, wie man sich frei­wil­lig in ein der­art patho­lo­gi­sches Gewalt-Umfeld begibt! Ist es völ­lige Abge­stumpft­heit? Igno­ranz? Das Gefühl west­li­cher Über­le­gen­heit? Dumm­heit? Or what? Und ich spre­che nicht von Ebola – wobei es womög­lich auch eine Art ist, sei­ner Todes­sehn­sucht Gewicht zu ver­lei­hen, in ein Ebo­la­Ge­biet zu rei­sen. Nein – ich spre­che von einer unsäg­lich sadis­ti­schen Gesell­schaft, in der kleine Mäd­chen und Frauen sys­te­ma­tisch aufs bes­tia­lischste gefol­tert wer­den. 90% aller Mäd­chen, denen die Geni­ta­lien her­aus­ge­ris­sen wer­den. Und dann läuft man da rum und tut so, als wäre das ein „nor­ma­les Land“? Irgend­wie irre

    1. Kasia Oberdorf says:

      Was ist die Alter­na­tive? Augen zu? Blei­ben, wo man ist? Wei­ter­hin nach Fei­er­abend Frau­en­tausch gucken bei einem net­ten Wein­chen? Geht mich nix an? Nach mir die Sint­flut? Or what?

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