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Weil Manali das Tor in den hohen Norden Indiens ist

Manali gehört seit Lan­gem zu den belieb­tes­ten Rei­se­zie­len im Vorhi­ma­laya. Die Klein­stadt mit etwa 8.000 Ein­woh­nern liegt am nörd­li­chen Ende des Kullu-Tals in einem Tal­kes­sel am Fuße des mäch­ti­gen Roh­tang-Pas­ses. Das Tal ist geprägt von den bewal­de­ten Gebirgs­zü­gen der Dhau­lad­har- und Pir-Pan­jal-Ket­ten und liegt etwa 500 Kilo­me­ter nörd­lich der Haupt­stadt Delhi. Mit dem Nacht­bus ist die Stre­cke gut zu meistern.

Der Kon­trast von der hek­tisch-chao­ti­schen Haupt­stadt am Abend und den ers­ten Bli­cken auf die Berge am Mor­gen ist zwar eine große, aber ange­nehme Umstel­lung. Auf dem Rück­weg nach Delhi steht einem ein klei­ner Kul­tur­schock bevor.
Bereits die bri­ti­schen Offi­ziere schätz­ten das Kullu-Tal und grün­de­ten an der Stelle des moder­nen Manali die »Hill sta­tion« Duff Dun­bar. Einige von ihnen sie­del­ten sich hier an. Die Berge boten will­kom­mene Abküh­lung vor der tücki­schen Hitze der Tiefebenen.

Manali gehört auch zu den Orten, die die Hip­pies in den 60er-/70er-Jah­ren für sich ent­deck­ten, und viele von ihnen kom­men noch immer regel­mä­ßig hierher.

Vor allem war es aber der Ein­bruch des Tou­ris­mus in Kasch­mir seit den Jah­ren 1989/90, der Manali zu einer leicht erreich­ba­ren und siche­ren Alter­na­tive machte. Bis heute zieht die Stadt (Alt-)Hippies, Back­pa­cker, Freaks, Eso­te­ri­ker und Wan­de­rer an. Der Cha­rak­ter Mana­lis hat sich in die­ser Zeit mas­siv ver­än­dert. Die in den 80er-Jah­ren noch gro­ßen Wald­be­stände wur­den erheb­lich aus­ge­dünnt, und aus einem abge­le­ge­nen Dorf am Rande des Hima­laya wurde ein Ort, in den die Moderne ein­ge­zo­gen ist.
Die Ent­wick­lung Mana­lis liegt nicht zuletzt daran, dass in der Region um Manali ein Groß­teil des indi­schen Mari­hua­nas ange­baut wird und ent­spre­chend leicht zu beschaf­fen ist.

Wild wach­sen­der Hanf am Wegesrand

Aller­dings weiß das natür­lich auch die Poli­zei, und man sollte sich nicht für zu schlau hal­ten. Einer­seits wird gegen den Anbau vor­ge­gan­gen, ande­rer­seits wird er auch häu­fig tole­riert, ent­we­der weil man­che Fami­lien diese Tra­di­tion seit Gene­ra­tio­nen wei­ter­füh­ren oder weil Bak­schisch (Schmier­geld) das Pro­blem regelt. Trotz­dem sei ein­dring­lich vor Raz­zien und zu gro­ßer Sorg­lo­sig­keit gewarnt.
Apfel­plan­ta­gen bie­ten eine legale Ein­kom­mens­quelle für die Bau­ern, und die Äpfel aus dem Kullu-Tal sind in ganz Indien bekannt und begehrt. Doch die Haupt­rolle spielt längst der Tou­ris­mus. Das sorgt immer wie­der für Span­nun­gen mit der ein­hei­mi­schen Bevöl­ke­rung, die häu­fig sehr viel Wert auf die Tra­di­tion legt und ver­ständ­li­cher­weise Pro­bleme hat mit dem exo­ti­schen Auf­tre­ten von Freaks in Sack­ho­sen und knall­bun­ten Hem­den, die laute, hoch getak­tete elek­tro­ni­sche Musik bevor­zu­gen. Viele ver­ges­sen im Dro­gen­rausch, wo sie sich eigent­lich befin­den, und las­sen auf erschre­ckende Weise Respekt vor den Ein­hei­mi­schen ver­mis­sen. Vor allem die fahr­läs­sige Ent­wei­hung von ritu­el­len Orten hat schon häu­fig zu Gewalt geführt.

Ein ver­steckt lie­gen­der Shiva-Tem­pel hoch über Manali wurde zu mei­nem Lieblingsort

Dar­über hin­aus ist Manali ein guter Aus­gangs­punkt für Wan­de­run­gen in der nähe­ren Umge­bung und für Expe­di­tio­nen nach Lad­akh, Zans­kar, Spiti oder dem nahe gele­ge­nen Parvati-Tal.

Impres­sio­nen aus der nähe­ren Umge­bung von Manali

Auch Aben­teu­er­sport hat sich in der Region eta­bliert. Raf­ting, Fels­klet­tern und Para­gli­ding wer­den im Som­mer ange­bo­ten, im Win­ter lockt ein klei­nes Ski­ge­biet unweit nördlich.
Die Sai­son in Manali dau­ert von April bis Okto­ber, beson­ders in den Som­mer­mo­na­ten wird der kleine Ort fast uner­träg­lich voll. Im Juli und August bringt der Mon­sun den meis­ten Regen. In der Neben­sai­son ist es deut­lich ange­neh­mer und ruhi­ger, zumal es weni­ger reg­net und bei Son­nen­schein auch im April und Okto­ber tags­über rela­tiv mild ist.
Auch indi­sche Tou­ris­ten wer­den von Manali ange­zo­gen. Die einen wol­len den ers­ten Schnee in ihrem Leben auf dem Roh­tang-Pass sehen, die andern kom­men, um hier ihre Hoch­zeits­reise zu verbringen.

Das neue Manali ist abge­se­hen von eini­gen Tem­peln recht schmuck­los und wenig ein­la­dend. Vor allem indi­sche Tou­ris­ten stei­gen hier ab. Die Back­pa­cker zieht es eher in den deut­lich älte­ren Orts­teil Mana­li­garh (oder Old Manali). Nach dem Über­que­ren der Brü­cke über den Manaslu führt eine steile, schmale Straße hinauf.
Dort oben haben sich trotz des enor­men Tou­ris­mus die Reste einer bäu­er­lich gepräg­ten Gesell­schaft erhal­ten. Die Holz- und Lehm­hüt­ten erin­nern an Alm­hüt­ten in den Alpen, und auch die Land­schaft weist Ähn­lich­kei­ten auf.

Frei­lau­fende Kühe sind in den Gas­sen unter­wegs, und manch­mal kann man auch bunt geschmückte Yaks erspä­hen, aus deren Milch köst­li­cher Käse her­ge­stellt wird. Auf den Holz­ve­ran­den wer­den Kräu­ter und Gewürze getrock­net. Wer ganz genau schaut, fin­det in den klei­ne­ren Gas­sen alte Häu­ser mit nied­ri­gen Decken, die mit reli­giö­sen Orna­men­ten bedeckt sind und auf die immense Bedeu­tung des Glau­bens in die­ser Region hinweisen.

Im höchs­ten Orts­teil fin­den sich die Reste der Fes­tung von Mandakot.

In Manali gibt es eine Viel­zahl von unter­schied­li­chen Unter-künf­ten, von spar­ta­ni­schen Kam­mern über Gast­häu­ser bis zu Luxus­hotels. Einige Unter­neh­men haben sich dar­auf spe­ziali-siert, zwi­schen Goa und Manali zu pen­deln, was ihnen einen ganz­jäh­ri­gen Ver­dienst am Tou­ris­mus ermög­licht. Außer­dem gibt es eine Unzahl von Cafés, klei­nen Läden, Restau­rants, Kunst­hand­wer­kern, Anti­qui­tä­ten­lä­den und Klei­der­lä­den für den ange­hen­den Hippie.
Auf den ers­ten Blick unge­wöhn­lich ist die hohe Prä­senz von Israe­lis, die tra­di­tio­nell nach Ende ihres Mili­tär­diens­tes nach Indien oder Süd­ame­rika rei­sen. Vor allem Indien bie­tet einen will­kom­me­nen Kon­trast zum fest regle­men­tier­ten All­tag als Sol-dat. Sie bewe­gen sich alle auf ähn­li­chen Rou­ten, die sie meist von Manali, Lad­akh und Kasch­mir über Raja­sthan an die Strände Goas ver­schla­gen. Einige kom­men jedoch mit der unge­wohn­ten Frei­heit nicht zurecht, kon­su­mie­ren zu viele Dro­gen, und eine Reihe von ihnen stürzt völ­lig ab. Das gilt für die Israe­lis im Beson­de­ren, aber auch für Hip­pies, die den Kon­takt zur Rea­li­tät verlieren.
Zur Hoch­sai­son dröhnt Trance-Musik aus den meis­ten Ge-schäf­ten, den vie­len Chil­lum-Ton­pfei­fen ent­strömt der Geruch von Char­ras, einem sehr poten­ten Pro­dukt, das beim Zer­rei­ben der Mari­huana-Pflan­zen ent­steht. Der Rauch ver­ne­belt die Cafés, und die belieb­ten Royal-Enfield-Motor­rä­der knat­tern ohren­be­täu­bend durch die schma­len Gassen.
Eine Alter­na­tive ist Vas­hisht jen­seits des Flus­ses Beas auf der ande­ren Seite des Kullu-Tals. Im dor­ti­gen Stein­tem­pel mit sei­nen hei­ßen Quel­len wird der mythi­sche Guru Vas­hisht ver­ehrt. Jen­seits des sehens­wer­ten Ortes fin­den sich beein­dru­ckende Was­ser­fälle. Doch auch hier wird es im Som­mer bre­chend voll.


Eben­falls auf der ande­ren Seite des Beas befin­det sich eine Sied­lung von Exil­ti­be­tern, die auch ein Klos­ter gegrün­det haben. Dort fin­den sich auch zahl­rei­che Werk­stät­ten, wo die Gefährte vor der zeh­ren­den Fahrt durch den Hima­laya über­prüft werden.
Wem das alles zu viel ist, der hat unzäh­lige Mög­lich­kei­ten, sich auf indi­vi­du­elle Pfade in die Berge zurück­zu­zie­hen und Wan­de­run­gen zu nahe gele­ge­nen Glet­scher­seen zu unternehmen.
Auch weni­ger besuchte Orte im Kullu-Tal wie die Haupt­stadt Kullu, Nag­gar oder Jagat­sukh sind gute Aus­weich­mög­lich­kei­ten, falls man nicht ohne­hin plant, wei­ter nach Nor­den vor­zu­sto­ßen. In die­sem Fall eig­nen sich Wan­de­run­gen um Manali auch zur Höhenanpassung.
In Old Manali gibt es einen Manu-Tem­pel. Manali heißt auch »Hei­mat des Manu« – hier soll seine Arche gelan­det sein. Ein wei­te­rer wich­ti­ger Tem­pel steht im »tau­send­jäh­ri­gen« Zedern­wald von Dhungri.

Hier wird Hid­imbi Devi ver­ehrt, eine der loka­len Schutz­gott­hei­ten des Kullu-Tals. Der Tem­pel mit dem Pago­den­dach stammt von 1533 und wurde auf einem Fel­sen erbaut, in dem sich noch immer der Opfer- und Ritu­al­raum befin­det, der wohl schon deut­lich älter ist.
In den Mythen des Mahab­ha­rata ist Hid­imbi die Schwes­ter des rot­haa­ri­gen Kan­ni­ba­len Hid­imba, ein mythi­scher Dämon. Diese Rak­shasa genann­ten Dämo­nen sol­len von Brah­mas Atem geschaf­fen wor­den sein, als der Gott schlief. Die dar­aus ent­stan­de­nen Krea­tu­ren waren so gewalt- und blut­dürs­tig, dass sie began­nen, Brahma selbst zu essen. Brahma schrie: »Rak­s­hama!« (»Schütze mich!«), wor­auf­hin ihm Vishnu zu Hilfe eilte und die Rak­sha­sas vom Him­mel auf die Erde verbannte.
Die krie­ge­ri­sche Sippe der Pan­dava-Brü­der erreichte den dich­ten Wald bei Manali, in dem Hid­imba und Hid­imbi leb­ten. Erschöpft und müde leg­ten sie sich zur Nacht nie­der, nur Bhima rang sich dazu durch, Wache zu hal­ten. Hid­imba roch die Neu­an­kömm­linge und schickte wie gewohnt seine Schwes­ter vor, um die Sippe in eine Falle zu locken. Doch als Hid­imbi Bhima erblickte, ver­liebte sie sich in ihn und ver­riet ihre wahre Exis­tenz und die Pläne ihres Bru­ders. In einem gro­ßen Kampf tötete Bhima Hid­imba und hei­ra­tete schließ­lich Hidimbi.
Wäh­rend des jähr­lich statt­fin­den Dasha­hara-Fests in Kullu wer­den die Schutz­gott­hei­ten wie Hid­imbi dem Gott Vishnu un-ter­stellt. Die Rajas von Kullu üben seit Mitte des 19. Jahr­hun­dert nur noch zere­mo­ni­elle Macht aus, die Nach­fah­ren bewoh­nen aber noch immer den Palast von Kullu. Tra­di­tio­nell sahen sich die Rajas des Kullu-Tals als Ver­tre­ter des Got­tes Rag­h­u­nathji, einer loka­len Vari­ante von Vish­nus Ava­tar Rama.
Eine beson­dere Auf­fäl­lig­keit sind die Müt­zen, die im Kullu-Tal und den angren­zen­den Regio­nen Spiti, Lahaul und Kinn­aur getra­gen wer­den. Die aus dem Kullu-Tal sind beson­ders far­ben­präch­tig und vol­ler Verzierungen.

Manali eig­net sich vor­züg­lich als Aus­gangs­punkt für aus­ge­dehnte Aus­flüge in die Wel­ten des Hima­laya und ist ein guter Ort, um zwi­schen­durch durchzuatmen.

 

In Manali beginnt der Manali-Leh-High­way, eine der spek­ta­ku­lärs­ten Stra­ßen, die es auf die­sem Pla­ne­ten gibt.

Dar­über habe ich eine Rei­se­de­pe­sche veröffentlicht:

Der Manali-Leh-High­way

Der indi­sche Hima­laya ist für mich nach wie vor ein Sehn­suchts­ort. In 14 Kapi­teln im Buch lege ich dar, was für mich diese Fas­zi­na­tion aus­macht. Hier einige Beispiele:

  • Weil das Kasch­mir­tal (k)ein ver­lo­re­nes Para­dies ist
  • Weil in Lad­akh tibe­ti­sche Kul­tur leben­dig ist
  • Weil Spiti Bud­dhas Berg­wüste ist
  • Weil der Pan­gong-See magisch blau leuchtet
  • Weil der Cha­dar eine extrem aben­teu­er­li­che Han­dels­route und sogar Schul­weg ist

 

Als Rei­se­de­pe­sche erschien auch die per­sön­li­che Schil­de­rung mei­ner Solo-Wan­de­rung von Lad­akh nach Zanskar

 

„111 Gründe, Indien zu lie­ben“ ist erschie­nen im Schwarz­kopf & Schwarz­kopf Ver­lag in Ber­lin und umfasst 336 Sei­ten. Pre­mium-Paper­back mit zwei far­bi­gen Bildteilen

Bereits zuvor auf den Rei­se­de­pe­schen veröffentlicht:

Cate­go­riesIndien

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