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Jageshwar Dham

Es ging ohne Unter­bre­chung in engen Kur­ven von Almora, im süd­os­ten des indi­schen Bun­des­staa­tes Utta­rak­hant, über eine schlechte Straße, mal geteert, mal unge­teert in sport­li­chem Tempo bis nach Kasar Devi den Berg hin­auf. Die Straße, war auf den geteer­ten Stel­len, mit so vie­len Schlag­lö­chern ver­se­hen, dass man den Unter­schied zur unge­teer­ten Fahr­bahn, wo es ledig­lich über Wald­bo­den und Fels ging, nur manch­mal bemerkte. Zusehr waren wir Insas­sen, zwei uns unbe­kannte Inder, Dhar­men­dra mein indi­scher Freund und ich, auf den sich gegen­über­lie­gen­den Rück­bän­ken und ein Pas­sa­gier auf dem Bei­fah­rer­sitz, damit beschäf­tigt, uns nicht zu über­ge­ben. Bei Dun­kel­heit kann man kaum einen Fix­punkt anvi­sie­ren, um sich bei Ori­en­tie­rung zu halten. 

Als wir unser Gepäck vom Fah­rer auf dem Dach des Jeeps her­un­ter­ge­reicht bekom­men, ver­ab­schie­den wir uns und machen uns auf den Weg, eine Unter­kunft für den Rest der Nacht zu fin­den. Wir sind nicht wäh­le­risch und klop­fen an der Tür des erst­bes­ten Hau­ses, mit der Auf­schrift „Rooms“ auf einem Holz­schild. Es dau­ert bis uns auf­ge­macht wird. Die Kam­mer, die wir bezie­hen dür­fen hat um diese Zeit und im Ange­sicht unse­rer stra­pa­zier­ten Gesich­ter einen stol­zen Preis. Unser Ver­hand­lungs­ver­such, einen nied­ri­ge­ren Preis für das kleine Zim­mer zu bekom­men, ver­pufft unge­hört. Wir las­sen uns dar­auf ein und gehen sofort zu Bett. 

Am ande­ren Mor­gen sehen wir uns direkt nach dem Auf­ste­hen um, eine bes­sere und kos­ten­güns­ti­gere Unter­kunft zu fin­den. Baba Arjun hat ein Zim­mer in sei­nem Gäs­te­haus für uns zu einem ange­mes­se­nen Preis. Es gibt einen Bal­kon von wo aus wir in der Ferne, die Nanda Devi Range sehen kön­nen. Majes­tä­tisch liegt die Berg­kette des west­li­chen Hima­la­jas vor uns und glänzt weiß am Hori­zont. Auf dem Dach fin­den wir eine Platt­form, wo wir Yoga machen kön­nen. Stahl­stäbe rei­chen einen guten Meter aus der Stahl­be­ton­kon­struk­tion empor, hier wurde das Haus nicht wei­ter auf­ge­stockt. Die Frei­flä­che zwi­schen den ange­fan­ge­nen Säu­len bie­tet mehr als genug Platz für unsere Yoga­mat­ten. Im Restau­rant im Erd­ge­schoss ver­brin­gen wir meh­rere Stun­den, bevor wir uns die Gegend ansehen. 

Das Dorf Kasar Devi liegt auf dem Grat eines Ber­ges in unge­fähr 1900 Metern Höhe. Es besteht aus ledig­lich zwei Stra­ßen. Eine führt etwas wei­ter unten am Hang ent­lang, direkt durchs Dorf und dar­über­lie­gend eine, die direkt auf dem Grat des Ber­ges die ver­ein­zelt ste­hen­den Häu­ser mit­ein­an­der ver­bin­det. Unsere neue Pen­sion befin­det sich unweit der Stelle, bevor sich die Straße teilt. Kasar Devi soll ein­mal bei Hip­pies sehr beliebt gewe­sen sein. Einige Men­schen aus dem Wes­ten leben hier noch immer.

Am nächs­ten Tag mie­ten wir uns einen Motor­rol­ler mit dem wir Jageshwar, einem in Indien bekann­ten Pil­ger­ort mit his­to­ri­schem Tem­pel­be­zirk besu­chen wol­len. Es geht etwa eine Stunde den Berg hin­un­ter, jetzt sehen wir die Stre­cke, auf der wir in der vor­ver­gan­ge­nen Nacht im Jeep hin­auf­ge­kom­men sind. An der Abzwei­gung in Rich­tung Jageshwar bie­gen wir ein. Hier geht es län­gere Zeit auf mehr oder weni­ger gleich­blei­ben­der Höhe ent­lang bis wir an einer schö­nen Stelle vor­bei­kom­men, wo einige Häu­ser ent­lang der Straße ste­hen und der Dan­deshwar Tem­pel im Wald liegt. Der Wald duf­tet nach dem Holz der Hima­laja Zeder. Wir sehen uns den Tem­pel an, der mit Reli­efs ver­ziert ist, eine Kan­zel und ganz oben unter dem Dach einen ringsum ange­leg­ten höl­zer­nen Bal­kon hat. Ein paar hun­dert Meter höher, soll man auf dem Berg eine wun­der­bare Aus­sicht genie­ßen kön­nen. Wir gehen zwi­schen den hohen Bäu­men den Berg hin­auf. Im Wald gibt es keine Wege. Die erste Zeit geht es noch durch grü­nen Wald­bo­den bis wir in der Höhe nur noch über braune her­ab­ge­fal­lene Nadeln wan­dern. Als wir oben ange­kom­men sind, bli­cken wir zwi­schen den Pinien in die Täler hin­un­ter und vor uns in gro­ßer Ent­fer­nung auf die mas­sive weiße Berg­kette der Nanda Devi. Wir gehen von Berg­kuppe zu Berg­kuppe, bevor wir wie­der hin­ab­ge­hen. Auf dem Rück­weg kom­men wir durch sagen­hafte Wald­ge­biete, mal fel­sig mit tie­fen Spal­ten durch die wir hin­ab­stei­gen, mal durch meter­ho­hen farn­be­deck­ten Boden, wo wir uns wie in prä­his­to­ri­scher Zeit füh­len. End­lich wird der Abstieg leich­ter und wir sehen den Tem­pel vor uns im Tal. Als wir unten ankom­men, liegt der ganze Wald­bo­den voll auf­ge­schäum­ter Plas­tik­ver­pa­ckun­gen und Papp­be­cher. Der Müll muss von wil­den Tie­ren im Wald ver­streut wor­den sein. Er liegt über eine Flä­che ver­teilt, die jeder Pick­nick­kul­tur wider­spricht. Nach die­ser Berg­wan­de­rung durch unbe­rührte Natur ste­hen wir fas­sungs­los in der Müll­kippe und beschlie­ßen kur­zer­hand auf­zu­räu­men. Als wir sämt­li­che Stü­cke zusam­men­ge­tra­gen haben, tür­men wir den Müll über­ein­an­der, sodass wir ihn abtrans­por­tie­ren kön­nen. Schmut­zig machen wir uns dabei kaum, die Tiere haben die Essens­reste fast rest­los aus­ge­leckt. Wenig spä­ter erschei­nen wir vor dem Tem­pel. Hier steht ein Müll­ei­mer, den wir befül­len wol­len. Der Tem­pel­die­ner spricht etwas mit Dhar­men­dra, wor­auf er mir sagt, dass wir bis zur Straße wei­ter­ge­hen müs­sen. Ich frage Dhar­men­dra, warum, und er erzählt mir, der Tem­pel­die­ner will den Müll nicht in sei­nem Müll­ei­mer, denn der sei dann ja voll und müsse geleert wer­den. Ach so? Das­selbe habe er am Vor­tag der Gruppe Indern gesagt, die dort Pick­ni­cken woll­ten. Er meinte sie sol­len zum Pick­ni­cken in den Wald gehen und den Müll dort weg­wer­fen, sodass sein Tem­pel sau­ber bleibt. Ich kann es nicht glau­ben! Selbst­ver­ständ­lich kann ich es glau­ben, ich bin bereits lange genug in Indien. Müll im Wald ist kein Pro­blem aber bloß nicht in den Müll­ei­mer damit. Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder sei­nen Müll in den Eimer wer­fen würde, und der Eimer jede Woche geleert wer­den müsste. Und wohin soll man den Müll denn auch leeren?

Die Frage, wohin man den Müll auch lee­ren sollte, stellt sich kurz dar­auf erneut. Der Besit­zer eines klei­nen Ladens an der Straße will unse­ren Müll auch nicht anneh­men. Also ent­schei­den wir uns ihn not­ge­drun­gen am Stra­ßen­rand zu ver­bren­nen. Als er abge­brannt ist und einen Chai spä­ter set­zen wir unsere Fahrt durch den Wald fort und fah­ren die übrige Stre­cke nach Jageshwar. 

Im Dorf ange­kom­men, fah­ren wir an unzäh­li­gen klei­nen Stän­den, die neben der Haupt­straße auf­ge­baut sind vor­bei, direkt bis zur Tem­pel­an­lage. Es ist ein rich­ti­ger klei­ner Tou­ris­ten­ort. Aber nur für indi­sche Tou­ris­ten. Außer mir ist kein ein­zi­ger Aus­län­der hier. Die Häu­ser sind uralt und viele bau­fäl­lig. Der Tem­pel­be­zirk ist von einer hohen Mauer umge­ben und liegt auf der gegen­über­lie­gen­den Seite der klei­nen Läden an der Straße. 

Im Inne­ren ste­hen unzäh­lige klei­nere und grö­ßere Tem­pel aus dem 7. bis 12. Jahr­hun­dert, die ver­schie­de­nen Göt­tern, wie Shiva, Vishnu und Shakti, der weib­li­chen Urkraft geweiht sind. Einige sind auch ande­ren hin­du­is­ti­schen Tra­di­tio­nen geweiht. Sie alle sind aus grauem Stein gebaut und eben­falls, wie der Tem­pel von Dan­deshwar, mit Reli­efs geschmückt. Der Haupt­tem­pel hat eben­falls ein Dach aus Holz, die klei­ne­ren sind ganz aus Stein. Dazwi­schen gibt es Wege und kleine Schreine. In die grö­ße­ren Tem­pel kann man hin­ein­ge­hen. Im Haupt­tem­pel sehe ich bei einer Zere­mo­nie zu. Über einen engen Zugang trete ich in den klei­nen Raum, in dem ich von ton­nen­schwe­ren Gesteins­qua­dern umge­ben bin. Im von Ker­zen und Öllam­pen beleuch­te­ten Hei­lig­tum sit­zen ein Pries­ter, Tem­pel­die­ner und einige Besu­cher. Der Duft der ver­brann­ten Kräu­ter und Harze steigt mir in die Nase und die beson­dere Stim­mung in die­sem klaus­tro­pho­bisch engen Tem­pel­in­ne­ren über­trägt sich auf mich. Nach­dem wir uns an den alten Tem­peln satt­ge­se­hen haben strei­fen wir noch eine Weile ent­lang der Läden und durchs Dorf bevor wir uns auf den Rück­weg machen. 

Mit Ein­bruch der Dun­kel­heit errei­chen wir unser Dorf Kasar Devi auf dem 1900 Meter hoch gele­ge­nen Berg­rü­cken und keh­ren in unse­rem Gäs­te­haus ein. Den Abend ver­brin­gen wir mit unse­rem Gast­ge­ber Arjun, der uns Geschich­ten über das Dorf erzählt. Arjun erzählt, dass die meis­ten Dör­fer in der Gegend erst seit ein paar Jah­ren elek­tri­fi­ziert sind. Wenn man hin­ter dem Haus ins Tal hin­un­ter­schaut, sieht man zahl­rei­che Lich­ter ver­ein­zel­ter Häu­ser und klei­ner Dör­fer. Vor eini­gen Jah­ren war es dort unten bei Nacht noch stockdunkel. 

In den fol­gen­den Tagen unter­neh­men wir noch wei­tere kleine Aus­flüge in der Gegend bevor wir uns auf den über 300 Kilo­me­ter wei­ten Rück­weg nach Rishi­kesh machen.

Cate­go­riesIndien
Timo Vogel

Timo Vogel bezeichnet sich selbst als Zugvogel. In regelmäßigen Abständen überkommt ihn das Fernweh und führt ihn an abgelegene Orte dieser Welt. Er wäre kein Zugvogel, wäre da nicht auch seine Heimat in Süddeutschland, wohin er gerne zurückkehrt, um von seinen Abenteuern zu berichten (https://zugvogel.timovogel.de).

  1. Timo Vogel says:

    Da kann wohl jemand was mit „Gan­ja­ga­nar“, Kasar Devis Spitz­name ver­gan­ge­ner Tage was anfan­gen. Nein, wenn wir unter­wegs waren, dann zu Fuß oder mit dem Moped 

  2. Hans-Dieter Knebel says:

    .….……im Restau­rant ver­brach­ten wir meh­rere Stunden.….
    Was macht man da nur so lange? Fährt oder fliegt man dazu nach Indien ?

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