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Zwei Originale aus einer längst vergangenen Zeit

Die rumä­ni­sche Som­mer­hitze ver­sucht was aus­zu­brü­ten. Das lässt sich nicht leug­nen. Was es ist, weiß ich nicht genau, aber sie gibt sich alle Mühe dabei und ich mal wie­der mit­ten­drin. Auf der Suche nach zwei rumä­ni­schen Ori­gi­na­len schleppe ich mich durch ein Dorf in der Mara­mu­res. Durch Stra­ßen hin­durch, an Häu­sern, Gär­ten, dem gro­ßen und dem klei­nen Jesus vor­bei. Einer Beschrei­bung fol­gend, der ich irgend­wann nicht mehr fol­gen konnte. Ohne meine kleine Rei­se­gruppe würde ich wohl bis ans Ende der Welt lau­fen. Es bleibt mir zum Glück erspart.

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Ein gan­zes Leben zwi­schen vier hell­blaue Wände gequetscht
Denn in der Ferne sehe ich end­lich unser Ziel. Zwei ältere Frauen, vor ihrem Haus sit­zend. Rund von wei­tem und ein biss­chen fal­tig, spä­ter aus der Nähe betrach­tet. Sie sehen uns kom­men. Etwas fra­gend mus­tern sie uns, gefolgt von einem schüch­ter­nen Lächeln. Wir haben uns selbst bei ihnen ein­ge­la­den. Sie wis­sen Bescheid. Erst vor kur­zem hat unser Ver­mie­ter Björn ange­ru­fen und unse­ren Besuch angekündigt.

Gerade noch wickeln ihre kno­chi­gen Fin­ger geschickt rotes Garn zu einem Knäuel, dann öff­nen sie das Holz­tor und las­sen uns in ihr klei­nes Reich ein­tre­ten. Ein Huhn läuft gackernd mit sei­nen Küken vor­bei. Hin zu einem gro­ßen Kür­bis, der schon einige Schna­bel­hiebe aus­hal­ten musste und nicht mehr ganz bei­sam­men ist. Blu­men und Nutz­pflan­zen umzin­geln das alte Holz­haus. Wir wer­den durch den Vor­raum des Hau­ses manö­vriert, der etwas dun­kel und mit Din­gen zuge­stellt ist. Im nächs­ten Raum sehen wir: Viel besit­zen die bei­den wohl nicht. Trotz­dem ist auch die­ser gut gefüllt. Weil sich das wenige Hab und Gut hier den Platz tei­len muss. In die­sem Zim­mer, das für alles ist – zum Woh­nen, Kochen, Schla­fen und Leben. Und die­ses ganze Leben wird zwi­schen vier hell­blau gestri­chene Wände gequetscht.

Ein Ofen teilt sich den Platz mit einem alten Buf­fet, einem Herd, einem gro­ßen Bett. Rück­bli­ckend frage ich mich, ob es nur die­ses eine war oder ob direkt dahin­ter ein zwei­tes Stand. Ich kann mich nicht erin­nern. Wun­dern würde es mich nicht, wenn sie sich auch die­ses tei­len. Neben dem Bett steht ein Tisch und dane­ben noch einer. Auf einer Decke aus Wachs­tuch mit fröh­lich flo­ra­lem Mus­ter war­tet bereits ein Tel­ler mit selbst­ge­ba­cke­nen Kuchen auf uns. Nur einen hal­ben Meter neben dem Kuchen schlägt das Herz die­ses Hau­ses: ein gro­ßer, uralter Web­stuhl. Ein ange­fan­ge­ner Läu­fer, gestreift in den Far­ben der Natur, war­tet dort gespannt auf seine Fertigstellung.

Auch an den Wän­den hän­gen gewebte Stoffe. Bunt, eben­falls mit Blu­men- oder kirch­li­chen Moti­ven, wie wir sie auch in den vie­len alten Holz­kir­chen hier gese­hen haben. Über­all ste­hen und lie­gen Tüten, aus denen Garne oder hand­ge­webte Tücher, Läu­fer und Tep­pi­che quel­len. Ich weiß gar nicht, wohin ich zuerst schauen soll, um die­ses teils sym­pa­thi­sche, teils bedrü­ckende Chaos in mei­nem Kopf zu sor­tie­ren. Sowohl die erste, als auch wei­tere Ana­ly­sen erge­ben: Sor­tie­ren unmöglich.

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Wir wer­den gebe­ten, Platz zu neh­men. Kuchen essen und einen Schnaps trin­ken. Wie üblich. Der Appe­tit soll ange­regt wer­den, auf Hand­ge­mach­tes und eine Unter­hal­tung mit den bei­den Frauen, Maria und Ile­ana, die eine Anfang und die andere Ende 60. Sie sind Schwes­tern und leben hier zu zweit. Eigent­lich zu dritt, denn der Web­stuhl dürfte inzwi­schen so etwas wie ein Fami­li­en­mit­glied sein.

Björn erzählt mir spä­ter, dass die ältere mal ver­hei­ra­tet war. Wie alt wird sie gewe­sen sein? Lange ist das her. Eine halbe Ewig­keit. Und es ging nicht gut. Der, den sie sich zum Mann genom­men hatte, war schwe­rer Alko­ho­li­ker. Nicht nur krank­haft, son­dern auch noch vol­ler Über­zeu­gung. Da war abso­lut nichts zu machen und nichts zu ret­ten. Nach drei Mona­ten hatte sie die Nase voll von ihm und ließ sich wie­der schei­den. Sicher ein unge­wöhn­li­cher Schritt damals. Mutig irgend­wie. Seit­dem teilt sie mit ihrer Schwes­ter ein Leben, das oft kein leich­tes war und auch jetzt nicht ist. Eines, das drau­ßen vor dem klei­nen Holz­tor nicht mehr das ist, das sie frü­her ein­mal kann­ten, wäh­rend drin­nen die Zeit schein­bar ste­hen geblie­ben ist.

Wenn sich die Welt ein­fach immer schnel­ler dreht
Immer wie­der schaue ich mich in dem Raum um. Vie­les, was ich sehe, ist selbst gewebt. Aus Gar­nen, die selbst her­ge­stellt und selbst gefärbt wur­den, mit Hilfe von Kro­kus­sen, Rinde von Bäu­men und Scha­len von Nüs­sen. Grün, hell- und dun­kel­braun. Vie­les, was ich sehe, hat viel­leicht schon heute keine Zukunft mehr. Nicht nur auf­grund von Alter und Krank­heit der Bewoh­ne­rin­nen die­ses Hau­ses. Son­dern wegen einer Welt, die sich dreht, immer schnel­ler und schnel­ler. Eine Welt, in der die bei­den Schwes­tern nicht ein­mal mehr ohne Wei­te­res an Wolle kom­men. Und das, obwohl wir unglaub­lich viele Schaf­her­den gese­hen haben. Doch die Nach­frage sinkt ins­ge­samt und die Schä­fer ver­bren­nen die Wolle, kaum dass sie in gro­ßen, schwe­ren Flo­cken von den Scha­fen fällt. Man kann dabei zuse­hen, wie Hand­werk und Tra­di­tio­nen aussterben.

Wohl kaum einer hat ein Inter­esse daran, diese zu erler­nen und zu pfle­gen, geschweige denn, sol­che Pro­dukte zu kau­fen. Nicht hier. Nicht jetzt. Das Land und seine Bevöl­ke­rung ist nach wie vor schwer damit beschäf­tigt, sich zu sanie­ren. Wer Geld hat, will Neues. Neue Häu­ser, statt die schö­nen alten aus Holz. Und neue Pro­dukte, anstelle der tra­di­tio­nell gefer­tig­ten. Viel­leicht von IKEA. Oder so. Modern muss es sein, auch wenn es oft der letzte Schrott ist. Man kann es den Leu­ten hier nicht ver­den­ken, ihnen kei­nen Vor­wurf machen. Es ist wie über­all. Trotz­dem ist es trau­rig. Wenn sich die­je­ni­gen besin­nen, die heute kein Inter­esse daran haben, wer­den Men­schen wie Maria und Ile­ana ver­mut­lich längst fort sein. Ihr Wis­sen wer­den sie mit­ge­nom­men haben. So wie viele andere.

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Eine Stunde sind wir bei den Schwes­tern. Viel­leicht län­ger. Die Zeit ver­geht wie im Flug. Obwohl sie nur Rumä­nisch spre­chen und wir nicht, zei­gen sie uns alles, auch wie kom­pli­ziert allein die Vor­be­rei­tun­gen zum Weben sind. Mich fas­zi­niert nicht nur das Hand­werk. Wie so oft ist es auch die Tat­sa­che, dass man kom­mu­ni­zie­ren kann, ohne die­selbe Spra­che zu spre­chen. Dass man sich ver­ste­hen kann, ohne sich zu ver­ste­hen. Dabei ist es so ein­fach. Inter­esse an ande­ren Men­schen. Das reicht manch­mal schon.

Um unse­rer ehr­li­chen Bewun­de­rung Aus­druck zu ver­lei­hen, wan­dern zwei Tep­pi­che in unsere Tüten. Yvonne schlägt bei den Geschirr­tü­chern zu. Mit dem Wis­sen, wie viel Zeit und Auf­wand in einem Tep­pich ver­webt sind, ist ihr Preis gera­dezu lächer­lich. Aber die Schwes­tern sind froh. Über unse­rer Kom­men und die Aner­ken­nung und natür­lich den heu­ti­gen Umsatz. Sie machen das nicht gewerbs­mä­ßig. Kein Schild am Haus weist auf einen Han­di­craft Shop hin. Keine Inter­net­seite hilft beim Ver­kauf. Dabei sind sie auf das Geld ange­wie­sen. Auch dar­auf, dass Björn ab und zu seine Mie­ter hier­her schickt. Und ihre Freude wird noch grö­ßer, als wir ihnen eine Ger­man Klei­nig­keit in Form von zwei Päck­chen Kaf­fee auf das Wachs­tisch­tuch stellen.

Bevor wir fah­ren, füh­ren sie uns noch ihr Schwein vor. Wir hupen zum Abschied. Und wenn ich heute, ein paar Wochen nach der Reise, auf unse­rem Tep­pich stehe, schaue ich da run­ter und denke an Maria, Ile­ana und Rumä­nien. Und ich denke über die Welt nach, die sich jeden Tag ein wenig ver­än­dert und zu einer neuen wird. Ob man will oder nicht.

Cate­go­riesRumä­nien
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Lu Morgenstern

Kein Digitaler Nomade. Keine Weltreise. Lu Morgenstern ist Pendlerin zwischen Vollzeitjob, Fernweh und 28 Urlaubstagen im Jahr. Zu wenig, wie sie findet, denn Lu ist verliebt in diese Welt und hätte gern mehr Zeit für sie. Schon früh verlor sie ihr Herz an Europa. Während einer Reise auf die Kapverden brach zu allem Überfluss diese unbändige Sehnsucht nach noch ferneren Ländern aus. Seitdem hat Lu die große Begabung, sich in Träumereien zu verstricken und still die Tage bis zur nächsten Reise zu zählen. Endlich wieder an einem fremden Ort angekommen, wird sie zum bekennenden Messi, wenn es um Strandgut, Sonnenstrahlen, Glücksmomente und schöne Geschichten geht. Manche davon hält sie fest in ihrem Reisetagebuch.

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