Die Zug­spitze, süd­west­lich von Gar­misch-Par­ten­kir­chen gele­gen, ist mit ihren 2962 Metern der höchste Berg Deutsch­lands. Laut Wiki­pe­dia zieht Deutsch­lands höchs­ter Punkt jähr­lich circa 500.000 Men­schen, die sich per Bahn nach ganz oben shut­teln las­sen, an. Drei Mög­lich­kei­ten gibt es: die Tiro­ler Zug­spitz­bahn (von der öster­rei­chi­schen Seite aus), die Baye­ri­sche Zug­spitz­bahn (Zahn­rad­bahn) und die Eib­see­seil­bahn. Doch: Wirk­lich oben war man nur, wenn man aus eige­ner Kraft am Gip­fel stand.

Johanna hat den leich­tes­ten Weg getes­tet und stellt fest: Jeder­mann, etwas Moti­va­tion und Fit­ness vor­aus­ge­setzt, kann den Gip­fel schaf­fen. Was es neben Kon­di­tion und Wil­len natür­lich auch braucht: eine ordent­li­che Aus­rüs­tung. Gute Berg­schuhe sind ein Muss. Wan­der­stö­cke durch­aus hilfreich.

Mein Kum­pel Hol­ger lebt auf Sylt. In die Berge geht er prak­tisch nie. Wobei: vor einem Jahr stan­den wir mit ihm auf sei­nem ers­ten Gip­fel, dem 1.956 Meter hohen Krot­ten­kopf in den baye­ri­schen Vor­al­pen. Die­ses Erleb­nis hat Spu­ren hin­ter­las­sen. Als ich ihm von mei­nem Pro­jekt „Zug­spitze für jeder­mann“ erzähle, sagt er als Test­per­son sofort zu, bucht einen Flug nach Mün­chen, mel­det aber doch Beden­ken an. Ist das wirk­lich mach­bar? Von den vier mög­li­chen Auf­stiegs­va­ri­an­ten schei­den drei aus, weil sie alpine Erfah­rung vor­aus­set­zen und durch rela­tiv anspruchs­volle Klet­ter­steige füh­ren. Aber durch das Rein­tal könnte er das schaf­fen. Damit es nicht zu stra­pa­ziös wird, tei­len wir die Tour auf zwei Tage auf, reser­vie­ren einen Schlaf­platz in der Rein­tal­ang­erhütte und erlau­ben uns den Weg ins Tal mit der Bahn anzu­tre­ten. Let’s do it! Los geht’s!

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Das Wet­ter könnte bes­ser nicht sein. Unsere Laune auch nicht. So ein Test macht rich­tig Spaß und moti­viert uns alle. Wir star­ten am Ski­sta­dion in Gar­misch-Par­ten­kir­chen und machen uns auf den Weg zur Part­nach­klamm. Hier erlebt Hol­ger sein ers­tes High­light, weil er noch nie durch eine Klamm gelau­fen ist. Wir sind früh dran. Es ist ruhig. Nur ein paar Wan­de­rer und Berg­stei­ger sind unter­wegs. Wir kön­nen das Was­ser­schau­spiel mehr oder weni­ger alleine genie­ßen und viele Fotos machen. Stress oder Zeit­druck haben wir nicht. Das musste ich vor der Tour ver­spre­chen. Es geht nur ums Ankom­men, nicht um irgend­wel­che Rekorde. Unsere heu­tige Etappe ist mit fünf Stun­den ange­ge­ben. So wie Hol­ger durch die Klamm turnt, könn­ten wir das auch deut­lich frü­her schaf­fen. Nach der Klamm mün­det der Weg in eine Forst­straße, die uns der Part­nach ent­lang schön anstei­gend, jedoch nie anstren­gend, durch das zau­ber­hafte Rein­tal führt.

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Als klei­nes Zwi­schen-Etap­pen­ziel errei­chen wir die Bock­hütte, wo wir zur Beloh­nung ein Stück Kuchen essen und Kaf­fee trin­ken. Hol­ger will es gar nicht glau­ben, dass er die Hälfte der heu­ti­gen Tour bereits geschafft hat. Noch sieht es hier im Rein­tal rich­tig lieb­lich aus. Als wir schließ­lich die zweit­höchste Wand der Ost­al­pen, die 1.450 Meter hohe Hoch­wan­ner Nord­wand und den tosen­den Was­ser­fall der Part­nach pas­sie­ren, ver­än­dert sich sein Gesichts­aus­druck. Die hoch­al­pine Umge­bung fas­zi­niert ihr zwar, weckt aber zugleich erste große Zwei­fel. Doch unsere Tak­tik „Schritt für Schritt“ und „heute nicht an mor­gen den­ken“ hilft ihm durch ein ers­tes, ange­sichts der traum­haf­ten Natur aller­dings sehr klei­nes men­ta­les Tief.

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Nach wei­te­ren 1,5 Stun­den errei­chen wir die Rein­tal­ang­erhütte. Wenn man hier nach dem 16 Kilo­me­ter lan­gen Marsch vom Tal aus ankommt, betre­ten müde Beine das Para­dies. Auch optisch wähnt man sich im Him­mel. Ist das schön hier! Die Hütte liegt direkt an der Part­nach. Einige Wan­de­rer ste­hen mit hoch­ge­krem­pel­ten Hosen im Bach. Kleine Grup­pen von Zug­spitz-Aspi­ran­ten sit­zen an Bier­gar­ten­ti­schen, trin­ken Weiß­bier und essen Bort­zeit­tel­ler. Bunte Gebets­fah­nen sind über den Bach gespannt. Im Hin­ter­grund: Berge, Spit­zen, Hör­ner und steile Wände bis zum Abwin­ken. Alpi­nes Urbe­ha­gen pur! Es ist traum­haft schön hier oben. Hol­ger ist glück­lich, wir sind es auch.

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Am 27.8.1820 soll Josef Naus in Beglei­tung sei­nes Berg­füh­rers über das Rein­tal den Gip­fel der Zug­spitze erreicht haben. Dass wir damit auf der Route der Erst­be­stei­ger unter­wegs sind, amü­siert unse­ren Freund aus dem hohen Nor­den und wer­tet die leich­teste Route für ihn erheb­lich auf. Den spä­ten Nach­mit­tag genie­ßen wir rund um die Hütte. Beim Abend­essen ler­nen wir Ute und Eva aus Ber­lin ken­nen, die den glei­chen Plan wie wir ver­fol­gen: mor­gen Gip­fel­sturm! Ab nun sind wir ein Team.

Um 6 Uhr weckt uns nicht etwa ein Handy-Klin­gel­ton, son­dern Haus­mu­sik vom Aller­feins­ten. Jeden Mor­gen spie­len näm­lich – je nach­dem, wer da ist – die Mit­ar­bei­ter der Hütte auf dem Akkor­deon, der Gitarre, der Geige, dem Hack­brett, dem Horn oder einer Flöte den Weck­ruf live im ers­ten Stock des Holz­hau­ses. So sanft und schön bin ich noch nie geweckt wor­den. Nach einem kur­zen Früh­stück star­ten wir im Team mit unse­ren Hauptstadt-Mädels.

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Es ist ange­nehm kühl. Hol­gers Beine sind fit. Wir lau­fen uns Rich­tung „Ober­an­ger“, einer gro­ßen Wiese auf einem Hoch­pla­teau gele­gen, rich­tig ein, reden nicht viel und genie­ßen die Stille des Mor­gens. Danach wird es zwar rich­tig steil, aber das Gelände bleibt leicht, sofern man halb­wegs tritt­si­cher ist. Über den Fel­sen­steig geht es Rich­tung Knorrhütte (2050 m), die wir nach ca. 2 Stun­den erreichen.

Dort legen wir natür­lich eine Pause ein. Hol­ger spürt lang­sam, dass es tat­säch­lich gelin­gen könnte und wird immer über­mü­ti­ger und kecker, plant bereits wei­tere Hel­den­ta­ten in den Ber­gen. Doch noch liegt ein ordent­li­ches Stück Arbeit vor uns. Bei­nahe 1000 Höhen­me­ter tren­nen uns vom Gip­fel. Wir gehen lang­sam. Kehre um Kehre schrau­ben wir uns nach oben auf das soge­nannte Zuspitz­platt. Wer eine Pause braucht, legt sie ein. Zeit haben wir ja genug. Der Weg ist ein­fach und gut aus­ge­schil­dert. Man kann sich beden­ken­los auch mal zurück­fal­len lassen.

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Und irgend­wann sieht man erst­mals etwas vom Gip­fel blit­zen: Die Wet­ter­sta­tion. Ganz ehr­lich: Jetzt wird es rich­tig müh­sam. Man glaubt näm­lich der Gip­fel sei zum Grei­fen nahe. Doch das ist eine opti­sche Täu­schung der heim­tü­ckischs­ten Art.
Ers­tens geht es noch ein­mal um den Berg herum und dann aber rich­tig zackig eine gute Stunde steil nach oben. Nach einem wirk­lich anstren­gen­den Auf­stieg durch ziem­lich loses Geröll, wird es für Hol­ger ernst. Sein ers­ter „Klet­ter­steig“. Wobei die Bezeich­nung nicht ganz rich­tig ist. Es han­delt sich eher um einen befes­tig­ten Weg, den man ohne Klet­ter­steigset begeht. Die letz­ten 200 Höhen­me­ter auf die Zug­spitz­platt­form wer­den für Hol­ger dann doch eine echte Her­aus­for­de­rung. Zum einen, weil die Beine mitt­ler­weile müde sind, viele Men­schen zeit­gleich nach oben wol­len, die Sonne gna­den­los auf unsere Köpfe knallt und es manch­mal rich­tig steil nach unten geht. Aber: Man kann sich jeder­zeit gut an Sei­len oder extra instal­lier­ten Ket­ten festhalten.

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Über eine Metall­treppe geht es die letz­ten Meter hoch. Kurz noch ein­mal inne­hal­ten. Denn dann betritt man nicht nur Deutsch­lands höchs­ten Berg bzw. seine Platt­form, son­dern zugleich eine andere Welt. Kir­messtim­mung, Okto­ber­fest­fee­ling, inter­na­tio­nale Men­schen­mas­sen. Wel­come to the Top of Germany!

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2x Mün­chen, 2x Ber­lin und 1x Sylt sind auf dem Gip­fel ange­kom­men. Am Münch­ner Haus essen wir auf der Ter­rasse – eh klar – die höchste Brat­wurst Deutsch­lands und sto­ßen auf Hol­gers sagen­haf­ten Erfolg an. Jetzt dür­fen wir ein paar Bier­chen trin­ken, denn run­ter geht’s mit der Bahn!

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Cate­go­riesDeutsch­land
Johanna Stöckl

Kälte verträgt sie besser als Hitze.
Sie liebt den Winter, mag den Schnee und reist – zum Teil auch beruflich – viel.
Wenn sie sich zwischen einem Wochenende in den Bergen und ein paar Tagen am Strand entscheiden müsste, wäre ihre Wahl klar: Berge!
Johanna lebt und arbeitet in München, wo sie als Journalisten hauptsächlich über Outdoorsport schreibt.

  1. Steffi says:

    Ein tol­ler Bericht. Klei­ner Tipp für alle, die die Route nach­wan­dern möch­ten: Ihr müsst rela­tiv lange im Vor­aus pla­nen, denn die Rein­tal­ang­erhütte ist super beliebt und an den Wochen­en­den häu­fig aus­ge­bucht. Ich bin die Route vor ein paar Jah­ren Mitte Sep­tem­ber gegan­gen. Und wurde von über 10cm Neu­schnee über­rascht. Des­we­gen habe ich die letz­ten Höhen­me­ter mit der Bahn zurück­ge­legt. Der Weg war kaum mehr erkenn­bar. Das war mir dann doch zu hei­kel. Und die Sicht war natür­lich null. Ihr hat­tet ja echt super Wet­ter. Was für eine Aus­sicht. Glück­wunsch Holger!
    Liebe Grüße
    Steffi

  2. Steffen says:

    Wann wart ihr denn da? Erst vor kur­zem? Ich bin eigent­lich ziem­lich sport­lich, habe mir aber letz­tens das Kreuz­band geris­sen. Da hab ich gedacht wan­dern wäre ganz gut um den Mus­kel wie­der auf­zu­bauen. Wenns vom Wet­ter her passt, könnte ich mir das mal dem­nächst vor­neh­men. Der Arti­kel macht auf jeden Fall Lust drauf ;) Was schätzte so, wie lange braucht man, wenn man eure Route nimmt, und auf ein Mal hoch will?
    Viele Grüße
    Steffen

    1. Johanna Stöckl says:

      Lie­ber Steffen,

      bis zur Rein­tal­ang­erhütte sind es knapp 4 Stun­den. Und viel­leicht noch­mal 4–5 h von da aus auf den Gipfel.
      Viel Glück und Freude im Aufstieg :-)
      Johanna

  3. Dennis says:

    Schö­ner Bericht, danke dafür! Ich hab da auch so eine Alpin-Aspi­ran­tin, da wäre die beschrie­bene Tour eigent­lich ideal für den Einstieg.
    Ich selbst hab die Zug­spitze vor zwei Jah­ren über das Höl­len­tal gemacht, auch eine wun­der­schöne, wenn auch anspruchs­vol­lere Tour, die man aber eben­falls nur emp­feh­len kann. Vor­aus­ge­setzt natür­lich, die nöti­gen Kennt­nisse, Fer­tig­kei­ten und Mate­rial sind gegeben.
    Wer den Bericht dazu lesen möchte, sei herz­lich ein­ge­la­den, auf mei­nem Blog vor­bei­zu­schauen: http://www.abenteuersuechtig.de/index.php/durchs-hollental-auf-die-zugspitze/

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