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Von Leipzig nach Alaska per Anhalter: Eine Reise beginnt (1)

Prolog

Es ist fast 15 Monate her, dass ich aus Leip­zig auf­ge­bro­chen bin. Seit­dem habe ich 64 000 km auf den Stra­ßen und Mee­ren die­ser Welt zurück­ge­legt. Alles per Anhal­ter. Ich bin ans Nor­dende von Alaska getrampt. Mit einem klei­nen Umweg über die Süd­spitze von Argen­ti­nien. Ich bin über den Atlan­tik gese­gelt. Habe Zen­tral­ame­rika durch­quert. Das Darien Gap über­wun­den. Einen Monat in New York gelebt. Das Aben­teuer genos­sen und habe an der Ein­sam­keit des Rei­sens gelit­ten. Auf der Straße bin ich immer­noch, aber meine Expe­di­tion, ein­mal um die Welt zu tram­pen, ist in Alaska zu einem Ende gekommen.

Als Johan­nes mich kürz­lich anfragte, ob ich Autor bei Reisedepeschen.de wer­den möchte, hat mich das über­rascht und zugleich geehrt. Ich blogge und schreibe ja erst seit Beginn mei­ner Reise. Hatte keine Ahnung vom Schrei­ben und noch weni­ger vom Blog­gen. Ich hatte auch nicht erwar­tet, dass meine Geschich­ten sol­che Kreise zie­hen wür­den. Nun bin ich hier, Hallo!

Mein Name ist Ste­fan und ich bin Tramper.

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Eigent­lich sollte ich hier bereits geschrie­bene Arti­kel ver­öf­fent­li­chen. Meine Reise noch ein­mal erzäh­len und ein ande­res Publi­kum damit errei­chen. Ich dachte mir: „Klaro, das klingt super.“ Aber ich will meine Reise wirk­lich „noch­mal“ erzäh­len. Ansons­ten wäre das , wie altes, weich gewor­de­nes Brot noch­mal im Toas­ter zu ste­cken. Ist auch lecker, aber nicht zu ver­glei­chen mit einem fri­schen Laib. Also bot ich Johan­nes an, eine Arti­kel­se­rie zu schrei­ben, zu dem Thema: „Wie ich von Leip­zig nach Alaska trampte.“ Eine Chro­nik mei­ner Reise in 13 Tei­len. Und wer das alte Brot kos­ten möchte, der kann den Ver­wei­sen zu mei­nem Blog fol­gen und meine Ori­gi­nal­ge­schich­ten lesen.

Was euch in den kom­men­den Wochen erwar­tet ist eine Rück­schau, Zusam­men­fas­sung und Refle­xion der zurück­lie­gen­den 15 Monate. Der wohl auf­re­gends­ten Zeit mei­nes Lebens. Ich will diese Serie auch für mich schrei­ben. „I don’t know what I think until I write it down.“, hat Joan Did­ion gesagt. Ich mag das Zitat. So sehe ich auch mein eige­nes Schaf­fen in die­sem Moment. Diese Arti­kel­se­rie ist daher auch eine Chance für mich, meine eigene Reise zu begreifen.

Ich lade euch also ein, mit mir in den kom­men­den Wochen aus Leip­zig auf­zu­bre­chen und nach Alaska zu tram­pen. Ich lade euch ein die Ver­än­de­run­gen mei­ner Reise mit­zu­er­le­ben. Zu Beginn war näm­lich über­haupt nicht klar, dass ich ein­mal um die Welt tram­pen möchte. Ich lade euch ein, die ein­zel­nen Etap­pen mei­ner Reise mit mir zu durch­le­ben. Von nun an, dürft ihr in mei­nem Kopf sit­zen und euch mit mir mein Leben noch ein­mal anschauen. Viel Spaß dabei!

 

Leipzig-Alaska-Karte

 

1. Teil

Eine Reise beginnt

Da steht er nun und schaut mich an. Die kleine Fell­nase. Er hat ja keine Ahnung, dass er mich nicht wie­der­se­hen wird. Wir waren Kum­pels. Hof­fent­lich wird er mir ver­zei­hen. Klack. Die Tür ist zu, mein altes Leben hin­ter mir. Als ich die Trep­pen hin­un­ter laufe, fällt es mir schwer die Trä­nen zu Unter­drü­cken. Ein schi­zo­phre­nes Gefühl aus Schmerz und gren­zen­lo­ser Frei­heit sitzt in mei­ner Brust, wobei Ers­te­res klar die Ober­hand hat. Es war der schwerste Schritt mei­ner Reise. Das Auf­bre­chen. Das Zurück­las­sen. Mei­nen Kater ver­misse ich immer noch, auch nach 15 Monaten.

Ers­tes Ziel war Gibral­tar. Nein, quatsch. Ers­tes Ziel war Uru­guay! Ein sehr guter Freund von mir wohnt dort. Mit Ralf hatte ich einen mei­ner ers­ten gro­ßen Tramp­trips gemacht. Damals 2008 sind wir nach Syrien und in den Liba­non getrampt. Eine der bes­ten Rei­sen mei­nes Lebens. Danach habe ich mit ihm zusam­men den ers­ten deut­schen Sport­tram­per­club gegrün­det. Ein Tramp­kol­lege! Und natür­lich ist es selbst­ver­ständ­lich, dass, wenn ich ihn schon besu­che, natür­lich getrampt wird! Keine Frage. Alles andere würde unser Selbst­ver­ständ­nis untergraben.

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Also erst­mal nach Gibral­tar und von dort wollte ich mit Segel­boo­ten wei­ter tram­pen. Die Stre­cke nach Bar­ce­lona kannte ich schon. Ich hatte ca. drei Tage kal­ku­liert. Tag und Nacht tram­pen, wie wir das immer machen. Bis nach Süd­frank­reich ging das super voran. In weni­ger als 24 Stun­den war ich in Tou­louse. Bin die ganze Nacht mit die­sem pol­ni­schen Trans­por­ter durch Frank­reich geheizt. Ein Höl­len­lift. Und der Kol­lege war nicht zu benei­den. Musste eine Tour von Ham­burg nach San Sebas­tian gefah­ren. Ohne Pause. Viel Druck von sei­ner Firma.

Irgend­wann war ich ein­ge­schla­fen im Trans­por­ter und bin wach gewor­den, als wir an einem Eng­pass brem­sen muss­ten. Diese Brü­cke war nicht breit genug für zwei Fahr­zeuge. Danach sind wir in ein fran­zö­si­sches Berg­dorf ein­ge­fah­ren und ich hab hab mich gewun­dert, wel­che Auto­bahn das wohl sei. Keine Auto­bahn. Könne wir nicht neh­men, meinte mein Fah­rer. Seine Firma will die Maut nicht bezah­len. Armer Kerl. Aus­ge­beu­tet. Über­näch­tigt. Stän­dig ruft die Che­fin an und macht ihm Druck den Ter­min­plan ein­zu­hal­ten. Ziem­lich bedrü­ckend. Und einer die­ser Lifts, die mich fas­zi­nie­ren. Mir eine andere Per­spek­tive auf das Leben und die Men­schen geben. Des­we­gen mag ich tram­pen so gerne, auch wenn es nicht immer ange­nehme Sachen sind, die ich erfahre.

Circa einen Tag nach Bar­ce­lona und 3,5 Tage von Bar­ce­lona nach Gibral­tar. Will­kom­men in Spa­nien. Tram­per­pa­ra­dies! Die Sonne war noch ziem­lich heiß, 35° im Okto­ber. Da macht es rich­tig Spaß, zwei Stun­den an jeder ver­damm­ten Auf­fahrt zu ste­hen. Aber es gab auch erste magi­sche Momente. Es war in der vier­ten Nacht. Ich kam in einem klei­nen Fischer­dorf in Süd­spa­nien raus. La Rabita hieß es. Men­schen saßen auf der Straße, schau­ten von den Bal­ko­nen auf das bereits dunkle Meer. Wun­der­bare Stein­häu­ser, gebaut an die stei­len hänge und erleuch­tet im oran­ge­nem Licht der Stra­ßen­la­ter­nen. Ein schö­ner Ort. Kein Grund zum Anhal­ten, aber zum bewun­dern, wäh­rend man durch­läuft. Ich wollte wei­ter, schnallte meine Kopf­lampe an und lief die Ser­pen­ti­nen hin­auf in die Nacht. Es war ein lan­ger müh­se­li­ger Weg. Als ich bald die Haupt­straße wie­der im Blick hatte, beschloss ich, eine Pause zu machen.

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Es sollte die erste Nacht sein, in der ich unter freiem Him­mel schla­fen würde. Die Erste auf mei­ner Reise. Die Erste viel­leicht über­haupt. Viele andere Nächte soll­ten fol­gen, in denen ich an den unmög­lichs­ten Orten näch­ti­gen würde. Meist irgendwo an der Straße, unter freiem Him­mel. In einem ver­las­se­nen Hotel in der Kari­bik, auf einem Kas­tell in Gibral­tar, in sozial-stra­pa­zier­ten Vor­or­ten von Bue­nos Aires, in Hobo-Camps in den USA, auf fah­ren­den Güter­zü­gen, hin­ter Klo­häus­chen in Mexico oder bei ‑10° im (mil­den) Win­ter in Alaska. Ich bin mitt­ler­weile sehr anspruchs­los und fle­xi­bel mit mei­nen Schlaf­plät­zen. Lernt man auf einer sol­chen Reise schnell.

Aber diese erste Nacht, da war ich noch nicht so weit. Da fühlte ich mich etwas mul­mig, unter freiem Him­mel zu schla­fen. Ich fand die­ses Haus am Hang mit Meer­blick. Sollte ich über den Zaun klet­tern? Ich traute mich nicht. Hin­ter einer der Ser­pen­ti­nen führte ein schma­ler Weg auf ein höher gele­ge­nes Pla­teau. Dort sollte mich nie­mand sehen und kein Schein­wer­fer­licht mei­nen Schlaf stö­ren. Ich brei­tete meine Iso­matte aus und mur­melte mich in mei­nen Som­mer­schlaf­sack. Aus der Ferne bellte ein Hund unab­läs­sig. Ich hoffte, dass er nicht zu mir kom­men sollte. Diese Stra­ßen­hunde waren mir nicht geheuer. Irgend­wie wurde es dann doch gemüt­lich. Mein neues zu Hause. Leben auf der Straße.

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Und dann die­ser Mor­gen. Es war der erste Moment, wo ich rea­li­sierte: Ste­fan, du bist nun auf einer Reise! Du bist unter­wegs. Und schau dir die­sen abge­fah­re­nen Son­nen­auf­gang an! Das hat mir echt den Ste­cker gezo­gen. Ich lag auf einer Klippe mit Blick auf das Meer und schaute der Däm­me­rung zu, wie sie den neuen Tag ankün­digte und schließ­lich die Sonne in ihrem gan­zen Glanz am Hori­zont erschien. Ich war so glück­lich und dank­bar. Ich fühlte mich so frei. Nun kam ich wirk­lich an. Die­ses Gefühl sollte nicht per­ma­nent sein. Heim­weh ist ein ste­ti­ger Beglei­ter und Emo­tio­nen ändern sich stän­dig. Auch auf Rei­sen. Aber die­ser Moment war… glückselig.


EXTRA
Was macht den Reiz des Tram­pens aus?

Grund­sätz­lich geht es um zwei Dinge.
1. Man ist unglaub­lich mobil. Prin­zi­pi­ell kann jeder Ort auf die­ser Welt per Anhal­ter erreicht wer­den, frei nach: „Traf­fic Exists, Hitch­hi­king Possible.“
2. Beim Tram­pen kommt man immer wie­der mit unbe­kann­ten und vor allem auch unge­wohn­ten Men­schen zusam­men, fin­det sich in einem engen Raum wie­der und muss sich mit dem Gegen­über aus­ein­an­der­set­zen. Man­che Men­schen sind total toll und es funk­tio­niert vom ers­ten Moment. Andere Men­schen sind einem eher fremd. Man kann jedoch immer etwas neues Ent­de­cken und sei­nen Hori­zont in sol­chen Situa­tio­nen erwei­tern. Tram­pen heißt auch, sozial fle­xi­bel zu sein und tole­ran­ter gegen­über dem Frem­den zu wer­den. Ich per­sön­lich frage oft nach Beru­fen und inter­es­siere mich sehr dafür, wie die Men­schen ihr Leben bestrei­ten. Das ist die beste Uni­ver­si­tät, um sein Eige­nes zu meistern.


 

Leipzig-Alaska-Karte

Stefan Korn

Stefan ist Vollblut-Tramper und treibt diese Art der Fortbewegung zur Perfektion. Seine Road Trips gehen meist mehrere tausend Kilometer weit, bis er mal anhält, um sich auszuruhen. Das Leben auf der Straße fasziniert ihn. Hier ist er zu Hause. Die Zufälligkeit und Intimität der Begegnungen ist, was ihn beim Trampen fasziniert. Und die grenzenlose Mobilität. Er zog los, um einmal um die Welt zu trampen.

  1. Kat says:

    Hey Ste­fan du bist schon echt außer­ge­wöhn­lich ich habe mei­nen Augen nicht getraut als ich auf diese Seite gesto­ßen bin. Ich bin aus Leip­zig und habe beschlos­sen durch Süd­ame­rika zu rei­sen ( tram­pen , Bus, Schiff) und nicht eher nach Hause zu kom­men bis ich Alaska erreicht habe. Wahn­sinn!!! Könnte ich dich 2 bis 3 Sachen fra­gen??? Herz­lichste Grüsse die Kat

  2. Christoph says:

    Hallo Ste­fan, inter­es­sante Bei­trags­reihe, da werde ich in jedem Fall dran blei­ben. Muss mich jetzt mal wei­ter durch deine ande­ren Arti­kel lesen, sieht so aus als wärst du echt Voll­blut Tram­per. Ich greife hier und da auch mal auf per Anhal­ter fah­ren zurück, hätte aber echt gro­ßes Inter­esse mal ein Lift auf einem Segel­schiff zu bekom­men. Bis­her lief bei mir alles auf dem Land­weg. Meine bes­ten Erfah­run­gen habe ich bei Reise durch die Tür­kei gemacht, was mich auch dazu ver­an­lasst hat einen Arti­kel über das Tram­pen dort zu schrei­ben … falls es jemand inter­es­siert … http://warriors-journey.com/per-anhalter-durch-die-tuerkei/

    Gruß,
    Christoph

    1. Stefan says:

      Danke fürs tei­len Chris­to­pher. Ich bin gerade am Flug­ha­fen, aber schau spä­ter mal rein. Tür­kei war ich auch schon! Geht wirk­lich super da mit dem Trampen.

  3. Tommy says:

    Lie­ber Ste­fan, ich finde, dass mit dem Schrei­ben klappt schon ganz gut. Mit dem Rei­sen ja sowieso. Ich lese natür­lich mit, auch wenn ich eini­ges dann dop­pelt lese. Wäre schön, dich diese Jahr noch­mal auf irgend­ei­nem Tramp­tref­fen zu sehen. Bei mir war in den letz­ten zwei Jah­ren ja nicht viel los mit tram­pen. Meine kleine Toch­ter wird mit ihren 14 Mona­ten aber lang­sam zur Sur­vi­val-Queen. Ges­tern hat sie einen Käfer geges­sen und wir wol­len bald im Gar­ten zel­ten. Kleine Aben­teuer – ganz groß eben. Bis bald.

    1. Stefan says:

      Tommy, du musst zu einem unse­rer Ren­nen kom­men. Das ist was für Alt-Tram­per mit Kind! Mal ein Wochen­ende durch die Gegend knallen! :)

  4. Morten und Rochssare says:

    Stark! Wir sind vor allem auf deine Erleb­nisse in Süd­ame­rika gespannt; haben wir doch selbst zwei Jahre per Anhal­ter dort verbracht.
    Das alte Brot kos­ten wir zwi­schen­durch auch gerne. ;-)

  5. Chris says:

    Oh wie cool! Auf die Geschich­ten freue ich mich sehr und werde gleich mal vom alten Brot naschen. Bin ich doch gerade selbst in Süd­ame­rika. Ich wollte auch gern her­tram­pen, nur lei­der kam mir das mul­mige Gefühl am Anfang jeder gro­ßen Reise und ein zu güns­ti­ger Flug dazwi­schen. Dabei bin ich schon­mal nach Süd­frank­reich getrampt und habe gehört das Spa­nien und Por­tu­gal eher weni­ger zu emp­feh­len sind. Ich werde ver­su­chen jetzt hier zu tram­pen und erhoffe mir bei dir ein paar Tipps zu finden. :)

    1. Stefan says:

      Hey Chris, du kannst auch gerne fra­gen, wenn du Infos brauchst. :) Am bes­ten für sowas sind aber meine Tram­pen in… – Arti­kel! Die sind für Tips geschrieben.

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