Mexiko, Sep­tem­ber 2010.

Wie­der in Mexiko. Im Jahr zuvor ver­brachte ich einen Monat in der Haupt­stadt und drei im Nor­den des Lan­des direkt an der Grenze zu den USA. Eine span­nende, auf­re­gende, inspi­rie­rende Zeit. Und jetzt bin ich zurück in Nord­me­xiko, um meine Freunde wie­der­zu­se­hen und ein klei­nes Pro­jekt zu realisieren.

Ich habe eigent­lich nicht geplant, in die Haupt­stadt zu rei­sen, denn dort kenne ich ver­hält­nis­mä­ßig wenig Leute und das Jahr zuvor hat der Nor­den ein­fach einen blei­ben­de­ren Ein­druck hin­ter­las­sen als die Mega­stadt, die sich über den Rui­nen von Tenoch­ti­tlan im Lan­des­in­ne­ren wie ein rie­si­ges Mons­ter immer wei­ter aus­brei­tet. Doch ich wäre nicht ich, würde ich nicht auch kurz­fris­tig Plan­än­de­run­gen vor­neh­men. Mein ehe­ma­li­ger Mit­be­woh­ner war inzwi­schen in die Haupt­stadt über­sie­delt und meint, ich solle ihn doch am 16. Sep­tem­ber besu­chen, denn die­ses Jahr würde man 200 Jahre Unab­hän­gig­keit fei­ern und die­ser Tag wäre in der Stadt, wo sich der Regie­rungs­sitz des mexi­ka­ni­schen Prä­si­den­ten befin­det und eine rie­sige Feier mit gigan­ti­schem Feu­er­werk statt­fin­den würde, wahr­schein­lich ein ein­ma­li­ges Erleb­nis. Ich buche einen Flug, denn es ist tat­säch­lich so, dass sich mir solch eine Mög­lich­keit, näm­lich einen der wich­tigs­ten Fei­er­tage Mexi­kos in einem Jubi­lä­ums­jahr haut­nah mit­zu­er­le­ben, wohl nicht so schnell wie­der bie­ten wird.

Für drei Tage geht es also in die Haupt­stadt. Ich über­nachte bei einem ande­ren Freund, einem Künst­ler, mit dem ich das Jahr zuvor viel Zeit ver­bracht hatte. Ein schö­ner Anlass, auch ihn wie­der­zu­se­hen. Das herbst­li­che Wet­ter ist freund­lich und emp­fängt mich mit einer ange­neh­men Wärme. Mein frü­he­rer Mit­be­woh­ner erklärt mir, dass eine Party auf der Ter­asse eines Hotels ganz in der Nähe des Stadt­zen­trums statt­fin­den wird und ich dort hin­kom­men solle. Auch der Künst­ler ist ein­ge­la­den. Also machen wir uns am Abend auf den Weg zum Hotel. Die Vor­freude ist groß, ich habe mei­nen Mit­be­woh­ner vor fast neun Mona­ten das letzte Mal gese­hen und Wie­der­se­hen sind die schöns­ten Begeg­nun­gen, wie ich finde.

Als wir im Hotel ankom­men, wird uns zuerst erklärt, wir könn­ten nicht hin­auf auf die Ter­asse, das wäre eine geschlos­sene Ver­an­stal­tung. Das irri­tiert mich, ich will die­sen Abend unbe­dingt mit mei­nen Freun­den ver­brin­gen. Aber wir haben Glück. Irgend­wie schafft es der Künst­ler, die Hotel­an­ge­stell­ten zu über­re­den, uns doch in den Lift stei­gen und in den letz­ten Stock fah­ren zu lassen.

Oben ange­kom­men betre­ten wir eine andere Welt. Die Stim­mung ist aus­ge­las­sen, unzäh­lige Men­schen tum­meln sich vor der Bar und auf der Ter­asse. Unter ihnen mache ich mei­nen Mit­be­woh­ner aus, der mich im sel­ben Moment eben­falls ent­deckt und mit einer inni­gen Umar­mung begrüßt. Unser Lachen und unsere Freude lie­gen spür­bar in der Luft. Plötz­lich steht noch jemand ande­res vor mir. Ich schaue dem Mann in die Augen, ungläu­big, ich hätte nicht gedacht, dass ich ihn hier antref­fen würde. Es ist der Mann, der mich genau vor einem Jahr bei einer Kunst-Aus­stel­lung ange­lä­chelt und dadurch das Gefühl von Ein­sam­keit von einem Moment auf den Nächs­ten ver­schwin­den hat las­sen. Spä­ter haben wir noch zwei inten­sive Tage mit­ein­an­der ver­bracht. Dann bestieg ich den Flie­ger Rich­tung Nor­den – ohne zu wis­sen, ob ich ihn jemals wie­der­se­hen würde.

Jetzt im Hotel bin ich per­plex, ver­wirrt, sprach­los. Ich hatte ein­fach nicht damit gerech­net, ihn wie­der­zu­se­hen. Er nimmt mich in die Arme und drückt mich so fest an sich, dass mir bei­nahe der Atem ste­hen bleibt. Das Knal­len des Feu­er­werks füllt die nächt­li­chen Sphä­ren. Der mexi­ka­ni­sche Prä­si­dent wird soeben „¡Viva México! ¡Viva la inde­pen­den­cia!“ aus­ge­ru­fen haben. Ich bekomme all das nicht mehr mit. Zu schön ist das Gefühl, die­sem Men­schen wie­der so nah zu sein.

Cate­go­riesMexiko
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Hanna Silbermayr

Oft sind es die kleinen Dinge, die uns zum Staunen bringen. Begegnungen und Gespräche, die zum Nachdenken anregen, uns einen Moment innehalten lassen in einer Welt, die sich immer schneller zu drehen scheint, uns ein Lächeln entlocken.

Solche Momente möchte ich nicht für mich behalten, sondern mit Euch teilen. Ich, das ist eine ausgebildete Grafikdesignerin, studierte Romanistin und Politikwissenschaftlerin, die im Namen des Journalismus immer wieder in Lateinamerika unterwegs ist. Demnächst wohnungslos und in stetiger Bewegung.

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