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Varanasi sehen und sterben

Ich hatte gehö­ri­gen Respekt vor der Begeg­nung mit dem Tod an den Ver­bren­nungs­stät­ten am Gan­ges. Der Tod ist ein beson­ders wich­ti­ges Thema in mei­nem Leben – kein Ein­fa­ches. Und so hat es lange gedau­ert bis ich die Stadt des Lich­tes und des Todes auf­ge­sucht habe. Nun hoffte ich, bereit zu sein.

 

„Und manch­mal, wäh­rend wir so schmerz­haft rei­fen, dass wir bei­nahe daran ster­ben, erhebt sich aus allem, was wir nicht begrei­fen, ein Gesicht und sieht uns strah­lend an“ – Rai­ner Maria Rilke

Wall Varanasi

Kashi – Shi­vas Stadt des Lich­tes – für die gläu­bi­gen Hin­dus ist die Reise nach Var­a­nasi die Pil­ger­fahrt, die jeder in sei­nem Leben unter­nom­men haben will. Ver­gleich­bar ist die Bedeu­tung der Stadt allen­falls mit der Mek­kas für die Mus­lime und Jeru­sa­lem für Chris­ten, Juden (und Mus­lime). 30 % der Bevöl­ke­rung der Stadt gehö­ren dem mus­li­mi­schen Glau­ben an.

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Sie nen­nen die Stadt Bana­ras – der Name Bena­res war zu Zei­ten der mus­li­mi­schen und bri­ti­schen Herr­schaft gebräuch­lich und ist wei­ter­hin sehr geläu­fig. In der Maha­bar­a­tha wer­den wei­tere Namen auf­ge­führt. Der anspre­chendste ist für mich Anandvan – Wald der Glückseligkeit.

Var­a­nasi gilt als eine der am längs­ten besie­del­ten Städte der Welt.

Als ich Var­a­nasi von Harid­war aus mit dem Nacht­zug in den Nach­mit­tags­stun­den erreichte, schie­nen sich meine Erwar­tun­gen über die Stadt zunächst zu erfül­len. Es gibt wohl keine Stadt in Indien, zu der so viele Hor­ror­ge­schich­ten exis­tie­ren. Ander­seits hatte ich immer wie­der Rei­sende getrof­fen für die der Besuch in Var­a­nasi DAS High­light war.

Ich hatte mir vor­ge­nom­men, güns­tig zur Alt­stadt zu gelan­gen, mich dann zu einem Hotel durch zu schla­gen und all den Schlep­pern ein Schnipp­chen zu schla­gen. Doch als ich ein wenig gerä­dert das Bahn­gleis ent­lang lief und ver­suchte, mich für das Kom­mende zu wapp­nen, sprach mich ein Rik­scha­fah­rer an. Ohne ihm Zusa­gen zu machen, folgte ich ihm nach drau­ßen. Dort erwar­tete mich das ver­traute Bild gro­ßer indi­scher Städte: von allem zu viel. Moder­ni­sie­rung ohne Plan, eine graue, blei­erne Stadt, die zu schnell wuchs.

Der Rik­scha­fah­rer blieb mir ein wenig suspekt, doch schließ­lich wil­ligte ich ein, mir ein Hotel anzu­se­hen. So viel also zum Hel­den, der sich immer alleine durch kämpfte. Ich wollte nicht kämp­fen. Ich wollte ein­fach nur zu den Ghats, ein schö­nes Hotel fin­den, Var­a­nasi erkun­den und bald dar­auf weiterziehen.

Der Bei­fah­rer war ein Sadhu mit einer groß­flä­chi­gen Pig­ment­stö­rung im Gesicht, der es nicht für nötig erach­tete, mich zu grü­ßen. Kurze Zeit spä­ter hiel­ten wir, so dass sich die bei­den eine fri­sche Ladung Pani (Kau­ta­bak mit leicht auf­put­schen­den Sub­stan­zen) zu Gemüte füh­ren konn­ten. Der Fah­rer eröff­nete mir nun:

you give money to him!“ – „why?“ – „because he is holy man!“ – “well…”.

Natür­lich gab ich ihm nichts, doch ich bereute bereits in die­ser Rik­scha zu sit­zen und auch die Mono­to­nie der unend­li­chen Märkte ent­lang der Straße, stei­gerte mein Wohl­be­fin­den nicht. Schließ­lich fuh­ren wir durch eine Reihe aus­ge­spro­chen enger Gas­sen. Das letzte Stück muss­ten wir laufen.

Und nun erwies sich die Wahl des Rik­scha­fah­rers und des Hotels wider Erwar­ten als wah­rer Glücks­griff. Zwar gibt es sicher­lich schö­nere Aus­sichts­punkte auf die Ghats – die Aus­sicht vom Dach war schön, aber nicht atem­be­rau­bend – doch das Hotel konnte mit sei­ner Ruhe und aus­ge­spro­chen sym­pa­thi­schen Ange­stell­ten punk­ten. So würde ich deut­lich län­ger blei­ben, als vermutet.

 

Memento Mori

 

Ich war gekom­men, um die Atmo­sphäre an den Ver­bren­nungs­stät­ten auf mich wir­ken zu las­sen. Ich wusste nicht, wie ich auf den Anblick bren­nen­der Lei­chen reagie­ren würde.

Ein biss­chen fürch­tete ich, dass es mich umwer­fen würde, dass die Angst zurück­keh­ren würde, die mich so lange beglei­tet und nie ganz ver­las­sen hatte. Die Angst vor dem Tod.

Viel­leicht würde ich aber auch Erleich­te­rung emp­fin­den, weil ich inzwi­schen zu mehr Frie­den mit dem Thema gefun­den hatte.

Bei uns im Wes­ten ist der Tod ein Tabu­thema. Der Jugend­wahn hat kaum an Stärke ver­lo­ren, die Gen­tech­ni­ker träu­men von der Ver­län­ge­rung des Lebens oder gar der Eli­mi­nie­rung des Todes. Viele Alte wer­den ins Alters­heim abge­scho­ben. Ich hatte die Zustände dort gese­hen und sie hat­ten mich erschüttert.

Wie wollte man einen sanf­ten Tod erle­ben, wenn man sich nie mit ihm beschäf­tigt hatte, weil er kol­lek­tiv ver­drängt wurde?

Nur so kann man den Schre­cken erklä­ren, den viele Men­schen emp­fin­den, wenn sie unvor­be­rei­tet auf ihre letzte Reise gehen.

Wun­der­bar auch, was Tiziano Ter­zani im Buch „Der Anfang ist mein Ende“ zum Tod sagt:

„Warum macht das Ster­ben uns bloß sol­che Angst? Wo das doch alle getan haben! Mil­li­ar­den und Aber­mil­li­ar­den von Men­schen, Baby­lo­nier, Hot­ten­tot­ten, alle. Aber wenn wir sel­ber dran sind – ah! Dann sind wir ver­lo­ren. Wie ist das mög­lich? Wo das doch alle getan haben!

Wenn du es dir genau über­legst – und das ist ein schö­ner Gedanke, den natür­lich schon viele ange­stellt haben -, ist die Erde, auf der wir leben, im Grunde ein rie­si­ger Fried­hof. Ein immens gro­ßer Fried­hof all des­sen, was gewe­sen ist. Wenn wir anfan­gen wür­den zu gra­ben, fän­den wir über­all zu Staub zer­fal­lene Kno­chen, die Über­reste des Lebens.

Kannst du dir vor­stel­len, wie viele Aber­mil­li­ar­den von Lebe­we­sen auf die­ser Erde gestor­ben sind? Die sind alle da! Wir lau­fen stän­dig über einen unend­lich gro­ßen Fried­hof. Das ist selt­sam, denn wir stel­len uns Fried­höfe immer wie Orte der Trauer vor, Orte des Lei­dens, der Tränen.

Die­ser immense Fried­hof aber, die Erde, ist wun­der­schön! Vol­ler Blu­men, die dar­auf wach­sen, mit all den Amei­sen und Ele­fan­ten, die dar­über lau­fen. Er ist die Natur! Wenn du das so siehst, dass du wie­der Teil von all dem wirst, ist das, was von dir bleibt, viel­leicht die­ses unteil­bare Leben, diese Kraft, diese Intel­li­genz, die du mit einem Bart schmü­cken und Gott nen­nen kannst, auch wenn Sie etwas ist, was unser Den­ken nicht fas­sen kann, viel­leicht der große Geist, der alles zusammenhält.“

Für mich per­sön­lich war der Gedanke, dass wir ster­ben wer­den, zu kei­nem Zeit­punkt ein Tabu. Ich war als Sohn einer Pfar­re­rin früh mit dem Tod kon­fron­tiert und hatte schon als klei­ner Junge gespürt, dass es sich um einen end­gül­ti­gen Abschied han­delt – zumin­dest in die­sem Leben. Doch damals glaubte ich fest an ein Leben nach dem Tod.

Zum Trauma wurde das Thema für mich erst, als ich mei­nen Glau­ben in der Puber­tät ver­lor und erle­ben musste, wie mir geliebte Men­schen nach schwe­rer Krank­heit an Krebs star­ben. Das war zu viel.

Was nach unse­rem Tod kom­men würde, wurde für mich zur zen­tra­len Frage mei­ner Exis­tenz. Nach­dem diese Frage einen 16-jaeh­ri­gen nur über­for­dern konnte,  ver­lor ich nach und nach jede Hoff­nung auf ein Leben nach dem Tod. Damit ver­lor ich auch das Fun­da­ment mei­nes dama­li­gen Welt­bil­des und mit ihm allen Lebens­sinn. Es folg­ten Jahre der Wut, Trauer, Ver­zweif­lung, Depres­sion. Es waren Jahre, in denen der Gedanke an den Tod nie sehr fern war. Und der Tod selbst auch nicht.

Heute habe ich zu einer Hoff­nung zurück­ge­fun­den. Ich werde wohl trotz­dem ein Agnos­ti­ker blei­ben. Manch­mal bin ich über­zeugt, dass es Etwas Grö­ße­res als uns geben muss. Doch noch immer gibt es Momente, in denen mich der Gedanke beschleicht, dass nichts von Bestand sein wird – ein Gedanke, der mich immer noch depri­miert – doch den ich den­ken kann, ohne ins Boden­lose zu fal­len. Das war ein lan­ger Weg.

Ich möchte kei­nes­falls unsterb­lich sein. Was für eine furcht­bare Vor­stel­lung. Es ist ein Wun­der, dass ich drei­ßig Jahre alt gewor­den bin. Ich will sicher nicht als 500-Jäh­ri­ger von mei­nem 150. Trip nach Indien berich­ten. Es gibt immer noch Todes­sehn­sucht in mir. Aber der destruk­tive Teil wird immer klei­ner. Doch einst von die­ser Erde zu gehen, erscheint mir auch eine Erlö­sung sein.

Das schmä­lert den Schmerz der Hin­ter­blie­be­nen nur unwe­sent­lich und ich weiß nicht, wie tap­fer ich dem Tod gegen­über­ste­hen werde.

Ent­schei­dend ist jedoch, was für ein Leben man geführt hat.

Ich will nicht behaup­ten, ich würde das Leben voll aus­kos­ten. Doch es ist sehr inten­siv – mit wun­der­vol­len und furcht­ba­ren Erfahrungen.

Wer wäre ich, nach mehr zu fragen?

 

Die Zeit war gekom­men, mir ein Bild von den Ghats zu machen. Es unter­schied sich stark von mei­nen Vor­stel­lun­gen. Ich war davon aus­ge­gan­gen, dass die Ver­bren­nungs­stät­ten am Gan­ges domi­nie­ren wür­den – aber das ist nicht der Fall. Es gibt deut­lich mehr Badeghats, in denen die Pil­ger ein Bad in Mother Ganga neh­men, um ihre Sün­den rein zu waschen und der Göt­tin Gir­lan­den und schwim­mende Ker­zen zu opfern.

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Zahl­lose Boote bre­chen zu Fahr­ten über den Fluss auf. Sad­hus – Wan­der­as­ke­ten – wer­den von den Ghats beson­ders ange­zo­gen. Der Tod in Var­a­nasi gilt als beson­ders verheißungsvoll.

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Präch­tige Kauf­manns­häu­ser, Vil­len und Tem­pel aus dem 18. und 19. Jahr­hun­dert domi­nie­ren die Pro­me­nade und zeu­gen von einem ande­ren Zeitalter.

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Es gibt aus­schließ­lich zwei Ver­bren­nungs­stät­ten in der Stadt. Das Harish­ch­andra Ghat; und die deut­lich grö­ßere und bedeu­ten­dere – das Manikar­nika Ghat.

Wäh­rend ich auf den Ghats ent­lang lief, wurde mir stän­dig von zwie­lich­ti­gen, bis­wei­len fins­te­ren Gestal­ten Haschisch ange­bo­ten – doch nicht nur das – die Palette reichte von (gefak­tem) LSD, Mes­ka­lin über Opium und Kokain zu Mor­phin­de­ri­va­ten und dem Pfer­de­schlaf­mit­tel Ket­amin. Ich wollte mir nicht im ent­fern­tes­ten vor­stel­len, was pas­sie­ren, würde unter Ket­amin­e­influß an den Ver­bren­nungs­stät­ten zu sein – für Psy­che­de­lika war das zwei­fels­ohne auch nicht der rich­tige Ort – um das mal ganz vor­sich­tig auszudrücken.

Ich machte mir meine Gedan­ken über das Bevor­ste­hende. Zwei­mal hatte ich mich gegen den Trip nach Var­a­nasi ent­schie­den, weil ich mich nicht stark genug fühlte für die Stadt und die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Tod.

Sowohl dem Hin­du­is­mus als auch dem Bud­dhis­mus gilt die Wie­der­ge­burt als zen­tra­ler Bestand­teil der Welt­an­schau­ung. Ich per­sön­lich kann mir nicht vor­stel­len, als ein ande­rer Mensch wie­der zu keh­ren – noch weni­ger als Mani­fes­tie­rung als Tier oder Pflanze. Viel­leicht bleibt etwas von unse­rem Bewusst­seins­kern erhal­ten – selbst des­sen bin ich mir kei­nes­wegs sicher.

Dem Gedan­ken von Karma hin­ge­gen kann ich hin­ge­gen viel abge­win­nen. Dass gute und schlechte Taten unsere Zukunft inner­halb eines Lebens beein­flus­sen, glaube ich durch­aus. Pro­ble­ma­tisch für mich wird es, wenn die­ser an sich schöne Gedanke für die dau­er­hafte Recht­fer­ti­gung von Kas­ten­zu­ge­hö­rig­keit, Armut, Behin­de­rung oder Krank­heit her­hal­ten muss.

Die­ser Inter­pre­ta­tion wohnt ein star­ker Fata­lis­mus inne.

Die Vor­stel­lung von Shiva, der mit Brahma - dem Schöp­fer der Welt und Vishnu - dem „Erhal­ter“ der Welt, eine Drei­tei­lung des Gött­li­chen bil­det, wie sie auch im Chris­ten­tum oder Islam zu fin­den ist, als Zer­stö­rer der Welt, der zugleich eine neues Zeit­al­ter ein­läu­tet, ist mir in der lan­gen Zeit in Indien näher gekom­men. Für mich spricht tat­säch­lich viel dafür, dass wir uns in Kali Yug befin­den, einer Zeit des mora­li­schen Ver­falls. In der zykli­schen Vor­stel­lung des Hin­du­is­mus wird diese Peri­ode vom gol­den age abge­löst – einer Zeit der Erneue­rung und der Blüte mensch­li­cher Tugenden.

Die große Frage bleibt für mich: Soll­ten diese auf­ein­an­der ab fol­gen­den Zyklen von Ver­fall und Erneue­rung wirk­lich exis­tie­ren – wofür viel spricht – alle Hoch­kul­tu­ren und Welt­mächte gin­gen durch die­sen Pro­zess – wie wird der Über­gang von stat­ten gehen?

Wer­den wir so wei­ter­ma­chen wie bis­her und uns nach und nach selbst die Lebens­grund­lage ent­zie­hen bis eine Kata­stro­phe uns zum Neu­start zwingt?

Oder wer­den wir uns wei­ter­ent­wi­ckeln, aus unse­ren Feh­lern ler­nen, uns gesund­schrump­fen, die Tota­l­öko­no­mi­sie­rung aller Lebens­be­rei­che über­win­den und uns auf die wirk­lich essen­ti­el­len Werte zurück besinnen?

Noch ist unser Schick­sal nicht entschieden.

Diese Gedan­ken hat­ten mich schon in Harid­war beglei­tet. Dort war das Aus­maß der Ver­schmut­zung des Gan­ges deut­li­cher sicht­bar. Ich fragte mich auch immer wie­der, wie es ver­ein­bar war, den Fluss als hei­lig zu ver­eh­ren, und ihn gleich­zei­tig mit Däm­men der­ma­ßen zu verschandeln.

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ein Bild des Manikar­nika Ghats aus einer respekt­vol­len Distanz.

Am Manikar­nika Ghat ange­kom­men – der bedeu­tends­ten Ver­bren­nungs­stätte, schien zunächst der destruk­tive Anteil Shi­vas deut­lich prä­sen­ter zu sein. Gerade die ver­fal­le­nen Häu­ser direkt ober­halb erzeu­gen eine gespens­ti­sche Atmo­sphäre. Scha­ren von Fle­der­mäu­sen hat­ten sich dort ein­ge­nis­tet. Sie flo­gen unauf­hör­lich durch die glas­lo­sen Fens­ter und ihr Anblick ver­stärkte den mor­bi­den Ein­druck. Unter­halb davon brann­ten die Feuer für die Toten. Jeder gläu­bige Hindu möchte hier ver­brannt wer­den, da die­ser Ort Erlö­sung vom Kreis­lauf der Wie­der­ge­bur­ten ver­spricht: Mok­sha – das Äqui­va­lent zu Nir­vana.

Ein auf­dring­li­cher Mann begann mit einer Lita­nei über die Rituale am Ghat. Seine Aus­füh­run­gen waren durch­aus inter­es­sant. Ich lauschte ihm einige Zeit, auch wenn das nicht leicht fiel, da er sehr undeut­lich sprach und ein­deu­tig Unmen­gen von Haschisch kon­su­miert hatte. Zudem wusste ich bereits, was fol­gen würde. Das Ganze läuft so: schon, wenn man sich dem Ghat nähert, wird man in ein unver­fäng­li­ches Gespräch ver­wi­ckelt – erreicht man den Ver­bren­nungs­platz wird man an den Exper­ten ver­wie­sen. Das Ziel die­ses Unter­fan­gens ist das Geleit zu einem Hos­piz, wo man zu einer Spende genö­tigt wird, die lei­der nicht den Ster­ben­den zu gute kommt. Nach­dem ich lange genug sei­ner mono­to­nen Schil­de­run­gen ohne jeg­li­che Affek­tion gelauscht hatte, bat ich ihn die Luft anzu­hal­ten, weil ich den Ort in Ruhe betrach­ten wollte. Bei all dem was er über Respekt erzählte, war er der Ein­zige, der sich respekt­los ver­hielt und aus dem Ort Gewinn schlug. Kurze Zeit spä­ter hatte er end­lich begrif­fen, dass mit mir kein Geld zu machen war.

Nach­dem ich das Gesche­hen einige Zeit aus eini­ger Ent­fer­nung betrach­tet hatte, begab ich mich auf einen Bal­kon, von dem aus man direkt auf die Toten­feuer bli­cken kann. Von dort aus konnte ich beob­ach­ten, wie die Ange­hö­ri­gen ihre Ver­stor­be­nen auf einer Bam­bus­bahre zum Fluss tru­gen. Die Haare wer­den von vie­len Ange­hö­ri­gen als Zei­chen der Trauer kahl gescho­ren. Der Leich­nam ist in glit­zernde Sei­den­tü­cher gehüllt. Mit dem Was­ser des hei­li­gen Flus­ses wird eine letzte Waschung voll­zo­gen.  Danach wird er dem Feuer umge­ben. Der älteste Sohn umrun­dete den Leich­nam ein letz­tes Mal und setzte ihn in Brand. Es dau­ert zwei bis drei Stun­den, bis das Feuer den Kör­per auf­ge­zehrt hat. Nur Hüft- und Becken­kno­chen ver­blei­ben. Sie wer­den dem Gan­ges über­ge­ben. An einem Punkt wen­den sich die Ange­hö­ri­gen ab, um der Seele die Mög­lich­keit zu geben, Mok­sha zu erlan­gen. Solange man sich ihr mit Trauer zuwen­det, ist sie auf die­ser Erde gefangen.

Es war mir unmög­lich, aus den Gesich­tern Emo­tio­nen her­aus­zu­le­sen. Am ehes­ten noch Andacht. Aber keine Trauer, keine Erleich­te­rung, kein Glück über die Erlö­sung. Viel­leicht geschieht das alles deut­lich frü­her. Das ganze Zere­mo­ni­ell zieht sich über Tage hin. Es ist eine erheb­li­che Belas­tung für die meis­ten Fami­lien, das Feu­er­holz für den Schei­ter­hau­fen zu kau­fen. Ich war erstaunt, wie wenig Emo­tion ich zunächst empfand.

Da stand ich nun, dicht gedrängt auf dem Bal­kon. Die Sad­hus rauch­ten Haschisch durch das Chil­lum. Die Hitze war deut­lich spür­bar, ganz leicht schien man auch den Geruch ver­brann­ten Flei­sches wahr­zu­neh­men. Die Holz­koh­le­feuer wür­den die ganze Nacht durch­bren­nen. Je höher die Kaste des ver­stor­be­nen, desto näher am Fluss wird der Leich­nam ver­brannt. Die meis­ten wer­den jedoch auf der Ter­rasse ver­brannt, die auch genutzt wird, wenn der Gan­ges wäh­rend des Mon­sun die Ghats teil­weise über­schwemmt. Mit der Zeit wur­den meine Sinne offe­ner für das Leben an die­sem Ort. Der Anblick von Zick­lein, Kühen und Was­ser­büf­feln, die sich ihren Weg durch die unwirk­li­che Sze­ne­rie bahn­ten und über die bereit­lie­gen­den San­del­holz­berge stie­gen, stellte einen gro­ßen Kon­trast dar. Sie schie­nen kei­ner­lei Notiz von der Mor­bi­di­tät die­ses Ortes zu neh­men. Das Feuer erzeugte einen ähn­lich trance­ar­ti­gen Effekt wie der Blick in ein schlich­tes Lager­feuer. Die schwim­men­den Ker­zen auf dem Fluss zeug­ten von Leben. Auch ich war mir mei­ner Leben­dig­keit an die­sem Ort beson­ders bewusst. Das Gefühl war dem beim Besuch eines Fried­hofs ähn­lich, auch wenn die Ein­drü­cke hier wesent­lich inten­si­ver waren. Doch es stellte sich auto­ma­tisch eine beson­dere Acht­sam­keit ein. Es war ein Ort, der große Würde ausstrahlte.

Mög­li­cher­weise waren all die Gedan­ken, die ich mir über die Begeg­nung mit dem Tod in Var­a­nasi gemacht hatte, schlim­mer als das, was ich vor­fand. Mög­li­cher­weise hat­ten mich aber auch gerade diese Gedan­ken dar­auf vor­be­rei­tet. In jedem Fall fühle ich mich erleich­tert. Es berührt mich, aber es ängs­tigt mich nicht. Voll­stän­dig kann ich meine eige­nen Gefühle aber nicht deu­ten. Es war ein tie­fes Gefühl tief in mir ver­gra­ben, ich konnte nicht ent­schei­den, wel­che Gestalt die­ses Gefühl hatte. Nach­dem ich schon eine Stunde dort ver­bracht hatte, wurde es doch noch ein wenig deut­li­cher. Ich fragte mich, was für ein Leben die Men­schen geführt haben moch­ten. Hat­ten sie ein erfüll­tes Leben? Was hin­ter­lie­ßen sie? Und ich dachte an die Men­schen, die ich im Laufe mei­nes Lebens ver­lo­ren hatte, und hoffte, dass sie Erlö­sung gefun­den hatten.

 

Carpe diem

 

Ich lernte Stina ken­nen. Zuvor hatte ich zwei Monate lang bis auf zwei kurze Unter­hal­tun­gen kei­nen Kon­takt zu ande­ren West­lern gesucht. Bis­wei­len war ich sehr ein­sam gewe­sen, doch ich hatte auch einige berei­chernde Bekannt­schaf­ten mit Ein­hei­mi­schen machen dür­fen. Beson­ders in Harid­war war ich sehr ver­wöhnt wor­den. Den­noch blieb es etwas ande­res – bei­des auf seine Weise sehr schön. Nach der lan­gen Pause eines wirk­lich inten­si­ven Gesprä­ches und der tief­grei­fen­den Erfah­run­gen am Manikar­nika Ghat sorg­ten dafür, dass die Begeg­nung von Anfang an beson­ders war. Sie war aus­ge­spro­chen offen zu mir, ver­traute mir vom ers­ten Moment an. Das alles öff­nete auch mich noch wei­ter. Seit ich mein ers­tes Buch ver­öf­fent­licht habe, hatte ich nicht mehr so inten­siv von der Ver­gan­gen­heit gespro­chen. Und es war einer der sel­te­nen Fälle, in der in mei­ner Erzäh­lung tiefe Emo­tio­nen mit schwan­gen – ich neige dazu, von die­sen dunk­len Zei­ten sehr affekt­iso­liert zu spre­chen. Nun leg­ten wir alles auf den Tisch. Von Anfang an war klar, dass sie einen Freund hatte, der auf sie war­tete und so war die Grenze die­ser Begeg­nung ein­deu­tig. Es gab nicht den gerings­ten Grund, sich zu ver­stel­len und das führte dazu, dass wir uns aus­ge­spro­chen nahe kamen. Es war eine wun­der­bare Begeg­nung und wir schu­fen uns für einige Tage eine eigene Welt, in der wir ver­weil­ten, wann immer wir woll­ten und unse­rer eige­nen Wege gin­gen, wenn es sich rich­tig anfühlte. Wir lach­ten bis­wei­len Trä­nen und ich kann mich nicht ent­sin­nen mit beson­ders vie­len Men­schen so irre Gesprä­che geführt zu haben. Sie reprä­sen­tierte das Leben und wir spra­chen über Liebe, Leben und Tod und alles was sonst zählte.

Wir besuch­ten gemein­sam das Manikar­nika Ghat und spra­chen über die Men­schen, die wir ver­lo­ren hat­ten und die Bedeu­tung des Todes. Danach bega­ben wir uns in die ver­win­kel­ten Gas­sen der Alt­stadt. Wer hier nicht ver­lo­ren geht, hat sich nicht wirk­lich hien­in­ge­wagt. Es gibt an jeder Ecke etwas Neues zu ent­de­cken und die engen Gas­sen muten mit­tel­al­ter­lich an. In Indien exis­tie­ren die ver­schie­de­nen Zeit­epo­chen neben­ein­an­der her.

Es war eine Über­ra­schung, dass in Var­a­nasi zwei Wochen nach Divali ein wei­te­res Fest zum Voll­mond statt­fin­det, das nur hier gefei­ert wird – Dev-Divali.Tage­lang wurde frisch gestrichen:

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Die Mus­lime bege­hen zum glei­chen Zeit­punkt Muhar­ram und so mischen sich unter die Hin­dus an den Ghats Mus­lime in fei­er­li­chen Gewändern.

Es war ein Glücks­fall, dass wir die­ses Fest gemein­sam erle­ben durf­ten. Vor Son­nen­auf­gang bega­ben uns zu den Ghats und mach­ten eine Boot­fahrt – es war das erste Mal, dass ich die Ghats aus die­ser Per­spek­tive betrach­ten konnte. Bereits zum Son­nen­auf­gang waren die Ghats gesäumt mit tau­sen­den von Pil­gern, die im Gan­ges bade­ten. Noch ein­drucks­vol­ler war, in den Abend­stun­den zu den Ghats zurück­zu­keh­ren, deren Stu­fen in den letz­ten Tagen einen fri­schen Anstrich erhal­ten hat­ten und bereits aus allen Näh­ten zu plat­zen droh­ten. Wir unter­nah­men eine wei­tere Boots­fahrt. Ich hatte meine Kamera ver­ges­sen und das war gut so. Die Gefahr besteht immer, dass man zu viele Bil­der macht und ver­gisst zu schauen.

Und das, was sich uns bot, war DAS High­light in Var­a­nasi. Die Ghats waren von zehn­tau­sen­den Ker­zen illu­mi­niert. Von außen schien die Men­schen­menge einer gewis­sen Ord­nung zu fol­gen. Nach­dem ich ein selbst­lo­ses Gebet sowohl für die mir gelieb­ten als auch die mir unbe­kann­ten Men­schen sprach, brachte ich dem Gan­ges eine schwim­mende Kerze dar. Ich war eins mit mei­ner Umge­bung. Nichts trennte mich mehr. Ich war ergrif­fen und konnte sehen, dass Stina ähn­lich fühlte. Es brauchte keine Worte, um das zu erkennen.

Das Gefühl einer geord­ne­ten Menge, ver­schwand in dem Moment, in dem wir uns unter die Men­schen misch­ten. Wir schlu­gen uns bis zum Main Ghat durch. Die Atmo­sphäre war unglaub­lich inten­siv und ließ auch mich leuch­ten. Doch es blieb eine Her­aus­for­de­rung durch die Men­schen­mas­sen zu gelan­gen und gewal­tige Knal­ler explo­dier­ten um uns herum. Rake­ten stie­gen in den Him­mel auf. Dies ist, was wir sahen:

P1020842P1020868P1020883 P1020882 Dev Divali Stina P1020880

Ich fühlte mich leicht, befreit und glück­lich. Meine Stimme hatte den sanf­ten Klang tie­fen inne­ren Frie­dens, meine Bewe­gun­gen waren geschmei­dig. Ich hatte mei­nen Frie­den gemacht.

Es war der rich­tige Zeit­punkt zu kom­men. Ich war wirk­lich bereit gewe­sen! Var­a­nasi wird in mei­nem Her­zen blei­ben und ich werde zurückkehren.

Cate­go­riesIndien
  1. Andrea says:

    Ich bin nur zufäl­lig über die­sen Rei­se­be­richt gestol­pert, konnte aber nicht auf­hö­ren, zu lesen. Dein Bericht hat mich wirk­lich berührt, da ich ähn­li­che Erfah­run­gen in mei­nem Leben gemacht habe. Vie­len Dank, dass du so tiefe Gedan­ken und Gefühle nie­der­ge­schrie­ben hast.

    1. Liebe Andrea! Herz­li­chen Dank für Deine Rück­mel­dung! Ich freue mich immer sehr, wenn meine Offen­heit Andere berüh­ren kann, die, wie Du, Ähn­li­ches in ihrem Leben erfah­ren haben. Gerade, wenn man sich so „nackig“ macht, was am Anfang durch­aus mit Scham ver­bun­den ist, tut es beson­ders gut zu erfah­ren, dass man nicht alleine auf sei­nem Weg ist. Ganz liebe Grüße! Oleander

    1. Das ist schön, Anett! Es ist erstaun­lich wie sehr die Stadt in ihren Fun­da­men­ten stets die Glei­che bleibt, obwohl sich alles an ihrer Ober­flä­che im rasan­ten Wan­del befin­det. Liebe Grüße! Oleander

  2. Franz says:

    Hallo. Ich bin durch Zufall auf diese Stadt gekom­men. Auf den Flug nach BKK flie­gen wir immer über diese Gegend. Ich habe mit Google Earth recher­chiert und die Stadt, die ich aus dem Flug­zeug gese­hen habe gefun­den. Sie haben einen wun­der­vol­len Bericht über diese Stadt und ihren Bewoh­ner gestal­tet. Liebe Grüße aus Ungarn.

  3. Uli says:

    beein­dru­ckend. zumal ich gerade erst aus Var­a­nasi zurück komme. Vie­les war fast inden­tisch, was ich erlebt und gehört habe. Auch meine Angst vor der Stadt ließ mich diese Reise jah­re­lang ver­schie­ben. Und nun : ich will wie­der hin. Mich hat es fas­zi­niert da zu sein und das alles zu erle­ben. ich plane im Herbst einen erneu­ten Varanasi-Aufenthalt.

    1. Herz­li­chen Dank, Uli! Mich zieht es in mei­nen Gedan­ken auch immer wie­der nach Var­a­nasi und es wir bestimmt nicht mein letz­ter Auf­ent­halt dort gewe­sen sein. Gerade erst wurde ich auch lite­ra­risch nach Var­a­nasi getra­gen. Das Buch „Die Suche nach Indien – eine Reise in die Geheim­nisse Bha­rat Matas“ von Den­nis Freischlad kann ich sehr emp­feh­len. Bald geht es mit Ilija Tro­ja­nows Repor­ta­gen wie­der hin. Das muss bis zur nächs­ten rea­len Begeg­nung rei­chen. Ganz liebe Grüße! Oleander

  4. Andy Hammer says:

    Alter,was ist das für ein ver­quirl­ter Hip­pie-Kitsch-Geschwa­fel? Bist du 15 oder was? Hast du dein Poe­sie­al­bum ver­legt oder wie?

    1. Uli says:

      Hi Andy, finde ich unmög­lich, wie du den Bericht von Ole­an­der abkan­zelst. Der schreibt sich da was von der Seele und du schwa­felst so zuge­dröhnt dar­über, als ob dus bes­ser wüsstest.
      Fremd­schä­men! Für dich!
      Fahr halt selbst hinb, schaus dir an,. aber nüch­tern! Und dann sag was du erlebt hast.…

  5. jessie says:

    oh jee ich bin gespannt auf die stadt. nach mei­nem design pro­jekt in kolk­ata ist dies mein ers­ter stopp von kolk­ata nach dehli .. bin gespannt was mich erwar­ten wird.

    aber bis dahin ist es ja noch ein wenig hin! (2 monate noch)

    1. Hallo Jes­sie!

      Lei­der hat meine Ant­wort ein wenig war­ten mues­sen. Ich denke nicht, dass Du Dir Sor­gen wegen Var­a­nasi machen musst. Die meis­ten Hor­ror­ge­schich­ten ent­ste­hen ja dadurch, dass Rei­sende Var­a­nasi als eines ihrer ers­ten Ziele ansteu­ern ohne sich halb­wegs an den ganz nor­ma­len indi­schen Wahn­sinn geweohnt zu haben… Ich bin sicher, dass Kal­kutta Dich auf die Stadt vor­be­rei­ten wird. Ich war zwar noch nicht in Kal­kutta, aber wenn ich Delhi mit Var­a­nasi ver­glei­che, dann wuerde ich hun­dert­mal lie­ber in Var­a­nasi sein. Ich bin gespannt wie es Dir gefal­len wird.

      Liebe Gruesse! Oleander

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