Es gab da die­sen Moment, auf Rei­sen, zwei Tage nach mei­nem sechs­und­zwan­zigs­ten Geburts­tag, als ich mir schwor, ich würde nicht mehr reisen.

Urlaub? Ja. Rei­sen? Auf kei­nen Fall!

Ich saß auf einem Motor­rol­ler im Chaos des bali­ne­si­schen Stra­ßen­ver­kehrs, eine offene Wunde am Hin­ter­kopf, Blut rann mei­nen Hals hin­un­ter, gemischt mit Trä­nen. Nach einem Surf­un­fall musste ich in die Not­auf­nahme eines indo­ne­si­schen Kran­ken­hau­ses und hatte genug. Was soll der Scheiß? fragte ich mich. Und: Was mache ich hier überhaupt?

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Ich habe ein schö­nes Leben zu Hause, mit Erste-Welt-Pro­ble­men, einem Job, der meine Miete zahlt und der mich nicht lang­weilt. Ich habe Freunde, Fami­lie – Was zur Hölle mache ich hier?

So poch­ten die Gedan­ken gegen mei­nen durch­lö­cher­ten Kopf.

Einen Monat spä­ter kam ich nach Hause. Zu Hause war wun­der­voll. Ich fühlte mich sicher, ich fühlte mich pudelwohl.

Drei Monate vor­ge­spult: Der heu­tige Tag. Ich habe gear­bei­tet, die Steu­er­erklä­rung gemacht, mich mit Freun­den getrof­fen, die Fens­ter geputzt. Und heim­lich, still und leise hat sich in die­ser Zeit etwas wie­der in mei­nen Kopf geschli­chen. Rast­lo­sig­keit. Ich ertappe mich dabei, wie ich es drin­nen nicht aus­halte; wie es mich hin­aus­zieht, an die Luft. Atmen. Ich muss atmen. Ich mache Streif­züge, besu­che Gegen­den, die ich noch nicht kenne, muss mich wie­der fremd füh­len, will wie­der los.

Zwei­mal habe ich der Hei­mat Lebe­wohl gesagt. 18 Monate unter­wegs. Das sollte für ein gan­zes Leben reichen.

Tut es nicht.

Wer sich ein­mal von den Ket­ten des All­tags los­ge­ris­sen hat, der kann nicht anders, der muss wie­der los.

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Es ist nicht die Gefahr, die mich antreibt, nicht das Aben­teuer oder das Ent­de­cken frem­der Kul­tu­ren. All das sind die Gewürze einer Reise. Die geheime Zutat ist eine andere. Die Essenz, von der ich nicht genug kriege. Der Geschmack, der süch­tig macht.

Die geheime Zutat bin ich selbst.

Ich, los­ge­löst von allem, was mich hält. Ich, fernab von mei­ner eige­nen Geschichte. Ich, allein auf einer end­lo­sen Straße.

Wie­der im Lande, fra­gen sie dann wie er so war, mein Urlaub.

Ich reagiere ver­letzt, gekränkt, überheblich.

„Urlaub?“ frage ich empört. „Wel­cher Urlaub?“

Aber das ver­ste­hen sie nicht. Wie sol­len sie auch? Sie waren nie da drau­ßen. Und das ist in Ord­nung. Nicht jeder fin­det es reiz­voll, alles hin­ter sich zu las­sen, um mit einem Ruck­sack die Welt zu entdecken.

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Was sie nicht ver­ste­hen ist, dass Rei­sen eigent­lich gar keine große Sache ist.

Wir sind keine Abenteurer.

Wir lau­fen nicht weg.

Wir haben schlicht­weg eine Art zu leben gefun­den, die uns liegt.

Wir haben zwei zu Hause. Das eine hat vier Wände. Das andere keine Grenzen.

Der Surf­un­fall auf Bali wurde übri­gens mit vier Sti­chen genäht. Unter mei­nen Haa­ren ver­steckt sich jetzt eine Narbe. Nur ich weiß, dass sie da ist. Und manch­mal, wenn sich das Wet­ter ändert, ziept sie ein wenig und erin­nert mich, dass es bald wie­der Zeit wird.

Zeit, nach Hause zu kehren.

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… nach Hause kom­men – Fluch oder Segen? Was meinst du? 

 

Cate­go­riesWelt
Gesa Neitzel

Eigentlich Fernsehredakteurin, aber viel lieber unterwegs, erzählt Gesa auf ihrem Blog von ihren Reisen um die Welt und vor allem zu sich selbst. In ihren Depeschen geht es um Fernweh, Heimweh, Bauchweh... und all den anderen Wehwehchen, die ein Nomadenleben so mit sich bringt.
In den letzten Jahren hat sie in Berlin gelebt, in Australien einen Jeep durchs Outback gefahren, in Lissabon ihr Herz verloren und in Bali nach ersten Surfversuchen gleich ein Loch im Kopf gehabt.

Gesa ist eine Suchende. Nach was? Das weiß sie selbst nicht so genau. Aber was auch immer es ist - es ist irgendwo da draußen und bis sie es gefunden hat, wird’s hier bestimmt nicht langweilig.

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  2. Patrick says:

    Wun­der­ba­rer Text. Er spricht mir aus dem Her­zen. Auch wenn ichs bis­her noch nicht geschafft habe 18 Monate am Stück zu verreisen.
    Fern­weh und Heim­weh – bei­des „schöne“ Gefühle, die ich nicht mehr müs­sen wollte.

  3. Gesa, ich finde mich in jedem dei­ner Worte über das Rei­sen wie­der und lebe ganz genauso…mit den 2 zu Hause, mit der glei­chen Rast­lo­sig­keit, die mich mitt­ler­weile fast regel­mä­ßig alle paar Monate packt. Du hast es geschafft, in Worte zu fas­sen, was sicher viele von uns mit die­ser fas­zi­nie­ren­den ‚Reise-Mala­ria‘ (ein­mal befal­len, bricht sie ein­fach immer wie­der aus, man wird sie nie wie­der rich­tig los) immer wie­der verspüren.

  4. Jana says:

    Nach einer län­ge­ren Reise nach Hause zu kom­men ist defi­ni­tiv toll! Ich möchte mein zu Hause nicht mis­sen! Und auch wenn es mich immer wie­der in die Ferne zieht freue ich mich rich­tig dar­auf wie­der nach Hause zu kom­men! Ich kann mich dei­ner Mei­nung nur anschlie­ßen! So sehr man sich auch immer wie­der dar­auf freut zu Hause in den eige­nen vier Wän­den zu sein, desto schnel­ler bekommt man auch wie­der Fern­weh! Ich denke, es geht vie­len Rei­sen­den so!

  5. Lea says:

    Oh ja! Die Urlaubs­frage ist meine Lieb­lings­frage und kommt gleich gleich nach: „Wie war’s?“ und „wo warst du über­all“ – wobei man sich sicher sein kann dass 80% der Zuhö­rer irgend­wie zwi­schen Ort 6 und Ort 7 gedank­lich aus­stei­gen, oder gleich noch eine Frage hin­ter­her­wer­fen, zB „ganz alleine?!“ … immer so viel Auf­klä­rungs­ar­beit… Wobei, ver­dammt noch­mal – warum fahre ich denn nicht end­lich mal auf Urlaub?

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