Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal öffent­lich zuge­ben würde, aber ohne fol­gende musi­ka­li­sche Beichte, wäre die­ser Text wohl nicht ent­stan­den. Also sei’s drum, wir haben doch alle unsere Lie­der-Lei­chen im Kel­ler unse­rer Play­list. Auf mei­nem MP3-Player gibt Phar­rell nach sei­ner Happy-Hymne den Staf­fel­stab direkt an Rein­hard Mey wei­ter, der herz­er­wei­chend von sei­ner Liebe zum Ende der Sai­son chan­so­niert. Ja, Rein­hard Mey, jetzt ist es raus. Danach kom­men übri­gens wie­der die Red Hot Chili Pep­pers, aber zurück zu mei­ner unver­hoff­ten musi­ka­li­schen Inspiration.

8

♫  „Die Tage wer­den kür­zer und die Schat­ten wer­den länger.
Und Wild­fremde erzähl‘n dir ihren gan­zen Lebenslauf.“ ♫

13

Ich stehe an der stür­mi­schen Stufe vor mei­nem ers­ten Win­ter in einer Stadt, die wie keine andere für Som­mer, Sonne und Flip Flops steht. Und ich frage mich, was bleibt, wenn man Syd­ney das Strand­le­ben nimmt, und nach sechs Mona­ten auf ein­mal wie­der das Schuhe bin­den ler­nen muss. Auch in einer Stadt mit rund 150 Strän­den ist der Som­mer irgend­wann zu Ende, und wenn sich in Syd­ney die Blät­ter fär­ben, und ab und zu ein Palm­we­del vom Him­mel fällt, ver­las­sen die Back­pa­cker in Scha­ren und bunt­be­mal­ten Bus­sen die Stadt.

1

♫ „An den ver­wais­ten Fah­nen­mas­ten klop­fen lose Leinen
Und irgendwo dort drü­ben schlägt ein Gar­ten­tor im Wind.
Wie all diese Geräu­sche deut­li­cher und lau­ter scheinen,
Wenn erst die lau­ten Stim­men der Sai­son ver­klun­gen sind!“ ♫

2b

Als das Ther­mo­me­ter eines Tages tat­säch­lich unter die magi­sche 20 Grad Marke fällt, kommt das nach fünf Mona­ten über 30, teil­weise über 40 Grad einem Käl­te­schock gleich. Hei­zun­gen sucht man in Aus­tra­lien ver­geb­lich und so sit­zen wir abends in trau­ter Runde um den Küchen­tisch und wär­men unsere Hände am Toas­ter, der sich als per­fek­ter Mini­ofen ent­puppt. Wir schwel­gen in war­men Erin­ne­run­gen an einen brül­lend hei­ßen Som­mer­tag, der sämt­li­che Tee­lich­ter ver­flüs­sigt, meine Kopf­hö­rer geschmol­zen und den Feu­er­mel­der gegrillt hat. Es ist zuge­ge­be­ner­ma­ßen ein schö­nes Gefühl, sich nachts mal wie­der in eine Decke zu kuscheln, wäh­rend man nor­ma­ler­weise kleb­rig und tran­spi­rie­rend jeg­li­chen Kör­per-Tex­til­kon­takt vermeidet.

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♫ „Einen Som­mer lang bist du im Schuh­la­den um ein Paar her­um­ge­stri­chen: Unver­schämt teuer, doch gefal­len würde es dir schon,Seit ges­tern Abend ist das alte Preis­schild durchgestrichen:
Ich liebe das Ende der Saison!“ ♫

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In der Apo­theke wird mir beim Kauf von Son­nen­creme gleich noch eine Grippe-Imp­fung ans Herz gelegt, und ich tau­sche das erste Mal den Stroh­hut gegen meine fast ver­ges­sene Woll­mütze, die ich eupho­risch aus den Untie­fen mei­nes Ruck­sacks her­vor­krame. Mit der Hitze sind auch die kame­ra­be­han­ge­nen Tou­ris­ten mit den Ten­nis­so­cken in der San­da­lette aus dem Stadt­bild ver­schwun­den, und im Bota­ni­schen Gar­ten muss ich nicht mehr stän­dig meine Lieb­lings­wiese für eine der unzäh­li­gen Hoch­zei­ten räu­men, oder schwit­zend alle halbe Stunde dem Schat­ten hin­ter­her robben.

14

♫ „Wenn jetzt die Sonne scheint, dann ist das nicht mehr selbstverständlich,
Und du nimmst jeden Strahl ein­zeln und dank­bar hin.
Der Regen hat die Kreide von den Schrift­ta­feln gewaschen,
Wer jetzt noch hier­her kommt, der weiß ja sowieso Bescheid.“ ♫

11

Wer jetzt noch hier ist, liebt die Stadt, und ist gekom­men, um zu bleiben.
Für die einen ist Syd­ney eine glit­zernde Hure, die nicht mit dem kul­tu­rell ambi­tio­nier­tem Mel­bourne mit­hal­ten kann.

2

Ursprüng­lich wollte ich an die­ser Stelle einen Text über den ewi­gen Städ­te­ver­gleich Syd­ney ver­sus Mel­bourne schrei­ben, aber ich habe mein Herz vor vie­len Jah­ren an die glit­zernde Hure ver­lo­ren, daher wäre die­ser Ver­gleich nicht beson­ders objek­tiv gewor­den. Und dann kam Rein­hard Mey, wäh­rend ich in mei­nem kuba­ni­schen Lieb­lings-Kaf­fee um die Ecke tat­säch­lich auf Anhieb einen der fünf Tische bekomme.

3

♫ “Der heiß­um­kämpfte Tisch, den nur die Halb­göt­ter bekamen,
Ist nicht mehr heiß­um­kämpft und plötz­lich für dich frei.
Und dein Gesicht hat end­lich für den Kell­ner einen Namen,
Du bist auf ein­mal wich­tig und nicht nur Tisch Num­mer drei!“ ♫

19

Für mich ist Syd­ney damals wie heute eines der lebens­wer­tes­ten Fleck­chen Erde auf die­sem Pla­ne­ten. Meer und Land lie­gen wild umschlun­gen bei­ein­an­der, und sel­ten habe ich die archi­tek­to­ni­sche Ver­bin­dung von Natur und Stadt in so respekt­vol­ler Weise erfah­ren. Die Oper ist zwar in Wahr­heit beige statt weiß, aber wenn sich mit Ein­bruch der Dun­kel­heit die Flug­hunde im Bota­ni­schen Gar­ten erhe­ben und in schwar­zen Schwär­men den Him­mel ver­dun­keln, schei­nen die Spit­zen der Oper, wie leuch­tende Schwer­ter der Gefahr zu trot­zen. Die impo­sante Har­bour Bridge wirft sich schüt­zend über die Bucht und wirkt wie ein natür­li­cher Rah­men für eine Sze­ne­rie, die mir jedes Mal einen inne­ren Seuf­zer entlockt.

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♫ „Nichts ist mehr so wie‘s war, und du kannst spür‘n: Alles ist endlich.
Auch wenn du‘s nicht ver­stehst, ahnst du doch: Es hat sei­nen Sinn.
„Und übri­gens, die Runde geht auf mich!“ hör‘ ich mich sagen.
Ich liebe das Ende der Saison!“ ♫

16

Der Sturm fegt eine ver­ges­sene Calippo-Eis Packung über den Strand, der Him­mel ver­mit­telt eine beängs­ti­gend fas­zi­nie­rende End­zeit-Stim­mung, das Meer über­gibt sich grol­lend und spu­ckend auf den Algen­ver­han­ge­nen Sand, und die sonst so heiß umgarn­ten Life­guards sind schon lange nicht mehr zur Arbeit erschie­nen. Die glit­zernde Hure liegt unge­schminkt vor mir und scheint skep­tisch zu fra­gen, ob ich sie immer noch attrak­tiv finde. Ich schlage den Kra­gen mei­ner Jacke hoch, ver­grabe die Hände in den Taschen, lächle in den Wind und kaufe einen neuen Toaster.

12

♫  „Und denk‘ dabei, ich stünde gern in fer­nen Tagen,
und sähe auf die Wege mei­nes Lebens und könnt‘ sagen:
Ich liebe das Ende der Saison!“ ♫

20

♫ Rein­hard Mey „Ich liebe das Ende der Saison“

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Julia Karich

Heimweh in die Ferne … Kennt ihr das? Früher reisende Journalistin, heute schreibende Touristikerin und morgen? Wahrscheinlich immer noch auf der Suche.
Nach was? Das weiß sie auch nicht so genau, aber solange das Heimweh gestillt wird, hält sich das Fernweh in Grenzen.

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