End­lich am Meer! Das Was­ser war so nah, dass wir es quasi rie­chen konn­ten. Meine Freun­din Isi und ich kamen gerade aus Mar­ra­kesh. Dem lau­ten, wuse­li­gen, auf­ge­heiz­ten Mar­ra­kesh. Das war toll, aber jetzt waren wir in einem klei­nen Küs­ten­dorf. Dem ruhi­gen, ver­las­se­nen, aus einem Strand bestehen­den Küs­ten­dorf. Und das sollte noch bes­ser sein. Unsere Idee: Hier woll­ten wir sur­fen und sein. Mehr hat­ten wir hier gar nicht vor.

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1.2_Beach_Boats

Aller­dings sah es an die­sem Ankom­ma­bend so aus, als könnte man noch nicht ein­mal das: Tie­fer, dich­ter Nebel lag in der Luft. Es war kein Meer, kein Strand, kein Mensch und kein Ort zum Sein zu sehen. Wir saßen im Taxi, das uns zur Unter­kunft brin­gen sollte. Das Taxi kannte den Weg, wir nicht. Wir hoff­ten nur, dass es hier nicht anhal­ten würde. Doch genau dann fuhr es auch noch einen klei­nen Berg hin­auf. Den Berg hin­auf liegt das Meer meis­tens nicht. Wir hat­ten eher gehofft, den Berg hinab zu fah­ren. In einer Mini-Wohn­sied­lung auf dem Hügel spuckte es uns aus und fuhr ohne uns wie­der bergab.

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Fünf Minu­ten spä­ter saßen wir da – auf dem Dach unse­rer Surf­un­ter­kunft, die keine Surf­un­ter­kunft war. Viel­mehr eine hüb­sche, hei­me­lige marok­ka­ni­sche Villa. Die Vil­l­a­dame hatte uns zwar kurz begrüßt, aber war gleich wie­der in ihre Gemä­cher geschwebt. Sonst gab es hier anschei­nend nie­man­den. Die Dach­ter­asse sah aus, als sei sie am Tage eine mit fan­tas­ti­schem Blick auf das kleine Tal bis ans Meer. Doch auch hier baute sich direkt davor eine Wand aus dickem Nebel auf. Wir kram­ten noch unsere letz­ten Essens­reste und unsere dicken Pul­lis aus den Ruck­sä­cken und fan­den, dass die­ses trau­rige Res­tees­sen wun­der­bar in die ver­han­gene, kalte, ein­same Atmo­sphäre die­ses Ortes passte.

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Am nächs­ten Mor­gen saß unser Sur­f­leh­rer Zak pünkt­lich um neun Uhr am Früh­stücks­tisch. Wir nicht. Denn wir hat­ten unsere Uhren noch auf fal­scher Zeit. Auch der Nebel war pünkt­lich. Doch jetzt wurde er von der Sonne in war­mes Licht gehüllt. Wir lern­ten über den Nebel, dass er da ist, wenn es im Inland beson­ders warm ist. Dann drückt die warme Inlands­luft gegen die kalte Atlan­tik­luft und die­ser Nebel ent­steht. Na gut, wenn man weiß, wo es her­kommt, mag man es meist auch schon ein biss­chen lieber.

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Schon ab dem ers­ten Was­ser­kon­takt zähl­ten eh nur noch die Wel­len und der Nebel war ver­ges­sen. Wir hat­ten einen fröh­li­chen, wel­len­rei­chen Surf­tag, an dem wir Lounes ken­nen­lern­ten. Lounes und seine Hütte. Denn das eine gibt es nicht ohne das andere und vice versa. Lounes ist ein pas­sio­nier­ter, marok­ka­ni­scher Sur­fer, des­sen Leben vom Strand bestimmt wird. Lounes’ Hütte ist eine ein­fa­che, selbst­ge­baute Holz­hütte, des­sen Leben auch vom Strand bestimmt wird. Denn genau dort steht sie. Auf einem erhöh­ten Vor­sprung gleich über dem Meer.

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In ihr befin­den sich so viele Surf­bret­ter, dass sie wahr­schein­lich zusam­men­fal­len würde, würde man diese ent­fer­nen. Brei­ter als ein Surf­brett ist sie auch nicht, fast ihr gan­zer Innen­raum ist davon ein­ge­nom­men. Nur eine kleine Seite ist abge­trennt, in der Lounes wohnt. Dort ist ein Bett und eine kleine Küchen­zeile ein­ge­baut. Die dient als Ablage für Geschirr, Board­leas­hes und Klei­dung. Kleine selbst­ge­baute Regale dar­über ver­stauen alles, was man für die marok­ka­ni­sche Küche braucht: Küm­mel, eine Tajine und ein stump­fes Mes­ser. Gleich über dem Bett ist ein Fens­ter, nur mit bun­ten Tüchern abge­han­gen. Von dort aus checkt Lounes jeden Mor­gen die Wel­len und ent­schei­det, ob es sich lohnt auf­zu­ste­hen. Strom und Was­ser gibt es nicht, braucht man aber auch nicht. Was­ser ist in Meer­menge vor der Tür und Feuer ist eh der bes­sere Strom.

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Die kom­plette Hüt­ten­front zum Meer öff­net Lounes jeden Mor­gen, nach­dem die Wel­len ihm zum Auf­ste­hen bewegt haben. Als würde auch dann erst die Hütte auf­wa­chen und ihr gro­ßes Auge öff­nen. Dann weiß jeder, jetzt ist man will­kom­men. Davor ist eine kleine Ter­rasse mit einem klei­nen selbst­ge­bau­ten Gelän­der. Die Ter­rasse hat den per­fek­ten Win­kel, sodass man ganz viel Meer, ein biss­chen Strand und gar keine Straße, Autos oder Häu­ser sieht. Des­we­gen fun­giert sie auch als Magnet aller loka­len Sur­fer. Jeder von ihnen, der zum oder vom Strand kommt, kommt erst ein­mal hier vor­bei – und bleibt auch meis­tens hier hän­gen. Genau wie wir.

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Nach unse­rer Surf­ses­sion hin­gen wir uns mit auf die Ter­rasse und gehör­ten schon gleich genau so dazu, wie die streu­nen­den Kat­zen, die stän­dig vor­bei­ka­men. Oder auch hier wohn­ten, das wusste kei­ner genau. In einem Trog ent­deck­ten wir eine Treib­holz­samm­lung, die Lounes immer mal wie­der nach stür­mi­schen Meer­zei­ten am Strand auf­sam­melt und sich dar­aus Hüt­ten­deko bas­telt. Mit­hilfe des stump­fen Küchen­mes­sers und etwas Kau­gummi schnitz­ten und kleb­ten wir ein Segel­boot, ein See­unge­heuer, ein Auto mit Surf­board­tra­ge­flä­che und einen Wen­de­frosch, der auf dem Kopf ein Huhn war. Stun­den­lang saßen und schnitz­ten wir see­len­ru­hig an dem Treibholz.

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Neben­bei kam immer wie­der ein ande­rer Sur­fer­freund vor­bei, setzte sich dazu, lieh sich ein Board aus oder machte was immer er wollte. Denn in die­sem Hüt­ten-Mikro­kos­mos konnte jeder ein­fach tun, was er tun will. Ab und an ging jemand zum benach­bar­ten Fisch­re­stau­rant und holte Tee. Tee ist wich­tig in Marokko, denn der wird vor dem Essen, nach dem Essen und immer zwi­schen­durch getrun­ken. Dabei ist wich­tig, dass er vor Zucker knirscht und dass er rich­tig gemischt ist – und das ist er nur, wenn er von weit oben mit viel Gefühl ins Glas gegos­sen wird.

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Irgend­wann kam ein Freund und brachte fri­sche Sar­di­nen mit. Die wur­den, wie sie waren, auf’s offene Feuer gelegt und anschlie­ßend von allen, die gerade da waren, gemein­sam geges­sen. Ein­fach mit den Fin­gern vom Tisch. Danach wur­den Fin­ger und Tisch zum Meer gebracht und dort gewaschen.

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Ein ande­rer Freund ging zwi­schen­durch nach See­schne­cken tau­chen. Gleich an dem Fels auf dem die Hütte steht, gibt es im Was­ser beson­ders viele Schne­cken. Als er wie­der­kam, holte er aus jeder Öff­nung sei­nes Wetsui­tes fri­sche Schne­cken. Alle freu­ten sich schon, diese am Abend auf’s Feuer zu schmeißen.

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Von da an gin­gen wir jeden Tag hier sur­fen. Ab dem ers­ten Tage war unser bes­ter Freund die Hütte. Sie hieß uns jeden Mor­gen offe­nen Her­zens will­kom­men, nach­dem sie ihr Lucken­auge geöff­net hatte. In ihr ver­brach­ten wir unsere gesamte Surf­wo­che, die wir in die­sem Küs­ten­dorf ver­brin­gen woll­ten. Gin­gen sur­fen, bas­tel­ten aus Treib­holz, san­gen marok­ka­ni­sche Lie­der, gin­gen noch­mal sur­fen, grill­ten Fisch, schnip­pel­ten marok­ka­ni­schen Salat, mix­ten und tran­ken Tee und mach­ten das Fisch­re­stau­rant sauer, weil wir nie die rich­ti­gen Tee­glä­ser zurückbrachten.

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Schon am ers­ten Abend waren wir so ange­kom­men, wie wir nur ankom­men konn­ten. Wir lagen abends im Vil­la­bett und frag­ten uns, ob das wirk­lich nur ein ein­zi­ger Tag war. Und wo der Nebel eigent­lich sei. Wir stell­ten fest, alles, was wir an die­sem Tag gemacht hat­ten, war: Sur­fen und Sein.

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Mitte der Woche dis­ku­tier­ten wir mit Lounes, ob wir nicht mit ein­zie­hen soll­ten. Halb Scherz, halb Ernst. Wir waren so über­wäl­tigt und über­zeugt von dem Hüt­ten­le­ben, dass wir es abends nicht ver­las­sen woll­ten. Tag­ein tag­aus nach der Welle leben und in jeder Sekunde ein­fach tun, wonach uns die Nase steht. Uns vom Meer, den ein­fachs­ten Mit­teln und den Nach­barn ernäh­ren. Den Rest der Woche leb­ten wir, als sei dies tat­säch­lich allei­ni­ger Inhalt unse­res Lebens. Und stell­ten fest: Das ist wun­der­bar. Aber das ist zu leer. Für eine bestimmte Zeit in die­sen Mono-Mikro­kos­mos ein­zu­zie­hen, war wun­der­bar. Das Gefühl, den eige­nen Kos­mos nicht irgend­wann wie­der mit mehr Viel­falt zu fül­len, war läh­mend. Als die Hütte am letz­ten Tag ihr Auge für uns öff­nete und uns ein­lud noch län­ger zu blei­ben, ver­ab­schie­de­ten wir uns unter gro­ßer Trauer den­noch. Und ver­miss­ten die Hütte sofort. Bis heute.

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Cate­go­riesMarokko Welt
  1. Sabine says:

    Es ist unglaub­lich wie wenig wir eigent­lich brau­chen um glück­lich und zufrie­den zu sein. Sol­che Rei­se­be­richte machen es wie­der deutlich…danke :) Ich hatte letz­tes Jahr ein wun­der­vol­len Road­trip an der Atlan­tik­küste in Frank­reich und habe es geliebt nur in mei­nem Auto am Meer zu leben und täg­lich zu Sur­fen. Mehr Mini­ma­lis­mus für alle, es befreit unglaublich :)

    1. Lena says:

      Ooh ja, du hast Recht, Sabine! Obwohl man sich zwi­schen­durch dann doch immer mal wie­der froh ist über ein rich­ti­ges Bett :)

  2. Franzi says:

    Tolle Bil­der! Wir waren letz­tes Jahr auch in Tag­hazout sur­fen. Die Locals im Was­ser und am Strand waren unglaub­lich freund­lich – wirk­lich eine tolle Erfah­rung. Achja, wir hat­ten eine ganze Woche lang per­fekte Bedin­gun­gen – was will man mehr? :-) LG Franzi

  3. Jen says:

    Hey Lena,
    eigent­lich hat mich die label­ver­seuchte Surf­welt immer abgeschreckt.
    Mit die­sen Bil­dern und Geschich­ten zeigst du mir eine ganz andere Seite davon.
    Danke!

    1. Lena says:

      Danke Jen! Vor’m sel­ber aus­pro­bie­ren ging es mir sehr ähn­lich wie dir. Aber Sur­fen kann so viel mehr sein als gela­belte Boards­horts. Das zeigt mir auch gerade wie­der Nica­ra­guas West­küste. Probier’s doch mal aus :)

  4. lmb says:

    Schön, dass ihr die Hütte gefun­den habt. Die wird wohl nie­mand ande­res mehr ent­de­cken, denn ihr habt das Dorf ja kom­plett geheim gehal­ten. Kenne Tag­azoute als Surf­dorf. Ist auch Klasse und marok­ko­weit und bis Frank­reich und Spa­nien bekannt. Da gibt es auch ne Menge wind­schie­fer Hüt­ten und lei­der sau­fende aus­tra­li­sche Sur­f­leh­rer, die rei­hen­weise blonde Madeln flach legen. Die angel­säch­si­sche Surf- und Sauf­kul­tur ist ein Schock für die Moham­me­da­ner da. Mir waren die tee­trin­ken­den kif­fen­den Marok­ka­ner alle­samt lieber.

    1. Lena says:

      Oh ja, in den gro­ßen klei­nen Surf­mek­kas kann man schnell in die Sur­fer­falle tap­pen, aber rund­herum gibt es wun­der­bare unbe­rührte Surf­strände und auch Sur­fer. Die loka­len Sur­fer waren alle wun­der­bar nett, spa­ßig und hilfs­be­reit im Wasser :)

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