Eben noch war es so heiß und schwül, dass ich dachte, ich kriege keine Luft mehr. Jetzt, wenige Minu­ten nach mei­nem ers­ten Kon­takt mit dem feucht­hei­ßen Klima Sri Lan­kas, sorgt die Kli­ma­an­lage schon wie­der dafür, dass sich die fei­nen Haare auf mei­nen Armen waa­ge­recht auf­stel­len, fast so, als woll­ten sie mit­krie­gen, was da drau­ßen los ist. Der schi­cke Klein­bus drän­gelt sich ganz lang­sam, aber so schnell es eben geht, mit einem laut vor sich her schimp­fen­den Fah­rer durch den Ver­kehr am Flug­ha­fen von Colombo. Ich stelle mir das von außen betrach­tet unge­fähr so vor wie in einem Lus­ti­ges-Taschen­buch-Comic. Quiet­schende Rei­fen, die bei ris­kan­ten Fahr­ma­nö­vern mal auf der lin­ken, mal auf der rech­ten Seite den Boden ver­las­sen. Drei nach hin­ten ver­schwin­dende Blei­stift­stri­che, die die Vor­wärts­be­we­gung mar­kie­ren, Blitze, die bei engen Über­hol­ma­nö­vern Gefahr symbolisieren.

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Dann wie­derum bin ich mir sicher, im Fah­ren­den Rit­ter zu sit­zen, jenem Bus aus der Fan­ta­sie­welt Joanne K. Row­lings, der sich auf sei­ner Fahrt durch Lon­don für Hin­der­nisse ein­fach schlank macht und sich als mehr­stö­cki­ger, dün­ner Strei­fen zwi­schen den ent­ge­gen­kom­men­den Fahr­zeu­gen hin­durch quetscht. Wir sind nicht schnell unter­wegs. Dafür aber wag­hal­sig. Und ohne Rück­sicht auf Schul­kin­der, Arbei­ter, Hunde und Kühe, die auf der Straße her­um­lau­fen, auf ihrem Weg ins Innere der Mil­lio­nen­stadt. Nach zwan­zig Minu­ten grenzt es für mich an ein Wun­der, dass wir mit nichts und nie­man­dem zusam­men­ge­sto­ßen sind, dass die Stoß­stan­gen noch heile sind und dass nie­mand gekotzt hat. Wir haben es aus dem dich­ten Ver­kehr vor dem Flug­ha­fen her­aus geschafft, sind jetzt auf einer vier­spu­ri­gen Straße ange­langt. Eigent­lich vier­spu­rig. In Wahr­heit wer­den aus den vier Spu­ren zehn gemacht. Irgend­wie geht das. Mofas drän­geln sich zwi­schen Bus­sen und Autos hin­durch, es ist laut, stän­dig hört man irgendwo ein durch­drin­gen­des Hupen, es ist chao­tisch – Colombo ist eben auch nur eine ganz nor­male asia­ti­sche Groß­stadt, ein Moloch, der die Land­be­völ­ke­rung und Tex­til-Tage­löh­ner anzieht, die in der vagen Hoff­nung auf Arbeit täg­lich hier­her kom­men. Nur die Kühe, die habe ich vor­her noch nir­gends auf der Straße gesehen.

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Auf die müs­sen wir ganz beson­ders auf­pas­sen, erklärt Janaka, unser Gäs­te­füh­rer, der sich jetzt zum ers­ten Mal zu Wort mel­det. Im sel­ben Atem­zug ver­si­chert er uns, dass sowohl Fah­rer als auch Bei­fah­rer unse­res Bus­ses sehr erfah­ren sind und Unfälle hier „eher sel­ten“ seien. Im Anschluss lässt er in ziem­lich gutem Deutsch einen etwa fünf­und­vier­zig­mi­nü­ti­gen Wort­schwall über uns erge­hen, von der Schön­heit sei­nes Lan­des und des­sen Haupt­stadt, die wir bis­lang nur erah­nen kön­nen. Doch zurück zu den Kühen: Weil die auch hier, genau wie in Indien, hei­lige Tiere sind, darf man ihnen nichts zuleide tun. Undenk­bar, wenn eine von ihnen das Opfer eines Ver­kehrs­un­falls wer­den würde. Da führe man lie­ber selbst in den Straßengraben.

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Als wir aus Colombo her­aus fah­ren Rich­tung Lan­des­in­ne­res, hat Janaka seine Rede been­det und wir haben den Dreck der Stadt hin­ter uns gelas­sen. Obwohl im Bus die Kli­ma­an­lage läuft und alle Fens­ter zu sind, glaube ich zu mer­ken, dass die Luft bes­ser wird. Fuß­gän­ger kom­men uns nur noch ver­ein­zelt ent­ge­gen, die Stra­ßen sind enger gewor­den. Größ­ten­teils sind sie noch immer geteert. Die Men­schen, an denen wir nun mit dem Affen­tempo von etwa 30 Stun­den­ki­lo­me­tern vor­bei­pre­schen, beob­ach­ten uns mit gro­ßen Augen, Frauen in Saris blei­ben ste­hen und bli­cken stumm, junge Män­ner win­ken uns grin­send zu. Mit zwei Mit­fah­re­rin­nen nutze ich eine Pin­kel­pause um eine Ziga­rette zu rau­chen. Wir mer­ken, dass einige Frauen sich in ein paar Metern Ent­fer­nung pos­tiert haben und offen­bar über uns tuscheln. Wir win­ken ihnen zu, sie kichern. Es geht weiter.

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Bald merke ich, dass die 200 Kilo­me­ter Stre­cke nicht annä­hernd so schnell zu meis­tern sein wer­den, wie ich dachte. Wir quä­len uns durch Schlag­lö­cher, an ein Nicker­chen ist trotz Jet­lag nicht mal zu den­ken. Die regel­mä­ßig wie­der­keh­ren­den Aus­läu­fer des Süd­west- und des Nord­ost­mon­suns sor­gen mit hohen Nie­der­schlä­gen für die Ero­sion der Böden. Dem hält die Asphalt­de­cke nicht stand. Janaka, der alte Witz­bold, erkennt unsere Ungläu­big­keit dar­über, dass das hier offen­sicht­lich über­haupt nie­man­den stört und lacht uns aus. „Kennt ihr Rock’n’Roll? Ja?“ Seine Kunst­pause nutze ich zum Über­le­gen. Bevor die Lösung mir ein­fällt, setzt er wie­der an und erklärt: „Die Stra­ßen sind wie Wel­len. Wir nen­nen das Rock’n’Roll.“

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Es sind etwa sechs Stun­den, die wir an die­sem Tag brau­chen um unser Ziel zu errei­chen, Bala­watukanda, ein win­zi­ges Dorf im Sin­ha­raja-Regen­wald, mit einem Bou­tique-Hotel, das hoch oben auf einem Berg thront. Unzäh­lige Kühe haben wir auf der Fahrt hier­her gese­hen. Es hat ange­fan­gen zu reg­nen, der schmale Weg zum Hotel ist schlam­mig. Wir müs­sen aus­stei­gen, unser Fah­rer ver­sucht das Unmög­li­che. Er will hoch­fah­ren. Es klappt nicht. Als wir uns schon damit abge­fun­den haben, die zwei Kilo­me­ter mit unse­ren Kof­fern zum Hotel zu lau­fen, tau­chen aus dem Nichts fünf Män­ner mit Tuk-Tuks vor uns auf.

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Am nächs­ten Mor­gen lau­fen wir zum Bus. Es geht wei­ter. Rock’n’Roll, Baby! Wir fah­ren vor­bei an win­zi­gen Hüt­ten, toben­den Kin­dern und Frauen, die an der Straße Bana­nen und Papaya ver­kau­fen. An einem klei­nen Tem­pel hält unser Fah­rer an. Wir blei­ben sit­zen, er auch. Er ver­neigt sich bei geöff­ne­tem Fens­ter vor einem klei­nen Bud­dha neben einem Glas­kas­ten. Dann holt er Geld aus sei­ner Hosen­ta­sche und wirft es in den Kas­ten. Ich frage Janaka, was er da gemacht hat. Janaka grinst: „Die Göt­ter beschüt­zen uns auf unse­rer Fahrt, damit nichts pas­siert. Aber für seine Sicher­heit muss man auch bezahlen.“

Ich krame mein Klein­geld zusammen.

 

Meine Reise nach Sri Lanka wurde unter­stützt von Sri Lanka Tou­rism und Sri Lan­kan Airlines. 

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Anna Röttgers

Anna hat zwei Lieblingsbeschäftigungen: Schreiben und Unterwegssein. Weil sich beides so toll verknüpfen lässt, und weil sie ganz viele andere Menschen mit ihrem Reisefieber anstecken möchte, berichtet die Journalistin nicht nur in Print, sondern auch auf ihrem Blog anemina travels von dem, was sie beim Unterwegssein erlebt - und natürlich auch von all den tollen Reisezielen, die es auf der Welt zu entdecken gibt.

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