Zwei Tage und zwei Nächte hat­ten wir mit­ten in der Natur geschla­fen. Unter freiem Him­mel abends stark gefro­ren, mor­gen stark geschwitzt. Über jede Form von Zivi­li­sa­tion hät­ten wir uns also gefreut. Obwohl meine Freun­din Isi und ich eigent­lich ans Meer woll­ten, weil wir immer ans Meer wol­len, wil­lig­ten wir ein, mit Yaniz zu Jérome zu fahren.

Yaniz ist der Surf­fo­to­graf, mit dem wir seit eini­ger Zeit durch Marokko rei­sen. Er ist ein hal­ber Marok­ka­ner und kennt daher gefühlt jeden gan­zen Marok­ka­ner und jeden schö­nen Spot in Marokko. Von all die­sen Orten erzählt er immer etwas zu glo­ri­fi­ziert und schön­ma­le­risch, sodass auto­ma­tisch Zwei­fel an deren ech­ter Exis­tenz ent­ste­hen. Doch wenn er dann an diese Orte mit uns fährt, sind sie immer noch schö­ner und beein­dru­cken­der als seine Erzäh­lun­gen. Was wie­derum beein­dru­ckend ist, denn ich habe noch nie erlebt, dass gezeich­nete Über­trei­bung in über­zeich­ne­ter Erfül­lung mün­det. Kamen Isi und ich an einem neuen Ort mit Yaniz an, gab es nach der ers­ten wuse­li­gen Ankunft jedes Mal einen klei­nen Moment, in dem wir plötz­lich neben­ein­an­der stan­den, schau­ten, schwie­gen, uns anguck­ten – und ein­fach los­la­chen muss­ten. Weil es so unglaub­lich und so unglaub­lich schön war. Und weil wir dort waren. Wir hat­ten irgend­wann das Gefühl, jeden neuen Ort erst ein­mal ein­la­chen zu müssen.

 

Der nächste Ort sollte nun Jéro­mes Palast sein. Jérome ist ein guter Freund von Yaniz und hat einen Palast. Den hat er, weil seine Fami­lie ein guter Freund der Königs­fa­mi­lie ist und die ziem­lich viele Paläste haben. Alles, was wir woll­ten, war eine Dusche, also war auch eine Palast­du­sche für uns ok. Zudem wurde auch die­ser Ort von Yaniz in den schöns­ten Far­ben beschrie­ben. Ein gro­ßer Palast am ruhi­gen, öst­li­chen Rand Mar­ra­keschs. Ein Palast­gar­ten, durch seine Größe nur mit dem Auto und nicht mit den Füßen zu erobern. Jede Menge exo­ti­sche Tiere, die in dem Gar­ten leben. Ein Ort, an dem dir an nichts fehlt, weil alles, was du dir wünscht, sofort da ist. Anschei­nend war das Ein­zige, was es zu fürch­ten gäbe, die Ver­füh­rung der Schlange. Und genauso war es, nur noch schö­ner. Als die Tore für uns geöff­net wur­den und wir in den Gar­ten hin­ein­fuh­ren, fühlte es sich an, als würde Gesang ertö­nen. Unzäh­lige Oran­gen­bäume mit fri­schen Früch­ten mach­ten die Luft zur süßen Ver­füh­rung. Die vie­len Tiere, die über­all fletz­ten und fra­ßen, gaben dem Bild eine noch mys­ti­schere Atmo­sphäre. Sie schie­nen alle so zufrie­den in sich zu ruhen. Wir sahen Rehe, einen Fasan, viele Schwänze und Nasen unde­fi­nier­ba­rer Arten und wir hör­ten unzäh­lige wilde Vögeln, die eine Geräusch­ku­lisse wie im Dschun­gel schaff­ten. Am nächs­ten Mor­gen würde ein Kän­guru vor unse­rer Tür stehen.

 

Der Pool vor unserem Gästehaus.

 

Jetzt kamen wir aber erst ein­mal an und bezo­gen unser Gäs­te­haus. Ein eige­nes Haus nur für uns, mit drei Bädern, einer Küche so groß wie meine gesamte Woh­nung in Ham­burg, einer Ter­asse vol­ler Sofas und direkt davor einem Pool. Alles außer­ge­wöhn­lich gepflegt und gesäu­bert. Von die­sen Gäs­te­häu­sern stan­den allein in Sicht­weite etwa 20 herum. Aber das Beste waren zwei Dinge: Dusche und Klo­pa­pier. Das bei­des ent­deck­ten wir, nach­dem wir kurz auf dem Rasen saßen, unse­ren neuen Ort ein­ge­lacht und fest­ge­stellt hat­ten, dass wir die dre­ckigste Sache weit und breit waren. Also nutz­ten wir die Dusche, wuschen unsere Haare gleich zwei­mal und leer­ten groß­zü­gig eine ganze Rolle Klo­pa­pier. Denn der Wahn­sinn: Es gab noch mehr davon.

 

Gleich danach ging es zum Diner mit Jéro­mes Fami­lie. Sie hat­ten uns ein­ge­la­den, um mit Yaniz über ein paar Pro­jekte zu reden und ebenso mit Todd. Todd nutzte das Bad ganz rechts in unse­rem Gäs­te­haus. Er ist ein Freund von Yaniz und ein ziem­lich erfolg­rei­cher Archi­tekt aus Nor­we­gen. Seine Mis­sion in Mar­rokko war Busi­ness­ge­sprä­che mit Jéro­mes Fami­lie zu füh­ren. Und das merkte man ihm auch an. Wenig Sinn für Aben­teuer oder kleine Begeg­nun­gen, immer in Eile und immer sein Buch mit sei­nen Wer­ken dabei. Trotz sei­ner Busi­ness­mis­sion wirkte er dadurch manch­mal etwas unbe­hol­fen, was unbe­kannte Für­sor­ge­ge­fühle in mir her­vor­ruf. Stän­dig ret­tete ich ihn aus ihm unan­ge­neh­men Situa­tio­nen, gab ihm nachts eine Mütze und mor­gens Zahn­pasta. Todd war den­noch ein sehr ange­neh­mer Mensch, den wir gerne in unsere kleine Rei­se­fa­mi­lie auf­ge­nom­men hatten.

 

Der Weg durch den Palastgarten.

 

Um zu dem Diner zu fah­ren, holte uns Jérome mit sei­nem rie­si­gen, bul­li­gen, lau­ten Auto ab. Nach­dem wir so viel von ihm gehört hat­ten, freute ich mich dar­auf, ihn ein­mal zu tref­fen. Ich war gespannt, wel­che Art von Men­schen sich hin­ter all die­sem Sein und all die­sen Geschich­ten ver­ber­gen. Jérome war ein typi­scher Sur­fer­typ in Shorts und Shirt, mit leicht über­trie­be­nen Mus­keln und leicht über­trie­be­ner Läs­sig­keit. Er emp­fang uns sehr freund­lich und auf dem Weg vom Vater­pa­last zum Onkel­pa­last hör­ten wir Reg­gae­mu­sik und plau­der­ten über’s Sur­fen. Beim Onkel war­tete schon die rest­li­che Fami­lie: zwei wei­tere Brü­der, der Vater, der Onkel und all deren Frauen, von denen die Hälfte schwan­ger war. Um die Sippe zu erhal­ten. Auch sie emp­fin­gen uns alle sehr freund­lich mit Bussi-Bussi. Neben dem Ein­gang hing ein Picasso, aber ich hatte schon jetzt keine Lust mehr, mir all den Luxus anzu­gu­cken, ich war inter­es­siert an den Men­schen. Wir hiel­ten Small­talk, tran­ken Wein, selbst­ge­machte Limo­nade oder alles was wir woll­ten. Die Haus­an­ge­stell­ten wusel­ten die ganze Zeit in der Küche umher. Auch wenn ich mich mit ihren wei­ßen Gewän­dern zeit­ver­setzt fühlte und das Bedürf­nis hatte, ihnen zu hel­fen, habe ich doch eine echte Zufrie­den­heit in ihnen gese­hen. Sie beweg­ten sich zwar im Hin­ter­grund, taten dies aber mit einem Stolz und einer Würde, die mich für sie freuen lies. Zum nor­ma­len Fami­li­en­di­ner gab es Fleisch vom japa­ni­schen Kobe-Rind und ande­res Gen­fer Rind – extra ein­ge­flo­gen. Plus unzäh­lige auf­wän­dige, euro­päi­sche Salate. Das Kobe-Rind selbst zu bra­ten ließ sich der Haus­heer nicht neh­men. In der Küche selbst Hand anzu­le­gen, war hier sehr unge­wöhn­lich, sodass ihm alle ande­ren gro­ßen Respekt zoll­ten. Nach sei­nem Show­ko­chen ver­schwand er auch erst ein­mal zum Duschen und Umziehen.

 

Alles war wahn­sin­nig lecker und alle zwan­gen uns noch mehr zu essen. Was ich aber eigent­lich wollte, war den Small­talk end­lich ver­las­sen zu kön­nen und mehr über die innere Welt die­ser Men­schen zu erfah­ren. Denn die äußere hatte ich nun zu Genüge gese­hen. Doch ver­geb­lich. Obwohl mich über­haupt nicht inter­es­siert, wie­viel Gla­mour, Macht und Besitz diese Men­schen haben, schien doch trotz­dem genau dies zwi­schen uns zu ste­hen. Es war ein­fach nicht mög­lich, ihre Ober­flä­che vol­ler kara­mel­li­sier­ter Macht zu durch­drin­gen. Und ich ver­stand, dass dies wahr­schein­lich nur sehr sel­ten der Fall ist. Denn wer so viel um sich herum hat, kann nie wis­sen, ob sich andere auch für sein Inne­res inter­es­sie­ren. Als ich das erkannte, taten sie mir alle­samt leid. Genau anders­herum wie alle ande­ren Marok­ka­ner, füh­ren diese Fami­lie mate­ria­lis­tisch ein aus­ge­füll­tes, aber zwi­schen­mensch­lich ein sehr lee­res Leben. Ich würde es nie­mals mit ihnen tau­schen wol­len. Aus lan­ger Weile spie­len wir noch eine Par­tie Bil­lard und fah­ren anschlie­ßend in unser Gäs­te­haus. Für die Rück­fahrt neh­men wir alle gemein­sam unser klei­nes, jetzt zer­brech­lich wir­ken­des Familienauto.

 

Am nächs­ten Mor­gen wol­len wir noch viel drin­gen­der zum Meer. Weil wir immer zum Meer wol­len und weil wir das echte Leben auf der Außen­seite die­ser Palast­mau­ern ver­mis­sen. So schön es hier auch ist, so arti­fi­zi­ell fühlt es sich auch an. Yaniz und Todd müs­sen noch blei­ben, um wei­ter über Pro­jekte zu spre­chen. Sie sind zwar trau­rig, dass wir gehen wol­len, aber über­zeu­gen uns, nicht einen Lini­en­bus, son­dern einen Fah­rer von Jérome zu neh­men. Na gut, denn das macht aus fünf nur zwei Rei­se­stun­den. Bis Ran­chid abfahr­be­reit ist, ver­geht eine gefühlte Ewig­keit. Ich streune noch ein biss­chen allein durch den Gar­ten, ent­de­cke schönste Pflan­zen und Tiere, sehe Gärt­ner und Haus­an­ge­stellte, die mit dem glei­chen Stolz wie die Dienst­frauen ihre Arbeit vol­ler Zufrie­den­heit ver­rich­ten. Es ist wirk­lich eine schöne kleine Welt hier, aber alles, was ich will ist her­aus aus die­ser voll­kom­me­nen Voll­kom­men­heit. Her­aus aus die­sen Mau­ern, des­sen Tore nur vom glück­li­chen Tor­wär­ter geöff­net wer­den kön­nen. Nach­dem ich noch dem Kän­guru ein biss­chen durch die Bäume gefolgt war, setzte ich mich vor unser Gäs­te­haus und warte. Warte auf Ran­chid, der uns hier raus bringt. Als er end­lich kam, sprang ich in sein Auto. Hier­hin werde ich wahr­schein­lich nie zurück kom­men, aber alles, was ich brau­che, hatte ich mir von hier mit­ge­nom­men: Eine Rolle Klopapier.

 

Der Eingang zu unserem Gästehaus.

Cate­go­riesMarokko
  1. Heike says:

    Toll geschrie­ben, rich­tig klasse, sehr inter­es­sant, über­haupt als Frau auf eigene Faust durch so ein Land zu reisen,heutzutage mutig!!!, mal ein ganz ande­rer Reisebericht/Blog, gefällt mir!!

    1. Lena Kuhlmann says:

      Schön, dass es dir gefällt, Heike! Und schön, dass du dem Aus­druck verleihst :)
      Lie­ben Dank!

  2. Tamara Tomanic says:

    Echt super­gut geschrie­ben Lena, gro­ßes Kompliment!
    Man fühlt sich sofort mit­ge­ris­sen und in der Situa­tion! Sowohl infor­ma­tiv als auch ehr­lich und mit Charme und Witz verfasst :)
    Freue mich schon auf den nächsten!
    Grüße aus Wien !

  3. Hi Lena,

    das kann ich echt gut nach­voll­zie­hen. Meine Freun­din und ich unter­neh­men gerade eine 12 wöchige Reise auf Hawaii. Die Unter­kunft pla­nen wir immer recht spon­tan. Auch bei uns war es da schon das ein oder andere Mal sehr knapp mit der Unter­brin­gung. Wir haben uns schon auf dem Strand oder im Miet­wa­gen über­nach­ten sehen :D. Mal schauen wie die nächs­ten Wochen werden…was nicht ist, kann ja noch werden…muss aber von mir aus nicht ;).

    Liebe Grüße,
    Marco

    1. Lena Kuhlmann says:

      Hey Marco, das klingt span­nend! Wenn man nicht weiß, was pas­siert, ist man doch dank­bar für alles, was pas­siert :) Ich wün­sche euch noch eine tolle Reise! Lasst mal wie­der von euch hören!

  4. Daniel says:

    ver­rückt!

    War ich doch sel­ber noch vor einem Monat in Marokko unter­wegs, gibst Du hier Ein­blick in eine Welt, die ich trotz unzäh­li­ger Rei­sen in den ver­gleichs­weise teu­ren supra­tours linern nicht hätte erah­nen können.

    Das ist sie also, die Ober­schicht in Marokko.

    Was mich noch inter­es­sie­ren würde ist, wie ihr Yaniz ken­nen­ge­lernt habt.
    Denn wie Du schreibst, gibt es außer­halb der Palast­mau­ern eine Viel­zahl an Leu­ten, die den small­talk nur all­zu­schnell hin­ter sich las­sen wol­len – sich in mei­ner ent­täu­schen­den Erfah­rung aber immer eher als Freunde mei­nes ver­mu­te­ten Gel­des erwiesen.

    1. Daniel says:

      oh, keine ‚bearbeiten‘-Funktion; Ich meinte natür­lich die CTM liner. Supra­tours gehört ja zur Eisen­bahn und tut nicht ganz so westlich.

    2. Lena Kuhlmann says:

      Das war aber auch eine Par­al­lel­welt! Und Yaniz hat uns noch meh­rere sol­cher Ran­d­er­fah­run­gen ermög­licht. Ken­nen­ge­lernt haben wir ihn ein­fach mit­ten auf den Stra­ßen Marok­kos, wo er gerade ein Film­pro­jekt hatte. Wie es in Marokko eben ist: Du gehst ein­fach ein­mal über die Straße und hat­test schon drei nette Begeg­nun­gen. Dabei habe ich sie nicht unbe­dingt am Geld, son­dern am Men­schen inter­es­siert emp­fun­den. Aber das gibt es sicher beides.
      Ich werde noch einige Marokko-Geschich­ten schrei­ben. Dann bin ich gespannt, was du dazu sagst :)

  5. Denise Sisca says:

    Da steht man plötz­lich selbst am Tor, zurück­ge­las­sen, fra­gend, wie es ihnen wohl ergeht am Meer. Wun­der­schön! Ich freue mich auf das, was folgt.

  6. Tol­ler Bei­trag! Hin­ter all dem Glanz von die­sen Luxus­bur­gen ver­ber­gen sich Men­schen die ober­fläch­li­cher nicht sein könn­ten. In Sin­ga­pur hatte ich ein ähn­li­ches Gefühl, es wirkte wie ein Gefäng­nis für mich. Die Bewoh­ner müs­sen trotz dem Luxus sehr gelang­weilt sein, nur so kann ich mir all diese super­tol­len „Attrak­tio­nen“ die diese Insel bie­tet erklären. 

    Ein ein­fa­cher Urwald zum erkun­den würde es wohl auch tun, aber das wäre dann wie­der zu tief­sin­nig, ein­fach spa­zie­ren gehen.

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