Rausch auf dem Bolaven Plateau im Süden von Laos

Wer sich auf dem Bol­aven Pla­teau in Laos ver­irrt, den erwar­tet eine Über­ra­schung: Das Dorf Kok­phung­tai mit sei­nen Opium-rau­chen­den Bewohnern.

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Apa­thisch starrt die junge Frau vor sich hin, die Opi­um­pfeife fest am Mund. An ihrer rech­ten Brust saugt ein Klein­kind. Wei­tere Dorf­be­woh­ner von Kok­phung­tai, die an der Straße hin­ter Bambu-Tischen vol­ler Gemüse und Früch­ten dar­auf war­ten, dass Pas­san­ten anhal­ten und ihnen etwas abkau­fen, lachen und schwat­zen. Eine wei­tere Opi­um­pfeife wird durch die Reihe gereicht. Nie­mand beach­tet mei­nen Freund und mich, die mit auf­ge­ris­se­nen Augen zuse­hen. Bis ein Mann in wei­ßem T‑Shirt und knie­lan­ger Hose auf uns zuschlurft, die Hände in den Hosen­ta­schen ver­gra­ben. „Wollt ihr das Dorf sehen?“ Sein Eng­lisch ist so brü­chig wie die Lat­schen an sei­nen Füßen. Er nennt sich Hook, erzählt, dass er sein Dorf gegen den Wil­len sei­ner Fami­lie für einige Zeit ver­las­sen habe, um in Thai­land Eng­lisch zu ler­nen. Wir deu­ten auf die Opium rau­chen­den Stra­ßen­ver­käu­fer, er zuckt mit den Ach­seln. “Ist nor­mal. Wir bauen Schlaf­mohn an, gewin­nen Opium aus den Pflan­zen. Nicht alle rau­chen, aber wir den­ken, dass das gut ist für den Geist“. Auf die Frage, ob sie die­ses Opium auch ver­kauf­ten und wie viele Tou­ris­ten daran inter­es­siert seien, blickt er auf seine schmut­zi­gen Füße und scheint plötz­lich der eng­li­schen Spra­che weni­ger mäch­tig. “Kommt, ich zeige euch, wie die Men­schen hier leben“, wech­selt er das Thema und eilt in Rich­tung des schlam­mi­gen Weges, der ins Dorf führt.

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Zuvor habe ich gele­sen, dass Dro­gen mitt­ler­weile auch in Laos ille­gal sind, wobei der Anbau von Schlaf­mohn bereits im Jahre 2005 erheb­lich ein­ge­dämmt wurde und die Far­mer alter­na­tive Anbau­ar­ten für ihre Fel­der gezeigt beka­men. Viele Opi­um­ab­hän­gige soll­ten sogar reha­bi­li­tiert wer­den, doch kon­krete Ergeb­nisse dazu las­sen sich nicht fin­den. Diese Ent­wick­lun­gen schei­nen weit ent­fernt von dem selbst­ge­nüg­sa­men Dorf Kok­phung­tai in den sanf­ten Hügeln des Bol­aven Pla­teaus. Und doch beweist Hooks Reak­tion auf unser Opium-Inter­esse, dass ihm so man­ches Gesetz bekannt ist: Wird näm­lich ein Aus­län­der in Laos beim Dro­gen­kon­sum erwischt oder hat Dro­gen in sei­nem Besitz, kann ihm bes­ten­falls eine hohe Geld­strafe dro­hen, schlimms­ten­falls aber eine mehr­jäh­rige Gefängnisstrafe .

Satellitenschüsseln ja, Toiletten nein

Der erste Ein­druck von dem etwa 700-See­len­dorf Kok­phung­tai gleicht dem von vie­len ande­ren, ärm­li­chen Dör­fern in Laos. Viele Hüt­ten, die fast alle­samt auf Stel­zen ste­hen, wur­den mit Holz­lat­ten zusam­men­ge­häm­mert, wäh­rend andere far­big bemalt sind oder sogar über bunte Dach­zie­gel ver­fü­gen. Vor eini­gen Häu­sern ste­hen rie­sige Satel­li­ten­schüs­seln. “Sie kom­men aus China und sind recht bil­lig“, erklärt Hook. Eine Satel­li­ten­schüs­sel oder ein Fern­se­her seien mitt­ler­weile die belieb­tes­ten Mit­gif­ten, wenn eine Hoch­zeit anstehe.

So wich­tig die­ser Draht zur Außen­welt auch für die Dorf­be­woh­ner gewor­den ist, so geben sie sich, was die Hygiene betrifft, mit weni­ger zufrie­den: Ein klei­ner Junge hockt sich mit­ten auf den Dorf­platz und ver­rich­tet sein Geschäft, sehr zur Freude der umste­hen­den Hunde, die auf diese Weise zu einer schnel­len Mit­tags­mahl­zeit gelan­gen. Wie­der zeigt sich Hook gleich­gül­tig. “Toi­let­ten haben wir nicht, auch kein flie­ßen­des Was­ser“. Die Dorf­be­woh­ner sam­mel­ten das ganze Jahr über Regen­was­ser, von dem es natür­lich gerade wäh­rend der Regen­zeit jede Menge gäbe, was sie zum Trin­ken und Waschen ver­wen­de­ten. Ein kleine Gruppe Kin­der schaut des­in­ter­es­siert auf die aus­län­di­schen Besu­cher. Zwei der Jun­gen sind nackt, ein Mäd­chen hat sich eine lange Opi­um­pfeife zwi­schen die Beine geklemmt. Der Blick des Kin­des ver­liert sich in der Ferne, wäh­rend ein ande­res Mäd­chen nei­disch zu ihr aufsieht.

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Jenseits von Gut und Böse

Bei mei­ner Frage nach dem Glau­ben der Dorf­be­woh­ner wird Hook gesprä­chig. “Wir sind alle Ani­mis­ten und glau­ben an gute und böse Geis­ter. Der Büf­fel ist für uns ein guter Geist, der Hund ein böser“. Stolz erzählt er, wie eine Fami­lie, die von einer Krank­heit heim­ge­sucht wird, es nor­ma­ler­weise schafft, den bösen Geist, der sie befal­len hat, aus­zu­trei­ben. Er deu­tet auf einen Holz­bal­ken, der vor einem der Häu­ser auf zwei Pfähle gestützt steht. “Diese Fami­lie war vor ein paar Wochen krank und sie hat an dem Bal­ken einen wei­ßen Hund auf­ge­hängt, bis er tot war. Damit wurde der böse Geist ver­trie­ben und die Fami­lie war bald wie­der gesund“. Er fügt hinzu, dass ein schwar­zes Tier grund­sätz­lich einen guten Geist sym­bo­li­siere, ein wei­ßes aber einen bösen.

Nicht nur befin­den sich vor man­chen Häu­sern diese Opfer­pfähle, son­dern Stein­särge. Das sei ganz nor­mal, so Hook, denn schließ­lich wisse man nie, wann jemand sterbe. Einen Sarg bekomme aller­dings nur, wer eines natür­li­chen Todes gestor­ben sei. Wer statt­des­sen bei einem Unfall, wie einem Blitz­schlag, ums Leben komme, werde von einem bösen Geiste beses­sen und ohne Sarg begra­ben. “Nichts ist belei­di­gen­der für einen Geist, als Blut auf dem Boden eines Hau­ses“, fährt der junge Mann fort. “Des­we­gen muss eine schwan­gere Frau kurz vor der Geburt in den Wald gehen, zusam­men mit einer Freun­din, die ihr hel­fen kann“. Zu groß sei das Risiko, dass die Frau zu Hause gebähre und dabei ihr Blut den guten Geist ent­zürne. Nach der Geburt des Babys bleibe die Frau noch eine wei­tere gute Woche allein im Wald, bevor sie ins Haus zurückkehre.

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Je mehr Frauen, desto besser?

Unsere Neu­gier ist geweckt, wir wol­len mehr über das Fami­li­en­le­ben im Dorf wis­sen. Hook lächelt zum ers­ten Mal. Jeder Mann im Dorf dürfe bis zu vier Frauen hei­ra­ten, wovon jeweils drei mor­gens um zwei Uhr auf­ste­hen, um auf den Fel­dern zu arbei­ten, wäh­rend eine für die Essens­zu­be­rei­tung zu Hause zustän­dig ist. Auch die Män­ner arbei­te­ten teil­weise auf dem Feld, andere dage­gen blie­ben daheim und küm­mer­ten sich um Haus­halt und Kin­der. “Für einen Mann ist es natür­lich bes­ser, mehr Frauen zu haben, denn dann brin­gen sie auch mehr von der Ernte mit“.

Es seien immer die Eltern, die eine Frau für ihren Sohn aus­such­ten. “Als meine Eltern eine Frau für mich bestimmt haben, haben sie mir befoh­len, aus Thai­land zurück­zu­kom­men, ansons­ten wäre ich für immer aus der Dorf­ge­mein­schaft aus­ge­schlos­sen wor­den“. Im All­ge­mei­nen sei es sehr unge­wöhn­lich, dass ein Dorf­be­woh­ner jemals das Dorf ver­ließe, denn vor Ort habe man bereits alles, was man zum Leben brau­che – von der Ernte der Fel­der bis zu Was­ser und natür­lich Opium. “Auch eine Grund­schule haben wir hier, die die Kin­der ab etwa zehn Jah­ren besu­chen dür­fen“. Tat­säch­lich befin­det sich am Ein­gang des Dor­fes ein neu und sta­bil wir­ken­des Holz­haus, das die Schule dar­stellt und laut der gro­ßen Auf­schrift sogar von einer aus­län­di­schen Kin­der­hilfs­or­ga­ni­sa­tion unter­stützt wird, wie meh­rere Schul­pro­jekte in der Umge­bung. Zwei Mäd­chen schreien uns von dem Bal­kon der Schule ent­ge­gen und begin­nen zu kichern, als wir ihnen zuwin­ken. Hin­ter dem Rücken ver­ste­cken sie eine Pfeife.

Zurück auf der Straße, war­ten einige Dorf­be­woh­ner noch immer auf Kun­den für ihr Obst und Gemüse – und für ihr Opium. Das Klein­kind hängt fort­wäh­rend schlaff an der Brust sei­ner Mut­ter, die, noch immer rau­chend, mit lee­rem Blick vor sich hin­starrt. “Seid ihr sicher, dass Opium euren Geist schärft?“, frage ich. Hook senkt den Blick und zuckt mit den Schul­tern, bevor er sich schnell abwendet.

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Bernadette Olderdissen

Bernadette Olderdissen ist eine Geschichtensammlerin- und schreiberin. Schon in jungen Jahren verstand sie, dass ganz so viel Fantasie zum Schreiben gar nicht nötig war, denn die besten Geschichten schenkte ihr das Leben umsonst. Schenkten ihr die Menschen um sie herum. Als sie viele Geschichten gehört hatte, zog sie weiter. Sperrte die Ohren auf und schrieb alles nieder, was ihr die Menschen zu erzählen hatten. So trieb es sie immer weiter durch die Welt, mit ungesättigter Neugier und in der Gewissheit, dass sich die Menschen zwar überall auf der Welt verdammt ähnlich sind, jedoch keine zwei Geschichten identisch. Dieser Umstand ist schuld daran, dass sie noch immer nichts für die Rente gespart hat, sondern das Geld immer nur für die nächsten Reisen reicht. Und das findet sie auch gank okay so.

  1. Bernadette says:

    Hallo, vie­len Dank für den inter­es­san­ten Kom­men­tar. Ich habe auch von ande­ren Lesern bereits gehört, dass sich in den ver­gan­ge­nen Jah­ren viel in dem Dorf getan hat. Wel­che Ver­sion der Geschich­ten von Herrn „Hook“ nun stimmt, muss sich wohl jeder Besu­cher selbst überlegen :)

  2. hadorado says:

    Ich war vor ca. einem Jahr auch in die­sem Dorf. Uns erzählte Herr „Hook“ das ganze etwas anders. Er wäre wohl der ein­zige, der das Dorf jemals ver­las­sen hatte. Bil­dung hat bis auf Ihn in die­sem Dorf kei­ner. Die Men­schen dort glau­ben z.B. immer noch daran, dass die Erde eine Scheibe ist. Für Sie kom­men wir Tou­ris­ten alle aus dem glei­chen Land und wir spre­chen alle auch die glei­che Spra­che. Das andere Aus­se­hen, erklä­ren Sie sich ganz ein­fach. Große Men­schen sind groß weil Sie viel Brot essen. Sie sind klei­ner weil sie nur Reis essen. Men­schen mit roten Haa­ren haben zu viel Wein getrun­ken. Hell­häu­tige Men­schen arbei­ten weni­ger und dun­kel­häu­tige Men­schen arbei­ten mehr weil Sie mehr der Sonne aus­ge­setzt sind. Die Pfei­fen habe ich auch über­all gese­hen. Uns wurde jedoch erzählt dass die Men­schen dort Tabak rau­chen und damit in der Regel schon in jun­gen Jah­ren begin­nen. Habe sogar selbst an einer die­ser Pfei­fen gezo­gen. Von einem Opi­um­rausch kann ich aller­dings nichts berich­ten. Die meis­ten Ein­nah­men erzielt Herr Hook mit dem Ver­kauf von Tabak. Ihn selbst ist es unter­sagt die Gebäude der ande­ren Dorf­be­woh­ner zu betre­ten, da die Men­schen dort glau­ben dass seit dem Aus­lands­auf­ent­halt auf Ihm sowas wie ein Fluch las­tet. Das mit der Geburt und den Hun­den hat er uns auch so erzählt.

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