D

Die Fluss­pi­ra­ten vom Kali Gandaki

Sicher, mein Leben hätte anders ver­lau­fen kön­nen. Viel­leicht wäre ich sogar eine ehr­bare Per­son gewor­den; doch das Schick­sal hatte andere Pläne mit mir. Ein gutes Eltern­haus reicht nicht aus, um den Ver­lo­ckun­gen des Unste­ten zu wider­ste­hen. Meine vor­bild­li­che Aus­bil­dung half nichts gegen den Ruf des Aben­teu­ers. Meine alten Kame­ra­den – ein Hau­fen Lang­wei­ler; ver­gli­chen mit den toll­küh­nen Män­nern und Frauen in deren Mitte ich mich nun befinde.

Eher durch Zufall bin ich in den Kreis die­ser Uner­schüt­ter­li­chen gera­ten, doch ich bereue nichts. Wer uns sieht, dem leh­ren wir das Fürch­ten; wer unse­ren Schlacht­ruf hört, bekommt es mit der Angst – denn wir, wir sind Fluss­pi­ra­ten. ARRRRRRRRRRRRRR!

Zuge­ge­ben hatte ich bis vor Kur­zem die roman­ti­sche Vor­stel­lung, Pira­ten wür­den mit Augen­klap­pen, Kopf­tü­chern und Holz­bei­nen über die Plan­ken stol­zer Schiffe sta­ken. In letz­ter Zeit scheint sich die Mode unter den Vita­li­en­brü­dern aber ein wenig gewan­delt zu haben.

Rafting in Nepal

Auch die stol­zen Schiffe sind nicht mehr das, was sie ein­mal waren. Statt zwi­schen knar­ren­dem Holz und knat­tern­den Groß­se­geln sit­zen wir nun auf dicken Gum­mi­schläu­chen, neu-pira­tisch Rafts genannt, und pad­deln unse­ren zukünf­ti­gen Aben­teu­ern entgegen.

Unser Welt­meer ist der Kali Gan­daki. Benannt nach Kali, die Schwarze, der hin­du­is­ti­schen Göt­tin des Todes und der Zer­stö­rung. Genau das Gewäs­ser für uns Übermütige!

Der Kali Gan­daki gehört zu den hei­ligs­ten Flüs­sen Nepals. Er ent­springt in der tibe­ti­schen Hoch­ebene und frisst sich wütend und hung­rig wie ein alter See­bär durch den Fels. Zwi­schen den mäch­ti­gen Gip­feln des Dhau­la­giri und des Anna­purna gräbt er eine der welt­weit tiefs­ten Schluch­ten in den Hima­laya, trägt Gestein und Sedi­ment hinab in die Ebene und formt in sei­nem unte­ren Lauf eine der bes­ten Stre­cken fürs Wild­was­ser­raf­ting des Landes.

Von Mal­d­unga, etwa drei Bus­stun­den von Pokhara ent­fernt, bis nach Mirmi wer­den wir in drei Tagen rund 40 km den fürch­ter­li­chen Fluss hin­un­ter raf­ten, Strom­schnel­len bis zur Gefah­ren­klasse 4 entern und pira­ten­mä­ßig unsere Umge­bung unsi­cher machen.

Rafting in Nepal

Nach einer Pira­ten­mahl­zeit gehen wir end­lich dahin, wo sich Pira­ten am wohls­ten füh­len – aufs Was­ser. Unser Raft liegt gut in den Wel­len, die Mann­schaft, ver­we­gene Halun­ken aus allen Ecken der Welt, hält zusam­men. Wir neh­men schnell Fahrt auf. Die erste Strom­schnelle, Little Brot­her genannt, liegt schon vor uns.

Eis­kalt klatscht das Was­ser in unsere Gesich­ter, schäu­mende Wel­len bre­chen über unse­ren Köp­fen zusam­men. Doch wir fürch­ten weder Kali, noch sonst irgendetwas!

Why are pira­tes so hard? – Because they ARRRRRRRRRRRRRRRRRRRE!

Unsere Flotte besteht aus zwei Rafts, voll­be­setzt mit fähi­gen See­leu­ten – Plün­de­rern und Brand­schät­zern – einem Ver­sor­gungs­raft, das von einem(!) wahr­haf­ten Bären gesteu­ert wird und drei Kajaks, die stets zur Ret­tung bereit ste­hen, sollte einer von uns unvor­sich­ti­gen Was­ser­rat­ten doch uner­war­tet über Bord gehen.

Nach der Auf­re­gung um die erste Strom­schnelle ver­las­sen wir auch schon wie­der unsere Rafts. Auf den Little Brot­her, folgt der Big Brot­her, den wir samt unse­rem Gepäck umge­hen müs­sen. Pira­ten sind zwar toll­kühn, aber nicht leicht­sin­nig. Die Strom­schnelle ist etwas zu gewal­tig, etwas zu unbe­re­chen­bar, als dass wir sie sorg­los durch­pad­deln könn­ten. Ein guter Pirat weiß die Zei­chen der See zu lesen.

Mit ver­ein­ten Kräf­ten hie­ven wir unser Hab und Gut am Big Brot­her vor­bei und ver­tei­len alles erneut auf die Rafts. Dabei erleide ich den ers­ten Ver­lust mei­nes noch jun­gen Pira­ten­le­bens. Im rei­ßen­den Strom ver­liere ich einen mei­ner Flip-Flops, der auf nim­mer Wie­der­se­hen in den Flu­ten ver­schwin­det. Doch von so etwas lässt sich ein rich­ti­ger See­mann nicht beein­dru­cken; im umher­lie­gen­den Strand­gut finde ich schnell pro­vi­so­ri­schen Ersatz.

Dann fah­ren wir wie­der hin­aus auf den Fluss. Kali ist unsere Schutz­pa­tro­nin und meint es gut mit uns: Gemüt­lich schip­pern wir durch eine enge Schlucht. Meh­rere hun­dert Meter hohe Fels­wände ragen im 90° Win­kel über unsere Köpfe. Ein paar Büsche und Grä­ser hän­gen von den schrof­fen Klip­pen herab – grüne Farb­kleckse auf der brau­nen Steil­wand. Geier krei­sen über uns in der Höhe. Doch uns bleibt kaum genug Zeit die Ästhe­tik der Natur zu bewun­dern. Schon schwap­pen die Wel­len der nächs­ten Strom­schnelle ins Raft, die wir jauch­zend durch­fah­ren. Doch das ist erst der Anfang. Eine Strom­schnelle folgt der nächs­ten: Rie­sige Wel­len bauen sich vor uns auf, kra­chen in unser Raft. Wir sacken in Abgründe oder trei­ben meter­weit über dem Fluss auf den Wel­len­käm­men des Kali Gandaki.

Rafting in Nepal Rafting in Nepal

Wir lachen der Gefahr ins Gesicht. Vorne auf dem Bug machen wir es uns gemüt­lich; mit einer Hand am Seil, mit der ande­ren über dem Kopf jagen wir durch die Strom­schnel­len. Ein Rodeo-Ritt der beson­ders feucht-fröh­li­chen Art.

Am stei­ni­gen, von mas­si­gen Fels­bro­cken über­sä­ten Ufer fischen ein paar Kin­der mit selbst­ge­bas­tel­ten Net­zen, win­ken uns freu­de­strah­lend zu. Auch sie hat der Ruf nach Aben­teuer und Vogel­frei­heit bereits gepackt. Einer von ihnen sitzt auf einem auf­ge­pump­ten Auto­rei­fen. Seine Flip-Flops als Pad­del nut­zend, steu­ert er in unsere Rich­tung – ein Pirat in Ausbildung.

Gegen 15 Uhr errei­chen wir einen geräu­mi­gen Strand­ab­schnitt und schla­gen unser Lager auf. Die Pad­del des Ver­sor­gungs­rafts die­nen als Stüt­zen für eine Zelt­plane, unter der wir unsere Schlaf­sä­cke aus­brei­ten. Dann ist es Zeit für Snacks – Pira­tens­nacks: heiße Scho­ko­lade und Pop­corn. ARRRRRRRRRR!

Am Nach­mit­tag wächst die Mann­schaft wei­ter zusam­men. Wir sind schnell ein ein­ge­fleisch­ter Hau­fen. Nie­mand spielt bloß den Möch­te­gern-Pirat auf Zeit. Wir alle suchen das Aben­teuer; wir alle wis­sen woher wir kom­men, aber nicht, wohin wir gehen: Es ist das Schick­sal eines jeden Pira­ten, das uns mit­ein­an­der verbindet.

Als die Däm­me­rung ein­setzt, ver­sam­meln wir uns um ein Lager­feuer, erzäh­len Geschich­ten, spin­nen See­manns­garn, träu­men von Schät­zen und Schif­fen, las­sen uns unse­ren Pro­vi­ant schmecken.

Rafting in Nepal Rafting in Nepal

Der nächste Mor­gen beginnt mit pira­ten­mä­ßi­gem Kaf­fee. Auch Frei­beu­ter ach­ten auf eine aus­ge­wo­gene Ernährung.

Dann geht es wie­der aufs Was­ser und schon nach weni­gen Augen­bli­cken rüt­telt uns die Mor­ning Rapid kräf­tig durch. Noch nicht ganz wach sind wir schon ein­mal kom­plett durch­nässt. Ein paar wei­tere Strom­schnel­len for­dern uns an die­sem Vor­mit­tag her­aus. Ich kann ihnen nicht wider­ste­hen und werde von einer Welle aus dem Raft geris­sen. Schäu­mend bricht die Welt über mir zusam­men, doch auf die ande­ren See­bä­ren ist Ver­lass und in weni­gen Augen­bli­cke liege ich schon wie­der bäuch­lings im Raft. Mein dan­ken­des ARRRRRRRRRRRRR ist nicht mehr ganz so sie­ges­ge­wiss wie zuvor.

Doch bald beru­higt sich der Fluss – gemein­sam trei­ben wir badend neben dem Raft in den Flu­ten des Kali Gan­daki, der für ein paar Minu­ten gemäch­lich dahin zieht. Wir sin­gen Pira­ten­lie­der und ver­su­chen jeweils das Raft der ande­ren zu entern; schließ­lich ist es doch genau das, was Pira­ten so machen. Dann ist Mit­tags­pause. Die Mann­schaft ist hungrig.

Rafting in Nepal Rafting in Nepal

Zurück im Was­ser spie­len wir zunächst die edlen Ret­ter. In gleich meh­re­ren auf­ein­an­der­fol­gen­den Schnel­len ver­liert das zweite Raft regel­mä­ßig Besat­zungs­mit­glie­der aus ihren Rei­hen, die wir aus den Flu­ten fischen und groß­mü­tig zurück­ge­ben: Pira­ten neh­men keine Gefangenen.

Doch unser Hoch­mut kommt uns teuer zu ste­hen. In einem unacht­sa­men Moment gerät unser stol­zes Schiff zu sehr in Schief­la­gen. Noch kurz bevor wir ken­tern, ver­lässt die Besat­zung der gesam­ten rech­ten Seite unfrei­wil­lig das Raft, wäh­rend die linke Seite, eben noch hoch über den Wel­len schwe­bend, zurück auf die Was­ser­ober­flä­che klatscht. Da haben wir unser Aben­teuer, auf das wir schon die ganze Zeit zusteuern.

Rafting in Nepal Rafting in Nepal

Wir errei­chen unser Tages­ziel: Ein klei­ner Strand und eine rich­tige Pira­ten­braut, die uns mit Bier, Rum und Ziga­ret­ten ver­sorgt. Am Abend pras­selt erneut ein Lager­feuer in unse­rer Mitte.

Unsere Kapi­täne geben sich die Ehre. Auf Eimern schla­gen Sayas, Govinda, Dinesh und die ande­ren ein paar Rhyth­men und sin­gen mit uns nepa­le­si­sche Pop­songs, zu denen wir nicht nur freu­de­trun­ken um das Feuer tanzen.

Spät in der Nacht träume ich von einem bär­ti­gen Chor auf offe­ner See:

What shall we do with the drun­ken sailor,

What shall we do with the drun­ken sailor,

What shall we do with the drun­ken sailor,

Early in the morning?

Rafting in Nepal

Als die Sonne ihre ers­ten Strah­len über die Schlucht schickt, sitze ich bereits mit einer Tasse Kaf­fee im wei­chen Sand und schaue hin­auf auf den Fluss. Der Shanty klingt noch immer in mei­nen Ohren.

Wir packen unsere Sachen zusam­men, ver­la­den alles auf die Rafts und begrü­ßen kurz danach die Guten-Mor­gen-Strom­schnelle. Noch bevor wir aus dem Schat­ten der Fel­sen in die ers­ten Son­nen­strah­len pad­deln, sind wir schon wie­der durch­nässt. Der letzte Stre­cken­ab­schnitt der Tour bleibt jedoch eini­ger­ma­ßen gemüt­lich. Wir haben Zeit unsere Umge­bung etwas genauer zu betrach­ten; die Dör­fer am Fluss­ufer, die fischen­den Kin­der, die uns auf­ge­regt zuwin­ken. Etwas wei­ter Strom­ab­wärts fin­det eine Ver­bren­nungs­ze­re­mo­nie statt. Dem Kali Gan­daki, dem hei­li­gem Fluss der Hin­dus in Nepal, wird die Asche der Ver­stor­be­nen über­ge­ben, die gleich hier am Ufer ver­brannt werden.

Rafting in Nepal Rafting in Nepal

Es sind nur ein paar Stun­den, die wir heute im Was­ser ver­brin­gen. Vor dem Stau­damm in Mirmi endet unser drei­tä­gi­ger Raf­ting­törn. Wir gehen an Land doch in unse­ren Her­zen blei­ben wir alle für immer Fluss­pi­ra­ten. ARRRRRRRRRRRRRRR!

Cate­go­riesNepal
Avatar-Foto
Morten & Rochssare

Per Anhalter und mit Couchsurfing reisen Morten und Rochssare ab 2011 zwei Jahre lang zwischen Feuerland und der Karibik kreuz und quer durch Südamerika. Seit 2014 trampen die beiden auf dem Landweg von Deutschland nach Indien und weiter nach Südostasien. Von ihren Abenteuern und Begegnungen erzählen sie auf ihrem Blog und in ihren Büchern „Per Anhalter durch Südamerika“ und „Per Anhalter nach Indien“, jeweils erschienen bei Malik National Geographic.

  1. Robert says:

    Wow, das klingt nach einer tol­len Raf­ting­tour! Ich bin beein­druckt. Und sehr cool geschrie­ben. Ich freu mich erst mal auf den Som­mer, Süd­ti­rol Cam­ping Urlaub. :)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert