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Meine Stadt unter Wasser

Mexiko, Sep­tem­ber 2011.

Im Sep­tem­ber reg­net es in der mexi­ka­ni­schen Mega­stadt. Es reg­net viel und der Regen kommt immer um vier Uhr nach­mit­tags. Das weiß ich seit 2009, als ich das erste Mal hier war. Damals machte mir die­ses Wet­ter zu schaf­fen, ich hatte mit einem star­ken Jet­lag zu kämp­fen und kam sel­ten vor Mit­tag aus dem Bett. Immer wenn ich mich auf­machte, die Stadt zu erkun­den, kam mir ein Schwall gro­ßer Trop­fen ent­ge­gen. Zwei Jahre spä­ter nehme ich das Wet­ter nicht mehr als so schlimm wahr. Viel­leicht reg­net es die­ses Jahr weni­ger. Oder viel­leicht habe ich jetzt ein­fach bes­se­res Schuh­werk an und komme nicht mehr mit durch­näss­ten Füßen nach Hause.Ich wohne die vier Wochen, die ich in der Stadt ver­bringe, bei mei­nen ehe­ma­li­gen Mit­be­woh­nern. Die Umge­bung ist ver­traut, ich fühle mich wohl. Es ist, als wäre keine Zeit ver­gan­gen, obwohl wir uns fast ein Jahr lang nicht gese­hen haben. Ich lerne einen Freund mei­ner Mit­be­woh­ner ken­nen, der im Okto­ber eine Reise nach Europa geplant hat und kur­zer­hand beschließt, auch mich und meine Stadt zu besu­chen. Ich freue mich dar­auf, denn meine Stadt las­sen viele Latein­ame­ri­ka­ner bei ihren Europa-Rei­sen aus. Sie hat ein­fach kei­nen so klin­gen­den Namen wie Paris, Lon­don, Ber­lin oder Madrid und dass es mein Land über­haupt gibt, das wis­sen viele auch nicht.

An einem Tag kurz vor mei­ner Abreise wol­len wir gemein­sam kochen. Ich erkläre mich bereit, für das Essen ein­kau­fen zu gehen. Ich ziehe meine fes­ten Schuhe an und fahre mit dem Lift ins Erd­ge­schoß, über­quere den Park­platz und gehe zum klei­nen Super­markt am Eck. Die Stra­ßen sind noch nass vom Regen des Vor­ta­ges. Die Was­ser­lat­schen (Regen­pfüt­zen) mit­ten am Geh­weg ver­an­las­sen mich, ihnen im Zick-Zack auszuweichen.

An einer Lat­sche bleibe ich ste­hen. Ich sehe etwas im Was­ser lie­gen, das meine Auf­merk­sam­keit erregt. Ein Foto-Dia. Ich weiß nicht warum, aber mir pas­siert es in Latein­ame­rika öfters, dass ich Nega­tive oder Dias in Was­ser­lat­schen ent­de­cke. Und nur dort. Viel­leicht beob­achte ich inten­si­ver, was sich um mich herum befin­det. Oder viel­leicht fal­len dort Bil­der ein­fach häu­fi­ger ins Wasser.

Ich hebe das Dia auf und halte es gegen den Him­mel, um zu sehen, was dar­auf ist. Ich staune nicht schlecht: Auf dem Bild befin­det sich einer der wich­tigs­ten Plätze mei­ner Hei­mat­stadt. Es ist eine alte Auf­nahme, aus den 50ern oder 60ern. Ich frage mich, wie die­ses Dia hier auf den Geh­weg kommt. Ich hätte nie bemerkt, dass irgend­ein Kul­tur­in­sti­tut oder ähn­li­ches in der Nähe der Woh­nung mei­nes Freun­des ange­sie­delt wäre. Ein ver­steck­tes Zei­chen an mich? Viel­leicht ein Hin­weis dar­auf, dass es tat­säch­lich wie­der Zeit ist, in meine Stadt zurückzukehren?

Ich ste­cke das Dia ein und erle­dige meine Ein­käufe. Als ich wie­der in der Woh­nung bin, schenke ich es dem Freund, der mich einen Monat spä­ter in mei­ner Hei­mat besu­chen wird. Nach sei­ner Europa-Reise sollte er mir sagen, dass meine Stadt eine der schöns­ten in Europa wäre. Und obwohl es mich immer wie­der in die Ferne zieht muss ich zuge­ben: Recht hat er.

Cate­go­riesMexiko
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Hanna Silbermayr

Oft sind es die kleinen Dinge, die uns zum Staunen bringen. Begegnungen und Gespräche, die zum Nachdenken anregen, uns einen Moment innehalten lassen in einer Welt, die sich immer schneller zu drehen scheint, uns ein Lächeln entlocken.

Solche Momente möchte ich nicht für mich behalten, sondern mit Euch teilen. Ich, das ist eine ausgebildete Grafikdesignerin, studierte Romanistin und Politikwissenschaftlerin, die im Namen des Journalismus immer wieder in Lateinamerika unterwegs ist. Demnächst wohnungslos und in stetiger Bewegung.

  1. Nadine says:

    Es ist schon ein sehr gro­ßer und lus­ti­ger Zufall, dass du in Mexiko ein Dia aus dei­ner Hei­mat gefun­den hast. Die Welt ist groß und manch­mal doch so ver­dammt klein. *g* Auf einer Reise nach Schwe­den habe ich mal ein Paar aus St. Leon­hard im Pas­sei­er­tal getrof­fen. Wir woh­nen gar nicht weit von­ein­an­der ent­fernt, muss­ten aber erst nach Schwe­den rei­sen, um uns über den Weg zu laufen. :)

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