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Chefchaouen: Blau sein geht auch ohne Branntwein

Marokko. Wir schlen­dern gerade durch einen abge­le­ge­nen Teil der Medina von Chef­chaouen, als in einem klei­nen Tür­spalt das Gesicht eines betag­ten Man­nes erscheint. „Salem Alei­kum“, raunt er uns zu. Wir grü­ßen zurück und gehen ohne anzu­hal­ten einige Schritte wei­ter. „Salem Alei­kum“, hallt es wie­der hin­ter uns durch die Gasse. Der Greis steht vor sei­ner Tür. Sein Lächeln zeigt wirre und ver­wit­terte Zähne, seine fal­tige Hand winkt uns zu sich. Wir schauen uns an. Sol­len wir? Wie ein Händ­ler wirkt er nicht.

Wir stel­len uns vor. Saïd bie­tet zwar kei­nen Tee, aber immer­hin zwei Stühle in sei­ner klei­nen Behau­sung an. Es ist die erste Woh­nung in Chef­chaouen, die wir von innen sehen, und wie über­all in der Stadt ist auch hier alles blau. Boden und Wände sind aus Stein und bis Hüft­höhe in dunk­lem Lapis­la­zuli-Ton gestri­chen, dar­über him­mel­blau. An vie­len Stel­len blät­tert der Putz ab. Warum blau? „C’est mieux pour la pro­preté“, erklärt Saïd auf Fran­zö­sisch, „es ist bes­ser für die Sau­ber­keit. Wenn die Wände weiß wären, wäre alles sofort dre­ckig.“ Ande­ren Erzäh­lun­gen zufolge schützt die Farbe die Bewoh­ner vor dem bösen Blick.

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Der Raum ist win­zig und dun­kel, man kann sich kaum auf­rich­ten. Mit unse­ren drei Hockern und ein paar Zeit­schrif­ten ist er schon fast aus­ge­füllt. Die angren­zende Küche ist noch klei­ner. Fens­ter gibt es keine, die ein­zige Licht­quelle ist die Tür, die daher auch bestän­dig und für Jeden offen steht.

Es ist unser ers­ter Tag in Marokko und wir sind fas­zi­niert, wol­len mehr über die Kul­tur und den König erfah­ren. Statt­des­sen zieht es Saïd vor, uns Vor­träge über den deut­schen Fuß­ball zu hal­ten. Die Sieb­zi­ger, das seien noch Zei­ten gewe­sen, mit Becken­bauer, Ove­r­ath, Hoe­neß und Net­zer. Tolle Zei­ten, damals. Das waren noch Spie­ler, anno 74, als sie den Titel geholt haben. Breit­ner und Mül­ler im Finale, jaja, genau. Was für ein Fachwissen.

Saïd zeigt uns Fotos von Chef­chaouen und von ihm mit euro­päi­schen Freun­den. Das Thema geht über zu unse­rem Alter. „22 und 24 sind wir, et toi?“ „Schätzt mal.“ „65“, ant­worte ich sehr kon­ser­va­tiv und Tho­mas sagt: „70.“ Als Saïd lachend „cin­quante neuf“ erwi­dert, sind wir ein biss­chen geschockt.

„Guten Cous­cous bekommt man hier nicht über­all“, sagt Saïd, „er muss über meh­rere Stun­den vor­be­rei­tet wer­den.“ Wir bit­ten ihn, uns zu einem ein­hei­mi­schen Restau­rant zu füh­ren. In zehn Minu­ten bie­gen wir zwan­zig­mal ab und ver­lie­ren min­des­tens ein­mal die Ori­en­tie­rung. Wir kom­men an einem Restau­rant an, des­sen ara­bi­schen Namen wir uns nicht mer­ken kön­nen. Der Besit­zer ist Saïds Freund, wir über­rei­chen ihm einen Vor­schuss für Cous­cous mit Lamm und ver­ab­re­den uns für den sel­ben Abend um sie­ben Uhr zum Essen.

Saïd ver­ab­schie­det sich, wir schlen­dern alleine wei­ter, vor­bei an Sou­ve­nirs, die vor der blauen Kulisse attrak­ti­ver wir­ken als sonst. Die Post­kar­ten sind, natür­lich, blau, Ber­ber­tep­pi­che und Gewän­der hän­gen bunt wie Regen­bö­gen von Wäsche­lei­nen. Es riecht nach Safran, Seife, Fisch und Fäka­lien aber auch nach: Gras. Chef­chaouen ist ein Hip­pie-Para­dies. Der Mari­huana-Anbau im wei­te­ren Umkreis der Stadt ist ein offe­nes Geheim­nis und wird von den Behör­den tole­riert. An jeder Ecke ver­nimmt man „hello, smoke?“ und die Muti­gen kön­nen mit Gui­des zur Farm mar­schie­ren und sich den fri­schen Stoff direkt aus der Pflanze in die Hand drü­cken lassen.

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Wir set­zen uns mit einem Fla­den­brot auf eine Bank am Markt­platz und beob­ach­ten das Trei­ben. Streu­ner­kat­zen stre­cken ihre Pfo­ten aus und tip­pen unsere Ellen­bo­gen an, sie hof­fen auf ein Stück vom Essen. Gegen­über befin­det sich eine Restau­rant­zeile. Vor jeder Gast­stätte ste­hen Män­ner ähn­li­chen Schlags: Sie sind Pro­fis der Kun­den-Akquise. Mit den Hän­den in den Hosen­ta­schen und einem Menü unterm Arm scan­nen sie die vor­bei­zie­hende Menge auf Tou­ris­ten. Sobald sie einen Wei­ßen erspä­hen, geht’s los. Sie fah­ren ihre Angel aus und gehen schnur­stracks auf die poten­ti­elle Kund­schaft zu. Der Köder: Die Spei­se­karte, die Jedem, ob er will oder nicht, direkt unter die Nase geklatscht wird. Eine säu­se­lige Stimme unter­malt das unge­wollte Inter­mezzo und faselt von „best price in town“ und „top food ara­bic-style“. Einige Fische bei­ßen an, viele schwim­men wei­ter. Aber so leicht geben sich die Ang­ler nicht geschla­gen. Solange die Beute noch in Sicht­weite ist, kann sie auch an Bord geholt wer­den. Der Ton wird rauer, lau­ter, bei­zei­ten sogar pene­trant. Dass freund­li­ches Abwei­sen oft­mals nicht hilft, wer­den auch wir in den kom­men­den Tagen noch ler­nen. Irgend­wann geben sie auf, ste­cken das Menü wie­der unter den Arm und bege­ben sich wie­der zu ihrem Aus­sichts­punkt. Schon ein selt­sa­mer Berufs­zweig, diese Fisch… äh Kundenfänger.

Wir bege­ben uns auf die Suche nach dem Restau­rant. Als wir es fin­den, ist es zehn nach sie­ben und wir ste­hen vor ver­schlos­se­ner Tür. Ver­dammt. Den Besit­zer ken­nen wir zwar nicht, aber Saïd hat­ten wir eigent­lich nicht als Hals­ab­schnei­der ein­ge­schätzt. Ob die 50 Dir­ham weg sind? Wir dre­hen eine Runde in der Absicht, spä­ter noch­mal vorbeizuschauen.

Zurück in die Gas­sen, also. Der Muez­zin ruft, die Händ­ler auch. Immer sind es Män­ner, die mit den Tou­ris­ten in Kon­takt tre­ten, von Frauen wird man sel­ten ange­schaut und nie ange­spro­chen. Die pit­to­res­ken Ecken der Medina wir­ken wie von einem ande­ren Pla­ne­ten, wie eine Film­ku­lisse aus Star Wars, sie ver­zau­bern uns und las­sen uns blau im Kopf wer­den, nur dass wir nicht blau sind, denn Alko­hol ist hier uner­wünscht. Ein Fei­gen­baum wächst mit­ten aus der Mauer, einige kleine Früchte ver­ste­cken sich in den höchs­ten Ästen, sie schme­cken zuckersüß.

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Wir las­sen uns auf einer Holz­bank nie­der. Plötz­lich erscheint ein jun­ger Mann vor uns, groß und dürr, offe­nes Gesicht. „You are Ger­man, right? Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“, schießt es aus ihm her­aus, seine Mund­win­kel zie­hen sich weit nach oben und ein gro­ßes Gebiss wird sicht­bar. Er wirft einen kur­zen Blick auf sein Uralt-Nokia und fügt mit brei­tem ara­bi­schem Akzent hinzu: „Lie­ber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.“ Hahaha, was ist denn hier los? Der gewiefte Schlaks arbei­tet im Hotel nebenan und lernt von sei­nen aus­län­di­schen Gäs­ten regel­mä­ßig neue Rede­wen­dun­gen, die er in sei­nem Handy ein­spei­chert. Neben ara­bisch spricht er auch flie­ßend spa­nisch, fran­zö­sisch und eng­lisch sowie akzep­ta­bles deutsch. Cha­peau! „Alles hat ein Ende nur die Wurst hat zwei“, hat er auch drauf, nach unse­rer Begeg­nung kann er außer­dem: „Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hin­ein.“ Wir wis­sen dafür, wie man einen Marok­ka­ner nach sei­nem Namen (smicek) und sei­nem Befin­den (kideyer) fragt.

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Die Zeit ver­streicht und es ist kurz vor acht, als wir wie­der vor dem Restau­rant ankom­men. Dies­mal steht die Tür Gott sei dank offen. Saïds Freund sitzt zusam­men­ge­sun­ken auf der Treppe und ist auf­rich­tig froh, als er uns erblickt, denn wir sind die ein­zi­gen Gäste an die­sem Abend.

Sofort schwirrt er wie eine Biene in die Küche und gibt dem Cous­cous den letz­ten Schliff. Im Laden ste­hen nur zwei Tische, an der Wand hängt ein geschwun­ge­ner Dolch und ein Bild vom Besit­zer, wie er seine Gäste bedient. In der Ecke lie­gen leere Geträn­ke­kis­ten und einige Töpfe, aber uns gefällt, dass hier nicht alles auf Hoch­glanz poliert ist.

Dann kommt das Essen, eine „big plate, more than enough for three peo­ple“, wird uns ange­kün­digt, und den Wor­ten folgt eine gewal­tige Tat: Der Wirt kre­denzt eine rie­sige Ton­schale voll mit Cous­cous, dar­auf tür­men sich gekochte Kicher­erb­sen, Karot­ten, Kar­tof­feln und Zuc­chi­nis. Das Fleisch ver­steckt sich dar­un­ter. Wir haben einen Mords­hun­ger, es schmeckt herr­lich. Wir bekom­men die Schale nicht ganz leer, aber der Magen ist voll. Ein gezu­cker­ter Minz­tee wird uns schließ­lich auch noch ser­viert. Ein Ber­ber-Sprich­wort lau­tet: Ein guter Mann hat immer ein freund­li­ches Wort für den Ort, wo er die Nacht ver­bringt. Chef­chaouen, du bist hinreißend.

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David Wünschel

Irgendwo zwischen den Reisterrassen Nepals und der staubtrockenen Wüste Israels wurde das Rucksack-Reisen zu Davids Leidenschaft. Mittlerweile studiert er im Zweitversuch Journalismus. Manchmal sitzt er im Hörsaal oder in seinem kleinen Zimmer und denkt an fremde Länder. Dann kommt das Fernweh, dann beginnt das Warten auf die Semesterferien: Um endlich wieder losziehen zu können.

  1. Anja says:

    Hallo David…dein Bei­trag gefällt mir sehr gut.
    Ich war schon einige Male in Marokko und habe
    schon vie­les gese­hen und ken­nen­ge­lernt, aber in
    Chef­chaouen war ich noch nicht, aber es wäre schön
    die­sen Ort kennenzulernen.
    Dein Bei­trag hat mich neu­gie­rig gemacht.

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