Mailand

Die Sonne scheint auf die Corso Bue­nos Aires. Ein Sams­tag im März, die Luft ist mild in Mai­land, wenn auch nicht ohne-Jacke-raus-mild, wie wir gehofft hat­ten. Seit zwei Tagen erkun­den wir die zweit­größte Stadt Italiens. 

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Diese Straße, hat die Freun­din mor­gens im Hotel vor­ge­le­sen, ist die längste Ein­kaufs­meile Ita­li­ens und nir­gends in Europa ist die Dichte an Geschäf­ten höher. Meine Begeis­te­rung hielt sich in Gren­zen – ich hab’s nicht so mit stun­den­lan­gem Shop­pen. Statt der Laden­ein­gänge nehme ich die Haus­fas­sa­den ins Visier: Brü­chi­ger Putz, ver­ein­zelt gelb oder orange, meist aber grau­braun und stel­len­weise so ver­färbt, als hät­ten ein­mal meter­hohe Flam­men gegen die Wände geschla­gen. Trotz­dem wir­ken die Gebäude nicht dre­ckig, son­dern cha­rak­ter­voll mit ihren Bal­ko­nen, auf denen sich Pflan­zen ums Gelän­der schlin­gen, mit ihren Ver­zie­run­gen –Jugend­stil? Nicht dass ich Ahnung hätte – und die­sen Fens­ter­lä­den, die ich so liebe.

Gegen Mit­tag wird es wuse­lig. Immer mehr Men­schen mit immer mehr Tüten kom­men uns ent­ge­gen, in den Sei­ten­stra­ßen bim­meln die gel­ben Mai­län­der Trams jetzt öfter.

Mailand

Wir machen eine Pause in einem der vie­len Cafés, die hier Bars hei­ßen. Ein schma­ler Raum mit Tre­sen, an dem dicht an dicht Gäste neben­ein­an­der ste­hen, vor ihnen je eine Mini­tasse und ein Minitel­ler mit Gebäck. Ein Mann fal­tet seine Zei­tung aus­ein­an­der, viel Platz hat er dafür nicht. Gegen­über machen sich Baris­tas an rie­si­gen Kaf­fee­au­to­ma­ten zu schaf­fen. Geschirr klap­pert, Maschi­nen zischen, die Stim­men der Mit­ar­bei­ter kämp­fen gegen den Lärm an, wenn eine Bestel­lung fer­tig ist.

In Mai­land darf man nicht so zim­per­lich sein, denke ich, als jemand sich unsanft an mir vor­bei­drän­gelt und mei­nen ver­ständ­nis­lo­sen Blick mit einem knap­pen Nicken quit­tiert. Hier reißt man sich nicht stän­dig vor­ein­an­der zusam­men. Man ist man selbst und tut, wonach einem der Sinn steht, egal, was die ande­ren denken.

Haben wir öfter beob­ach­tet. Ein Paar, gar nicht mal so jung, knutschte mit­tags am Haupt­bahn­hof wild und film­reif an eine Wand gepresst. Ein ande­res Paar zoffte sich auf der Via Dante – Rie­sen­szene, Schub­sen (sie ihn) und Nach­lau­fen (er ihr) inklu­sive –, nur um sich zwei Stra­ßen­ecken spä­ter wie­der in den Armen zu liegen.

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Über den Dom­platz schweb­ten Frauen in gut sit­zen­den Schur­woll­män­teln und glän­zen­den Stie­feln so auf­recht und anmu­tig, dass ich öfter an mir her­un­ter­sah und mei­nen Zwie­bel­look mit Strick­ja­cke für keine gute Idee mehr hielt. Und wünschte, ich hätte meine Schuhe auch mal geputzt.

Mailänder Dom

Oder die Frau am Kas­sen­schal­ter im U‑Bahn-Schacht, die uns die voll­kom­men unnütze „Milano Card“ ver­kaufte: Sie feu­erte unser Wech­sel­geld in die Durch­rei­che, schloss ihre Sprech­klappe mit einem Knall, stand auf und ging, ohne uns ein ein­zi­ges Mal ange­se­hen zu haben.

Frech und unver­fo­ren. Und echt und pur und unverstellt.

Wie die kleine, alte Dame, die gerade das Café betre­ten hat. Sorg­fäl­tig geschminkt ist sie und auf­wän­dig fri­siert, ihrem Man­tel sieht man an, dass er nicht bil­lig war. In ihrem Gesicht regt sich nichts, als sie das Gedränge vor der Theke sieht. Und dann fackelt sie nicht lange. Statt sich anzu­stel­len, geht sie ziel­stre­big auf die Vitrine mit dem Gebäck zu, greift hin­ein und fischt ein läng­li­ches Teil­chen her­aus, streckt den Arm hoch über die Köpfe der War­ten­den am Tre­sen und wedelt damit kurz in Rich­tung der Baristas.

Die­ses Bild werde ich vor Augen haben, wann immer ich an Mai­land denke: die alte Dame, die jetzt herz­haft in ihr Pud­ding­ge­bäck beißt. Und sich dann läs­sig den Puder­zu­cker von der Schul­ter klopft.

Cate­go­riesIta­lien
Susanne Helmer

Journalistin aus Hamburg, die es immer wieder in die Welt hinauszieht. Gern auch für etwas länger. Am Ende jeder Reise stand bislang immer dasselbe Fazit: Kaum etwas im Leben euphorisiert und bereichert sie so sehr wie das Anderswosein. Und: Reisen verändert.

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