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Machu Picchu – Verschollen in Wolken

In den Anden. In Peru. Der Regen hat ein wenig nach­ge­las­sen, als mich mein Wecker aus unru­hi­gem Schlaf holt. Drau­ßen ist es noch stock­fins­ter und still, nur die Dach­zie­gel wer­fen das Geräusch der auf­pras­seln­den Regen­trop­fen zurück durch mein Fens­ter. Als ich aus dem schmut­zi­gen Bad mit dem Schim­mel­pilz über der Dusch­ka­bine trete, fällt mir noch etwas auf, das durch mein Fens­ter hin­ein fiel. Eine Bana­nen­spinne, so groß wie mein Hand­tel­ler, krab­belt soeben am holz­ver­klei­de­ten Fens­ter­la­den hinab. In mei­nem Zim­mer sucht sie wohl Schutz vor dem Regen.

Für mich geht es hin­aus. Unweit des Dor­fes schlän­gelt sich der Río Uru­bamba zwi­schen den in dun­kels­ten Grün­tö­nen bewach­se­nen Ber­gen hin­durch. Dort, wo eine kleine Holz­brü­cke den Fluss über­quert, treffe ich auf Milo. Zwei hüb­sche Israe­lin­nen sind eben­falls dabei. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber müsste ich dar­auf wet­ten, würde ich mei­nen, Milo hatte ges­tern Nacht etwas mit bei­den. Wir begrü­ßen uns knapp und wort­karg, unsere Begeis­te­rung zu die­ser frü­hen Stunde und bei dem Regen hält sich in Gren­zen. Ich weiß nicht, warum ich etwas ande­res erwar­tet habe als Regen. Hört man den Begriff Regen­zeit, sollte man genau das erwar­ten. Oder etwa nicht? Aber in mei­nem Kopf hatte ich mir eine Art Auf­schub gegönnt, hatte gedacht: „Sicher, die Regen­zeit beginnt Mitte Dezem­ber und ich werde erst Anfang Januar Machu Pic­chu besu­chen. Aber es ist sicher wie mit unse­ren Jah­res­zei­ten zu Hause, da gibt es ab und an Ver­zö­ge­run­gen. In die­sem Jahr bedeu­tet das, die Regen­zeit beginnt genau dann, wenn ich abge­reist bin.” Dar­aus wird nichts. Es schüt­tet zwar nicht ganz so stark wie ges­tern Abend, aber immer noch stark genug, um uns durch­zu­wei­chen. Als es hell wird und wir die mit Flech­ten und Moos bewach­se­nen Stu­fen des Anstiegs in Rich­tung Inka-Fes­tung in Angriff neh­men, ver­liert der Regen aber schlag­ar­tig an Bedeu­tung. Zum einen, weil der Weg mit jedem Schritt mehr an Mys­tik und Fas­zi­na­tion gewinnt. Rund­herum erstre­cken sich aus Nebel­schwa­den grüne Berge und da wir genau wis­sen, was uns oben am Ziel erwar­tet, schlägt unser Herz noch schnel­ler. Aber zum ande­ren und vor allem, weil die­ser Anstieg wie­der ein­mal eines ist: Mords­an­stren­gend. Hier bin ich nun, steige schnau­fend und mit ste­chen­den Ober­schen­keln eine Stufe nach der ande­ren hin­auf. Wie immer in sol­chen Momen­ten sagt mir meine innere Stimme das Übli­che. „So etwas nie wie­der! Wenn ich das geschafft habe, werde ich mich ordent­lich beloh­nen.” Gut, dass man meis­tens nur ein paar Tage auf diese Stimme hört. Was einem sonst alles ent­ge­hen würde!

 

Nichts zu sehen

 

Der Anstieg kos­tet uns etwa andert­halb Stun­den und ver­langt die volle Kraft, plus die volle Kon­zen­tra­tion, um nicht auf den regen­nas­sen Stu­fen Halt zu ver­lie­ren. Doch schließ­lich ist es – und sind wir – geschafft. An der Kas­sen­schlange vor­bei, denn ich habe im Vor­feld in einem Rei­se­büro in Cuzco mein bil­lete turistico gekauft, gehen wir schnur­stracks in Rich­tung der „Hütte des Ver­wal­ters des Grab­fel­sens”. An die­sem Punkt endet nicht nur der soge­nannte Inka­trail, son­dern von hier aus hat man auch den bes­ten, den über­wäl­ti­gends­ten Blick auf die Fes­tung Machu Pic­chu. Sagt man. Was man einem nicht sagt, ist die ein­fa­che meteo­ro­lo­gi­sche Tat­sa­che, dass dank der Regen­wol­ken und der gerade erst auf­ge­hen­den Sonne die kom­plette Kulisse in nasse Nebel­schwa­den, ja Wol­ken, ver­hüllt ist. Auf seine ganz eigene Art ist auch das abso­lut über­wäl­ti­gend – eine Stadt in den Wol­ken lässt mich noch mehr Respekt für die Inka-Kul­tur zol­len, die diese Fes­tung vor etwa sechs­hun­dert Jah­ren mit nichts ande­rem als Kör­per­kraft und ihrem archi­tek­to­ni­schen Ver­ständ­nis erbaute. Lei­der kann ich die Fes­tung selbst mit dem berühm­ten, oval geform­ten Berg dahin­ter, dem Wayna Pic­chu, vor lau­ter Nebel gar nicht sehen. Bis auf grau und weiß sehe ich über­haupt nichts. Milo steht neben mir und blickt in den Dunst, und nur ihm zuliebe bewahre ich Hal­tung und ver­berge meine Ent­täu­schung zumin­dest nach außen hin. Inner­lich sieht es zuge­ge­be­ner­ma­ßen trübe aus, ähn­lich trübe wie der Aus­blick. Nach einer kur­zen Rast beschließe ich, die­ser Ent­täu­schung keine Chance zu las­sen und etwas zu unter­neh­men. Also ver­ab­rede ich mich mit Milo für spä­ter und gehe allein in Rich­tung „Inka-Zug­brü­cke”, die den letz­ten Abschnitt des Inka­trails markiert.

Sie zu über­que­ren ist mir aber nicht ver­gönnt. Es hat zu stark gereg­net, und die Was­ser­mas­sen der ver­gan­ge­nen Tage haben den Wan­der­weg stel­len­weise so stark abge­wa­schen, dass er zu rut­schig und von der perua­ni­schen Tou­ris­mus­be­hörde, die hier alles kon­trol­liert, für unpas­sier­bar erklärt wurde. Alle, die sich der­zeit auf dem Inka­trail befin­den, müs­sen somit war­ten. Immer­hin habe ich es schon bis nach Machu Pic­chu geschafft. Aber die Brü­cke möchte ich doch gerne sehen, also über­steige ich das an deut­sche Bau­stel­len erin­nernde, rot-weiß gestreifte Absperr­band und gehe vor­sich­tig noch etwa zwei­hun­dert Meter wei­ter. Gerade, als ich um die nächste Ecke biege, rutscht mein rech­ter Fuß auf dem glat­ten Moos­rand der Steine aus und ich hocke mich instink­tiv hin. Adre­na­lin schießt mir vom Bauch aus durch die Venen – ein Blick nach rechts zeigt mir, warum. Wie tief es hin­un­ter geht, kann ich gar nicht mit Sicher­heit sagen, da der Blick nur ein paar Meter weit hinab reicht. Dort ist nur Nebel, eine Art Wol­ken­de­cke zu erken­nen. Dank die­ses Schocks werfe ich nur noch einen vor­sich­ti­gen Blick um die Ecke, aber die­ser Blick lohnt sich. Ich kann sie sehen, bestehend aus alten Holz­plan­ken und einem Stahl­seil als Gelän­der, die „Inka-Zug­brü­cke”. Und nun, da ich sie sehe, bin ich froh, sie nicht über­que­ren zu müs­sen. Wie in einem Indiana Jones Film hängt sie dort, in Nebel­schwa­den ver­hüllt und im Wind schwan­kend. Nach einer min­des­tens drei­tä­gi­gen Wan­de­rung mit Gepäck über diese Brü­cke balan­cie­ren, das muss gar nicht sein.

 

Zurück am Aus­gangs­punkt des Wan­der­wegs lich­tet sich wie auf einen unsicht­ba­ren Fin­ger­zeig die Wol­ken­de­cke, Son­nen­licht fällt durch die ers­ten Lücken hin­durch und bestrahlt genau den Wayna Pic­chu und die davor gele­gene Inka-Stadt. Ich bleibe ste­hen und nicht nur auf Grund der Anstren­gung stockt mir mein Atem. Die­ser eine Moment recht­fer­tigt alles. All die Ent­täu­schung zuvor – die prus­tende Lunge beim Auf­stieg, das Bren­nen in den Ober­schen­keln, die Erkenn­tis, wie unge­heuer tou­ris­tisch alles um mich herum aus­sieht – alles wie weg­ge­pus­tet. Weg­ge­pus­tet von dem glei­chen Luft­hauch, der die Nebel­bänke nun end­gül­tig vor­bei­schiebt und Mac­chu Pic­chu wenigs­tens für die­sen Moment, in ein grel­les, unwi­der­steh­li­ches Licht setzt. Alles, was man noch tun kann, ist schauen und staunen.

Kaum ver­hüllt der Nebel wie­der die Anlage, begebe ich mich auf eine Erkun­dungs­tour durch die gesamte Fes­tung. Es ist noch früh am Mor­gen. Doch weder die Uhr­zeit noch das nasse Wet­ter hin­dern Mas­sen von Paschal­tou­ris­ten daran, die­ses Must See auf der Liste der perua­ni­schen, ach was, der süd­ame­ri­ka­ni­schen Sehens­wür­dig­kei­ten abzu­ha­ken. Da ich es gerad selbst durch­schreite, weiß ich, Machu Pic­chu ist wirk­lich etwas, das man gese­hen haben sollte, wenn man die Anden besucht. Ich biege um ver­fal­lene Mau­ern und treffe auf eine Gruppe von fünf Lamas, die hier gra­sen. Wie ele­gant sie sich zwi­schen den Rui­nen bewe­gen. Mehr als das, sie bewe­gen sich fried­lich und gra­zil, selbst dann, als ich einem von ihnen den Kopf streichle. Auch werde ich nicht bespuckt. Manch­mal frage ich mich, warum man­che Kli­schees abso­lut zutref­fen und andere über­haupt nicht.

Der Weg zurück

 

Zur Mit­tags­zeit setzt wie­der Stark­re­gen ein und ich mar­schiere zurück nach Aguas Cali­en­tes. Die Lunge freut sich, dass der Weg hinab weni­ger Arbeit ver­langt als der Anstieg am Mor­gen. Die Knie und Ober­schen­kel hin­ge­gen bren­nen bei jedem Schritt, muss ich doch auf Grund des feuch­tes Moo­ses und der nas­sen Stu­fen auf­pas­sen, nicht zu schnell zu wer­den und daher immer gegen das Gefälle abbrem­sen. Zurück im Ort nehme ich keine Rück­sicht auf mein abge­kämpf­tes Erschei­nungs­bild, son­dern begebe mich schnur­stracks in ein gutes Restau­rant. Die­ser Tag hat eine Beloh­nung ver­dient. Ein Alpa­ka­s­teak, dazu Reis. Der Koch kennt seine Kli­en­tel und den Grund ihres Besuchs nur allzu gut. Mein Reis formt auf per­fekte Art den berühm­ten Hügel, den Wayna Pic­chu, den ich heute mit eige­nen Augen sah, nach. Mit Dank­bar­keit steige ich am spä­ten Nach­mit­tag in den Zug zurück nach Cuzco. Die Tou­ris­ten­mas­sen, der Stark­re­gen, die Bla­sen an mei­nen Füßen – all das kann mir heute Abend nichts mehr anha­ben. Ich habe etwas erlebt, das blei­ben wird. Mit Musik in den Ohren und geschlos­se­nen Augen döse ich durch das Schau­keln des Zuges dahin und höre die Stimme von John Len­non: „Ima­gine all the people.”

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Marius Kriege

Mit Anfang 20 brach Marius nach Australien auf und ist trotz regelmäßiger Unterbrechungen im Grunde nie wieder ganz zurückgekehrt. Ein halbes Jahr Südamerika brachte unzählige tolle Geschichten und Malaria, aber das verbuchte er unter Erfahrung. Wenn er nicht irgendwo unterwegs ist, lebt er in Hamburg und schreibt. Über alles, was ihn bewegt.

  1. Grüße an alle und danke für diese Seite so schön und mit vie­len inter­es­san­ten Zielen
    Ich lebe mehr als 18 Jahre in Lima Peru, wenn einige inter­es­siert sind, Lima Peru und andere Bestim­mungs­orte zu besu­chen, bitte hel­fen Sie uns allen, die Füh­rer und Tou­ris­mus in Peru und Süd­ame­rika wir schrpechn Deutsch Spa­nish English
    wir wün­schen ihne ales gute vie­len dank
    Reise Büro : Qua­lity Vacations
    Mira­flo­res Lima Perú

  2. Milian says:

    Danke für den außer­or­dent­lich span­nend geschrie­be­nen Erfah­rungs­be­richt und für’s Mut­ma­chen. Ich sitze hier gerade in Santa Cruz de la Sierra, eine Woche vor mei­ner Wei­ter­reise nach Cusco. Um zeit­nah natür­lich nach Machu Pic­chu zu wan­dern und mir kom­men fast die Trä­nen bei der Wet­ter­vor­her­sage. Trotz win­ter­li­cher Tro­cken­zeit weit und breit Regen in den Anden. Nach dei­nem Blog­ein­trag weiß ich immer­hin, dass der Zufall einen viel­leicht mit einem Blick aufs das Welt­wun­der belohnt und das Aben­teuer alleine Grund genug ist trotz­dem die Stra­pa­zen auch bei Hun­de­wet­ter auf sich zu nehmen

    Beste Grüße

    Milian aus Köln, Geo­graph ohne Kom­pass aber dafür hof­fent­lich Glück im Reisegepäck

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