Es gibt Län­der, bei denen klickt man zeit­gleich mit dem Buchen-Knopf auch auf Aben­teuer und Gefah­ren. Man hat im Hin­ter­kopf, dass irgend­was pas­sie­ren könnte. Über­fälle. Sons­tige Angriffe. Ent­füh­rung. Betrug. Unfälle bei wil­den Tou­ren. Luxem­burg gehört nicht zu die­sen Län­dern. Und doch wäre ich von dort fast nicht zurückgekehrt.

Eine drei­tä­gige Fahr­rad­pres­se­reise durch Luxem­burg steht mir bevor, mit sie­ben Män­nern, von denen die meis­ten schon ein paar Jähr­chen älter sind als ich. Harm­lo­ser geht es kaum. Denke ich mir. Es ist über zehn Jahre her, dass ich das letzte Mal in dem klei­nen Land war und ich freue mich auf das Wiedersehen.

Eine inter­na­tio­nale City

Die Haupt­stadt Luxem­burg begrüßt uns mit Sturz­re­gen: Mich, zwei Deut­sche, drei ältere Nie­der­län­der sowie Felix und Vale­rio, die Orga­ni­sa­to­ren von der luxem­bur­gi­schen Tou­ris­mus­be­hörde. Mit­tag­essen gibt es bei Andy Schleck höchst­per­sön­lich. Oder zumin­dest in dem Fahr­rad­la­den, den er eröff­net hat. Andy Schleck? Zuge­ge­ben, ich hatte zuvor auch noch nie von ihm gehört. Dabei ist er ein bekann­ter Renn­rad­fah­rer, gewann sogar 2010 die Tour de France. Das Gelbe Tri­kot hängt noch heute in sei­nem Laden und wir blei­ben bewun­dernd davor ste­hen. In sei­nem Shop gibt es neben super­teu­ren Renn­rä­dern auch jede Menge Fahr­rad­kla­mot­ten- und Zube­hör für Mann und Frau. Andy selbst wirkt wie der Kum­pel von nebenan. Mit einem offe­nen, etwas laus­bu­ben­ar­ti­gen Aus­druck und bei­den Füßen auf dem Boden. Auch die Schnitt­chen und Eclairs, die er und seine Leute für uns vor­be­rei­tet haben, kann man essen.

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Im Regen geht es auf dem Fahr­rad durch die Haupt­stadt, geführt von Moni­que, einer Frau mitt­le­ren Alters, deren Augen leuch­ten, wenn sie über das schöne Luxem­burg spricht. Ein Land, in dem nur gut 53% Ein­hei­mi­sche sind und knapp 47% Aus­län­der mit 170 ver­schie­de­nen Natio­na­li­tä­ten, dar­un­ter viele Por­tu­gie­sen, Fran­zo­sen, Ita­lie­ner, Bel­gier und Deut­sche – in Luxem­burg Stadt sol­len sogar um die 70% der Ein­woh­ner Aus­län­der sein. Viele von ihnen pen­deln täg­lich aus drei Nach­bar­län­dern – Deutsch­land, Bel­gien und Frank­reich – in die Haupt­stadt und wie­der zurück. Ich staune immer wie­der, wenn ich diese Zah­len höre. Natür­lich muss Luxem­burg als einer der Ver­wal­tungs­sitze der EU beson­ders inter­na­tio­nal sein, aber was das nun kon­kret für das Leben vor Ort bedeu­tet, dar­über habe ich mir noch nie bewusst Gedan­ken gemacht.

Um dem stän­di­gen Strom an Pend­lern Herr zu wer­den, wird immer wie­der viel in die Infra­struk­tur inves­tiert. Eine neue Brü­cke wird gebaut. Und ein neuer Lift. Wer vor Ort wohnt, greift gerne zum Draht­esel, um zur Arbeit zu kom­men, und auch das wurde bedacht: Ein brand­neuer, 2016 fer­tig­ge­stell­ter Auf­zug von der Unter- in die Ober­stadt kann nicht nur Fuß­gän­ger, son­dern auch zahl­rei­che Fahr­rä­der trans­por­tie­ren. Inner­halb von Sekun­den schießt das kom­plett glä­serne Gefährt hoch und wie­der run­ter. Der Weit­blick über die gesamte Innen­stadt über­zeugt sogar bei Regen.

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Er schweift über die Kase­mat­ten, in die Fel­sen gehauene Höh­len, die einst Teil der Fes­tung Luxem­burgs waren, über Kir­chen, gemüt­li­che Wohn­häu­ser und ver­win­kelte Gas­sen. Die Unter­stadt sieht von oben aus wie eine Oase, so grün ist sie mit vie­len Bäu­men, Parks und Gär­ten. Außer uns sind wenige Leute unter­wegs zu den ver­schie­de­nen Aus­sichts­punk­ten und durch die kopf­stein­ge­pflas­ter­ten, manch­mal etwas rut­schi­gen Alt­stadt­stra­ßen. Bloß nicht aus­rut­schen, sage ich mir immer wie­der und fahre beson­ders vor­sich­tig und – wie immer – natür­lich helm­los.  Luxem­burg Stadt ist genauso, wie ich sie in Erin­ne­rung habe: sau­ber, irgend­wie urig. Ein lebens­wer­ter Ort, wo man noch durch­at­men kann. Und das trotz der gan­zen Pen­de­lei und Bedeu­tung für die Politik.

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Im Casino in Luxemburg

Erst, als wir im Wagen sit­zen und Rich­tung Mon­dorf-les-Bains fah­ren, wird klar, dass es in Luxem­burg tat­säch­lich eine ganze Menge Men­schen gibt, davon viele mit Autos. Wir ste­hen in einer Blech­schlange, brau­chen gefühlte zwei Stun­den bis zum Casino 2000, das gleich­zei­tig als Hotel fun­giert. Das kleine Mon­dorf ist nur wegen des ein­zi­gen Spiel­ca­si­nos des Lan­des sowie sei­nes Ther­mal­bads bekannt. Von hier aus star­tet am nächs­ten Mor­gen ein heiß ersehn­tes Fahr­rad­ren­nen, der ‚Schleck Gran­fondo‘, ins Leben geru­fen von Andy Schlecks Bru­der Fränk, der eben­falls lange als Renn­rad­fah­rer aktiv war. Schon am Vor­abend ver­sam­meln sich hier Men­schen­trau­ben in der gro­ßen Emp­fangs­halle, deko­riert mit Renn­rä­dern und Tri­kots, um beim Meet & Greet mit Fränk Schleck dabei zu sein.

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Alles in dem Casino ist far­ben­froh und aus dem Bereich der Spiel­au­to­ma­ten fun­kelt und klim­pert es schon am Nach­mit­tag wie in einem Mini-Las-Vegas. Am Abend schaue ich mir das Ganze mit Felix und dem Deut­schen Mar­tin mal genauer an. Auch nach einer hal­ben Stunde ver­stehe ich noch immer keine der Spiel­re­geln, doch die Män­ner wol­len mal beim Rou­lette ihr Glück pro­bie­ren. Her­aus springt ein Gewinn von 20€ bei einem Ein­satz von 50€ – das reicht zumin­dest für einen Cock­tail pro Kopf. Zu dem für ein Casino erstaun­lich güns­ti­gen Drink erzählt uns Felix, wie es sich in Luxem­burg so lebt. Wie alle Ein­hei­mi­schen, ist er drei­spra­chig auf­ge­wach­sen, mit Luxem­bur­gisch, Fran­zö­sisch und Deutsch, und ebenso wie alle Ein­hei­mi­schen ist er stän­dig bereit, sich auf die Sprach­be­dürf­nisse der gro­ßen Nach­barn ein­zu­stel­len. Er selbst wohne nicht in der Haupt­stadt, son­dern auf dem Land, pendle aber jeden Tag fast eine Stunde zur Arbeit in die Stadt. Wahr­schein­lich Nor­mal­zu­stand für viele Luxem­bur­ger, für die die City selbst zu teuer gewor­den ist.

Luxem­burg gleich Fahrradland 

Bis zu die­sem Luxem­burg-Trip wusste ich nicht, dass das kleine Land ein Para­dies für Rad­ler ist mit 600 Kilo­me­tern Rad­stre­cken, 800 wei­te­ren im Bau und 700 Kilo­me­tern Moun­tain­bike­pfa­den. Ich wusste auch nicht, wie ver­rückt die Luxem­bur­ger nach Rad­fah­ren sind. Zu mei­ner Schande war mir nicht mal bewusst, dass auch ein paar Etap­pen der Tour de France durch Luxem­burg führen.

Natür­lich müs­sen auch wir am nächs­ten Mor­gen wie­der auf den Sat­tel. Pünkt­lich für unse­ren Trip von Mon­dorf-les-Bains bis ins berühmte Schen­gen, durch Wein­an­bau­ge­biete und ent­lang der Mosel, hat der Regen auf­ge­hört. Wir bekom­men einen Guide spe­zi­ell für diese Tour – Nor­bert, viel­leicht um die 60, der in sei­nen schwar­zen Leg­gings, mit Son­nen­brille und Renn­rad fit­ter aus­sieht als irgend­ei­ner von uns. In mei­nem Fahr­rad­körb­chen liegt ein Helm, den ich gleich wie­der zurück­gebe. Es gebe keine Helm­pflicht für Fahr­rad­fah­rer, bestä­tigt Nor­bert, und ich finde haa­re­plät­tende Helme aller Art schon immer doof. Gestürzt bin ich seit dem Teen­ager­al­ter auch nicht mehr.

Die Fahr­rad­stre­cke ent­lang des ers­ten Teils auf der Velo Route Saar­Lor­Lux ist so, wie man sich den per­fek­ten Rad­weg für jeder­mann vor­stellt: größ­ten­teils flach, kaum befah­ren, idyl­lisch. Es geht durch post­kar­tenraug­li­che Wein­fel­der an sanf­ten Hügeln.

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Hier und dort taucht mal ein Dorf am Abhang auf, und bald erspä­hen wir die Mosel. Auf einem Aus­sichts­punkt, wo uns ein gro­ßes Schild in der Stadt Remich will­kom­men heißt, machen wir Halt. Dane­ben ver­su­chen sich ein paar junge Luxem­bur­ger beim Gril­len. Kaum ist das Feuer mit viel Mühe ent­facht, wer­den die Würste auf den Grill gewor­fen – und sind nach 30 Sekun­den pech­schwarz. Nein, das sei keine typisch luxem­bur­gi­sche Grill­tech­nik, schwö­ren Felix und Valentino.

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Der liebe Wein 

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Natür­lich wäre kein Besuch einer Luxem­bur­ger Wein­ge­gend voll­stän­dig ohne Ein­kehr bei einem Win­zer. Uns ver­schlägt es zum Ehe­paar Kox, das neben einem gemüt­li­chen Wohn­haus in Remich ein Wein­gut hat – eines der ange­se­hens­ten der Luxem­bur­ger Mosel. Die ers­ten Fla­schen sind für uns geöff­net, die bereit­ste­hen­den Glä­ser blei­ben nicht lange leer. Davon, dass man den ver­kos­te­ten Wein eigent­lich bald wie­der aus­spu­cken sollte, hat anschei­nend noch kei­ner von uns gehört. Ich habe von Wein so viel Ahnung wie von Fahr­rad­ren­nen und lasse es mir ein­fach schme­cken. Vor allem der weiße, spru­delnde ist vor­züg­lich. Schon schenkt mir Lau­rent Kox nach.

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Alle geben genuss­volle Geräu­sche von sich, wäh­rend wir an Appa­ra­ten und Fließ­bän­dern, die man wohl zur Wein­pro­duk­tion braucht, vor­bei­schlen­dern. Dann die schönste Über­ra­schung: Win­zer­frau Rita Kox hat extra für uns auf­ge­tischt, denn nor­ma­ler­weise bie­ten die Kox keine Restau­ra­tion an. Es gibt luxem­bur­gi­schen Salat mit lila Blüm­chen darin, die man mit­es­sen kann, hie­si­gen Käse und Schin­ken, fri­sches Gemüse, fri­sches Brot und zum krö­nen­den Abschluss noch war­men Rha­bar­ber­ku­chen. Dazu fließt wei­ter der Wein, rot und weiß. Alle sind glück­lich. Luxem­burg ist fan­tas­tisch. Zum Abschied bekom­men wir jeder eine blaue Fla­sche Weiß­wein mit der Auf­schrift Kox geschenkt. Ich bette meine in den Ruck­sack vorne im Fahrradkörbchen.

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Ob wir mal eine biss­chen aben­teu­er­li­chere Stre­cke ange­hen woll­ten, fragt der son­nen­be­brillte Nor­bert, sein Renn­rad bereits in Start­po­si­tion. Ein paar der älte­ren Män­ner stöh­nen, ich bin begeis­tert. Auf vol­len Magen und abge­füllt  mit Wein ist etwas Action höchst will­kom­men. Schon der kleine Abhang hin­ein in das Wald­stück, Nor­berts angeb­li­chen Lieb­lings­ort, ist für man­che in der Gruppe eine Her­aus­for­de­rung. Wir soll­ten abstei­gen, wenn es zu gefähr­lich werde, ruft Nor­bert hin­ter sich, wäh­rend er davon­braust. Ich hänge mich an ihn dran. Diese Stre­cke fahre er öfter mit sei­nen Freun­den, ruft mir Nor­bert zu, als es mit Schwung auf die erste Brü­cke geht, die über einen etwa zwei Meter tie­fen Gra­ben führt. Die nächste Brü­cke besteht aus zwei not­dürf­tig zusam­men­ge­schus­ter­ten, vom Regen des Vor­ta­ges noch glit­schi­gen Bret­tern. Ich gebe Gas. Der Wald gefällt mir, wirkt ein wenig ver­wun­schen. Abge­se­hen von Nor­berts Geplau­der und dem Lachen hin­ter mir ist es abso­lut still. Son­nen­strah­len fal­len durch die üppig grü­nen Baum­kro­nen, es riecht nach Frühling.

Schon taucht die nächste Brü­cke über einen ebenso tie­fen Gra­ben vor uns auf. Nor­bert tritt in die Pedale, ich tue es ihm gleich. Zu spät sehe ich den Spalt, der sich in der Mitte der mor­schen Holz­plat­ten auf­tut. Mein Vor­der­rei­fen bleibt in vol­ler Fahrt ste­cken. Das Nächste, was ich spüre, ist, wie mein Hin­ter­kopf auf­schlägt. „Scheiße!“, denke ich nur, und wie ein Geis­tes­blitz trifft es mich, dass ich kei­nen Helm trage. Aber es ist ja nichts pas­siert. Ich setze mich schnell auf und sehe in die tief­be­sorg­ten Gesich­ter der Män­ner um mich herum. Einige faseln etwas von einem dump­fen Auf­prall, von Angst, ich habe mein Genick gebro­chen, von Tod. Alles Quatsch! Ich lächle und lasse mich aus dem Matsch hoch­zie­hen. „Ist die Wein­fla­sche heile geblie­ben?“, ist meine ein­zige Sorge, als ich auch mei­nen Ruck­sack im Schlamm lie­gen sehe. Die Män­ner star­ren mich an. Ich sei zwei bis drei Meter tief gefal­len, ob es mir wirk­lich gut­ginge, wol­len sie immer wie­der wis­sen. Nor­bert ist krei­de­bleich. „Warum bist du denn nicht abgestiegen?“

Ich winke ab, glück­lich, dass die Kox-Wein­fla­sche heile ist, und schiebe die­ses Mal wie alle ande­ren das Fahr­rad durch den Rest des Wald­stücks. Schmer­zen habe ich keine – und auch noch kei­ner­lei Bewusst­sein, was da gerade pas­siert ist.

Schen­gen, das Winzerdorf

Bald geht es zurück zum Mosel­ufer, gera­de­wegs auf Schen­gen zu.

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Lange Zeit habe ich den Namen immer nur mit einem Ver­trag in Ver­bin­dung gebracht, der vie­len von uns in Europa mehr Frei­heit schenkt. Dar­über, dass das Schen­ge­ner Abkom­men in einem Win­zer­ort unter­schrie­ben und nach die­sem benannt wurde, nach einem 4800-See­len­dorf an der luxem­bur­gisch-deut­schen Grenze, habe ich nie nach­ge­dacht. Jetzt radeln wir gera­de­wegs auf das Orts­schild zu und hin­ein ins Dorf, wo schon 1985 das erste Schen­ge­ner Abkom­men unter­zeich­net wurde – auf einem Boot auf der Mosel. Von Per­so­nen, die eigent­lich nicht wirk­lich wich­tig waren, näm­lich den Staats­se­kre­tä­ren von Deutsch­land, Frank­reich und den Bene­lux-Staa­ten, da sich nicht ein­mal die Außen­mi­nis­ter selbst auf­raf­fen konn­ten, zu erschei­nen. So gin­gen zehn wei­tere Jahre ins Land, bis über­haupt jemand rich­tig Notiz von dem Abkom­men nahm und es 1995 in Kraft trat.

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Heute erin­nert das Ufer Schen­gens an die­sen his­to­ri­schen Moment: Gedenk­ta­feln mit Fotos von für Europa wich­ti­gen poli­ti­schen Tref­fen deko­rie­ren die Mosel an die­sem Fluss­ab­schnitt, nur das Schiff, die Prin­cesse-Marie-Astrid, ist mitt­ler­weile ver­schwun­den. An ihrer Stelle thro­nen auf einer Platt­form drei recht­eckige Lat­ten aus nicht rost­freiem Stahl, die stolz sechs Sterne für die sechs Grün­der­staa­ten der EU tragen.

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Im Museum kurz dahin­ter gibt es Infor­ma­ti­ons­ma­te­rial rund um die EU, doch was mich beson­ders fas­zi­niert ist der Platz davor. Hier wehen  die Flag­gen eines jeden Schen­gen-Mit­glieds­staa­tes auf dem Boden, und dane­ben haben Künst­ler Säu­len errich­tet: Auf jeder befin­den sich zahl­rei­che Sterne, dar­auf wie­derum Minia­tur­nach­bau­ten von bekann­ten Gebäu­den oder ande­ren Merk­ma­len des jewei­li­gen Lan­des – für Deutsch­land unter ande­rem das Bran­den­bur­ger Tor, der Köl­ner Dom und ein Gar­ten­zwerg. Erst seit 2015 ste­hen am Ufer auch zwei Ori­gi­nal­stü­cke der Ber­li­ner Mauer, die Schen­gen gespen­det wurden.

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Zurück nach Remich geht es per Mosel­boot. Mitt­ler­weile habe ich Steiß­schmer­zen, und der Kopf tut auch weh. Alle sind dafür, dass ich doch der Vor­sicht hal­ber mal in ein Kran­ken­haus fahre, um mich unter­su­chen zu lassen.

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In der Not­auf­nahme – das wahre Luxemburg 

Vale­rio fährt mich den lan­gen Weg nach Luxem­burg Stadt zurück, zur Not­auf­nahme. Zumin­dest könnte ich kei­nen bes­se­ren Ort für einen Fahr­rad­un­fall gewählt haben. Alles ist ein­fach, fast jeder spricht Deutsch, meine EU-Kran­ken­kas­sen­karte wird pro­blem­los akzep­tiert. Nie habe ich mich Schen­gen und der EU ver­bun­de­ner gefühlt als an die­sem Tag. Im War­te­saal lerne ich end­lich das Luxem­burg ken­nen, das ich bis­her nur aus Zah­len erahnt habe. Neben mir wird Spa­nisch gespro­chen, gegen­über Por­tu­gie­sisch, an der Ecke schluchzt eine Frau in Fran­zö­sisch in ein Handy, Eng­lisch ertönt auch von irgendwo. Vale­rio grinst. „Ich bin hier wohl der Ein­zige, der auch Luxem­bur­gisch spricht!“ Dabei hat er selbst Wur­zeln im Bal­kan und in Ita­lien. Eine Por­tu­gie­sin sieht genauso aus wie ich und ver­zieht beim Kon­takt ihres Aller­wer­tes­ten mit der har­ten Bank schmerz­voll das Gesicht. Die Spa­nie­rin hat ihren Liebs­ten und drei Freun­din­nen im Schlepp­tau, die beru­hi­gend auf sie ein­re­den. Ich fühle mich plötz­lich nicht mehr ganz wohl. Rea­li­siere auf ein­mal, was mir eigent­lich pas­siert ist. Ein Sturz aus gut zwei Metern Höhe. Ein hef­ti­ger Schlag auf den Hin­ter­kopf. Was, wenn da gerade ein Stein statt Schlamm gele­gen hätte? Was, wenn doch irgend­was in mei­nem Schä­del kaputt­ge­gan­gen ist?

Ich ver­bringe die stun­den­lange War­te­zeit so gut wie mög­lich damit, dass ich die Men­schen um mich herum beob­achte und über die Inter­na­tio­na­li­tät Luxem­burgs nach­denke, wo ich als Aus­län­de­rin weni­ger auf­falle als ein Ein­hei­mi­scher. Als ich nach fast drei Stun­den end­lich dran bin, treffe ich natür­lich auf den sicher ein­zi­gen Arzt, der nur Fran­zö­sisch spricht. Auch das noch! Er reißt die Augen weit auf, als ich ihm von der Höhe mei­nes Falls erzähle. Er ord­net sofort einen Kopfscan an und eine Kran­ken­schwes­ter ver­frach­tet mich gemein­sam mit einem Mann im Roll­stuhl auf einen ande­ren, voll­kom­men lee­ren Flur. Ich lande in einer Röhre. Muss an Rei­sende den­ken, denen sowas in der Wild­nis in Afrika, Süd­ost­asien, Latein­ame­rika oder ande­ren Tei­len der Welt geschieht, wo die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung nicht die der ers­ten Welt ist. Ich habe echt Glück gehabt!

Wei­te­res War­ten folgt, Vale­rio hat mir Scho­ko­rie­gel mit­ge­bracht. Die Spa­nier sind mitt­ler­weile weg, die Por­tu­gie­sen haben andere Por­tu­gie­sen getrof­fen, mit denen sie laut­hals plau­dern. Fast komme ich mir vor, als wäre ich in einer gesel­li­gen Bar. Wenn nicht die Wände so nackt wären und der Stuhl so hart. Aber da bin ich auch schon wider dran. Der Arzt sieht mich komisch an. „Bei dem Sturz ist nichts pas­siert, alles gut!“ Ich atme auf, will gehen. „Aber setz dich bitte einen Moment.“ O nein! Sich set­zen ist doch nie gut beim Arzt. In mei­nem Kopf und mei­nem Hin­tern pocht es im Kanon. Der Arzt setzt sich auch, rückt seine Brille zurecht, schaut auf ein Papier. Es gäbe da noch etwas in mei­nem Kopf, das ich daheim unter­su­chen las­sen müsse. Ich höre etwas von „Ver­dacht auf Menin­geom.“ Das ist doch ein Gehirn­tu­mor! Der Sekun­den­zei­ger an der Wand­uhr bewegt sich sehr, sehr lang­sam. Ich bin ein­deu­tig im fal­schen Film gelan­det. Frage noch­mal nach. Fran­zö­sisch war ja noch nie so meine Sprache.

„Nein, nein, du hast kei­nen Gehirn­tu­mor!“, beteu­ert der Arzt, wäh­rend er auf einen Punkt hin­ter mir starrt. Auf dem Zet­tel, der jetzt vor mir liegt, steht der Ver­dacht aber Schwarz auf Weiß. Irgend­wann gehe ich raus. Vale­rio fährt mich zu unse­rem nächs­ten Hotel in Mull­er­thal, ein B&B spe­zi­ell für Rad­fah­rer mit einem eige­nen Fahr­rad­raum am Ein­gang. Es ist schlicht aber gemüt­lich, und doch kann ich nicht schla­fen. Ich denke über das Rei­sen nach und wie viel ich schon gemacht habe. Und trotz­dem will ich mehr, immer mehr, werde immer hung­ri­ger auf die Welt, je mehr ich davon schme­cke. Dafür, dass ich den Sturz unbe­scha­det über­stan­den habe, bin ich dank­bar. Und egal was kommt, ich werde das schon irgend­wie schaffen.

Abschluss in der ältes­ten Stadt Luxemburgs

Am nächs­ten Mor­gen wol­len Felix und Vale­rio wis­sen, ob ich an dem letz­ten Tag unse­rer Tour noch wei­ter­fah­ren will. Ich will. Mit haa­re­plät­ten­dem Helm. Da die für uns bestell­ten E‑Bikes nicht kom­men, müs­sen wir uns wie­der mit nor­ma­len Draht­eseln zufrie­den­ge­ben. Einer der Nie­der­län­der hat keine Lust mehr, und so geht es statt wie geplant durch das schöne Mull­er­thal bis zum größ­ten Was­ser­fall Luxem­burgs, dem Schiess­en­tüm­pel, gera­de­wegs nach Ech­ter­nach. Zuerst brau­sen wir bergab, durch ein asphal­tier­tes Wald­stück. Ich spüre die mor­gend­li­che Kühle auf dem Gesicht und auf den Armen und fühle mich leben­dig wie lange nicht mehr. Noch dazu scheint die Sonne pral­ler vom Him­mel als an den Vor­ta­gen. Ich schaffe es, sogar mei­nen pro­tes­tie­ren­den Steiß zu igno­rie­ren. Die Män­ner behan­deln mich wie eine Por­zel­lan­puppe, radeln immer wie­der neben mich, um nach mei­nem Befin­den zu fra­gen. Ich über­lege zum ers­ten Mal, warum es eigent­lich keine männ­li­chen Harems gibt.

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Ech­ter­nach ist Luxem­burgs älteste Stadt und gilt auch als die schönste. Mir gefällt der idyl­li­sche Orts­kern mit einem Markt­platz, einem Römer­pa­last und der Pfarr­kir­che Peter und Paul, auf Anhieb. Noch dazu gibt es zum Mit­tag­essen fri­schen Spar­gel in der Sonne. Ich fühle mich mit Luxem­burg ver­söhnt. Und mit dem Leben.

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Die Reise wurde unter­stützt und orga­ni­siert von Luxem­bourg for Tou­rism, www.visitluxembourg.com

Cate­go­riesLuxem­burg
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Bernadette Olderdissen

Bernadette Olderdissen ist eine Geschichtensammlerin- und schreiberin. Schon in jungen Jahren verstand sie, dass ganz so viel Fantasie zum Schreiben gar nicht nötig war, denn die besten Geschichten schenkte ihr das Leben umsonst. Schenkten ihr die Menschen um sie herum. Als sie viele Geschichten gehört hatte, zog sie weiter. Sperrte die Ohren auf und schrieb alles nieder, was ihr die Menschen zu erzählen hatten. So trieb es sie immer weiter durch die Welt, mit ungesättigter Neugier und in der Gewissheit, dass sich die Menschen zwar überall auf der Welt verdammt ähnlich sind, jedoch keine zwei Geschichten identisch. Dieser Umstand ist schuld daran, dass sie noch immer nichts für die Rente gespart hat, sondern das Geld immer nur für die nächsten Reisen reicht. Und das findet sie auch gank okay so.

  1. Michi says:

    Hallo Ber­na­dette,
    wenn du das nächste Mal in Luxem­burg bist, musst uns bescheid geben, wir zei­gen dir den bes­ten Bur­ger-Laden im Land, bzw. ein paar Insi­der Plätze

    1. Bernadette says:

      Hallo Michi, danke, mache ich gern. Und danke für deine aus­führ­li­che Ant­wort zu Sebas­ti­ans Kom­men­tar, war noch gar nicht dazu gekom­men zu ant­wor­ten und bin auch keine Spe­zia­lis­tin für das LB Waffengesetz :)

  2. Sebastian L. says:

    Mache die­ses Jahr im Som­mer mit einem Kum­pel auf dem Mosel­rad­weg von Frank­reich nach Deutsch­land einen Trip. Wie ticken die Luxem­bur­ger? Genauso wie wir Deut­schen? Oder ist die Men­ta­li­tät eher Fran­zö­sisch? Stimmt das das LB. wirk­lich so ein stren­ges Waf­fen­ge­setz hat und man schon wegen einem Taschen­mes­ser Ärger bekom­men kann? Wo kann man eigent­lich güns­tig über­nach­ten, wenn man nicht Cam­pen will? 

    MFG. Sebas­tian

    1. Michi says:

      Hallo Sebas­tian,
      ich nehme mir mal die Frei­heit auf dein Kom­men­tar zu ant­wor­ten. Als Luxem­bur­ger ticken weder wie deut­sche noch wie fran­zo­sen oder bel­gier, son­dern haben ihren eige­nen Charm. Sprach­lich gese­hen pas­sen sie sich meist ihrem Gegen­über an (sofern du mit „richtigen„Lux in Kon­takt bist). Im Süden bzw. Wes­ten jedoch domi­niert Fran­zö­sisch, und vor allem im Min­net (gegend um Esch, Dude­lange etc) hörst du eher por­tu­gi­sisch und fran­zö­sisch als deutsch. Die Luxem­bur­ger trin­ken und essen sehr gerne, des­we­gen wirst du essens­tech­nisch auch kein Pro­blem haben. Bezüg­lich Waf­fen­ge­setz bin ich ehr­lich­ge­sagt über­fragt aber ich hab noch nie gehört das einem das Taschen­mes­ser weg­ge­nom­men wird (aus­ser vl. im Hand­ge­päck am Flug­ha­fen). Es gitb einige (und wirk­lich) schöne Jugend­herr­ber­gen im Land, die meis­ten sind neu &günstig. Gerne kannst du mir aber ne msg. schrei­ebn, dann kann ich dir kon­kre­tere Tipps geben, kuck doch mal auf unsern Blog, haben einige Arti­kel über LUX geschrie­ben :) zb übers Essen :P http://uniqorn.eu/foodguide-luxembourg/

  3. Martin says:

    Hallo!

    Vie­len Dank für den tol­len Arti­kel! Ich wusste gar nicht, dass Luxem­burg so schön ist. Habe es zwar oft gehört, aber die Bil­der haben es defi­ni­tiv bewiesen!

    Vie­len Dank für den tol­len Tipp! Vor allem für Fahr­rad­freaks, wie ich es bin, ist das ein tol­ler Trip! 

    Gruß
    Martin

    1. Bernadette says:

      Vie­len Dank für dein net­tes Feed­back, Mar­tin. Luxem­burg ist wirk­lich ein tol­les klei­nes Land und beson­ders zum Radeln auch sehr zu emp­feh­len :) Viel Spaß dort!

  4. Obwohl man Luxem­burg als sehr klein emp­fin­det, ver­mit­telt dein Bei­trag den Ein­druck einer unend­li­chen Weite. Dass das kleine Land so attrak­tiv für Rad­fah­rer ist, hätte ich nicht gedacht. Viele neue Facet­ten, die einen Abste­cher loh­nens­wert machen… danke dafür! :-)

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