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LKW Fahrt durch den Amazonas

Amazonas Trampen

Es ist schwül-warm als ich aus dem LKW aus­steige. Meine Bril­len­glä­ser beschla­gen sofort. Wir sind im Ama­zo­nas-Urwald. Mein Fah­rer Gra­fite hat ange­hal­ten und mir ange­deu­tet, dass ich mit ihm aus­stei­gen soll. Wahr­schein­lich will er mir wie­der irgend­et­was zei­gen. Das hat er schon zuvor mehr­mals gemacht. Was wird mich wohl dies­mal erwar­ten? Ein beson­de­res Tier? Ein Kunst­ob­jekt? Irgend­eine Pflanze? Oder andere Sachen, die ich schon immer nicht sehen wollte.

Die Umge­bung zieht mich sofort in ihren Bann. Wir sind im dich­tes­ten Urwald. Die Kulisse macht dies deut­lich. Über­all sind Vogel­stim­men zu hören, die Luft drückt, die Vege­ta­tion ist abar­tig dicht und alles wirkt…wild. Wie man sich den Regen­wald vor­stellt. So etwas habe ich noch nie zuvor erlebt. Die Kraft die­ses Wal­des dringt durch alle meine Poren. Ich bin fas­zi­niert. Stau­nend stehe ich am Stra­ßen­rand, ehe Gra­fite mich je aus mei­ner Obser­va­tion reisst. „Come come!“ ruft er zu mir rüber und rennt die Straße hoch.

Wir befin­den uns in einem Stra­ßen­ab­schnitt, der nur über einen Mili­tär­kon­troll­punkt zu pas­sie­ren ist. Beide Zugänge zu die­sem Urwald­stück sind bewacht. Es ist tiefste Wild­nis. Das ein­zig wirk­li­che Stück Wild­nis, was ich auf mei­ner Ama­zo­nas­durch­que­rung sehen werde. Aber wieso rennt Gra­fite? Ich ver­stehe es nicht und folge ihm ein­fach. Er wirkt auf­ge­regt. Vor uns liegt eine rela­tiv scharfe Kurve und rechts davon geht es ca. 4–5 Meter bergab. In der Kurve bleibt er stehen.

„Here!“, meint er und deu­tet auf den Abgrund. Jetzt sehe ich auch was los ist. In dem Abgrund liegt ein Auto. Auf dem Dach. Ein Unfall. Es gab eine tiefe Schneise, die der Pick-Up in die dichte Vege­ta­tion geris­sen hatte. Meine freu­dige Erwar­tung weicht Ent­set­zen. Gra­fite ist schon auf dem Weg den Abhang hin­un­ter und ich bleibe wie ange­wur­zelt ste­hen. Das lässt sich nur schwer beschrei­ben. Irgend­et­was in mir hielt mich zurück. Ich wollte nicht schon wie­der Lei­chen irgendwo raus ziehen.

Ich befand mich in einer Art Schock. Wäh­rend mein Fah­rer Rich­tung Unfall­stelle unter­wegs war, ver­suchte ich vor­bei­kom­mende Autos anzu­hal­ten. Die haben auch gese­hen, dass irgend­et­was pas­sierr war, fuh­ren lang­sam und beschleu­nig­ten dann wie­der. Bra­si­lien halt. Die Angst über­wiegt und hin­dert zu hel­fen. Aber ich will das nicht ver­ur­tei­len, weil es mir in der Situa­tion exakt genauso ging.

Gra­fite wan­derte um das Fahr­zeug. Man konnte nicht erken­nen, ob jemand drin war, oder nicht. Alle Schei­ben waren getönt, wie das so üblich ist in Bra­si­lien. Die Fah­rer­tür ging nicht auf. Durch den Unfall war sie ver­klemmt. Zur Bei­fah­rer­seite war schlech­ter Zugang, weil das Auto nahe am zuge­wach­se­nen Regen­wald lag. Ich über­legte. Was könnte man tun? Bevor ich mich ent­schei­den konnte, fand Gra­fite eine Fuß­matte. Er hob sie hoch und deu­tete mir an, dass alles in Ord­nung sei. Ich ver­stand nicht so recht. War immer noch per­plex. Was meinte er damit? Er kam den Abhang hoch und sagte, dass wir zurück zum LKW gehen soll­ten. Das taten wir dann auch. Wir stie­gen ein und roll­ten los. Tie­fer in die­sen Urwald.

Es hat mich einige Minu­ten gebraucht, bis ich end­lich rea­li­sie­ren konnte, was gesche­hen war. Ich dachte nach. Und fühlte mich schlecht. Wir haben mit­ten im Urwald ein Auto gefun­den. Das Auto war ver­schlos­sen und wir konn­ten nicht sehen wer und ob jemand drin war. Mal abge­se­hen davon, ob da noch irgend­was drin gelebt hat oder nicht, hät­ten wir auf jeden­fall die Fens­ter­schei­ben ein­schla­gen müs­sen, um zu schauen was los ist. Ich war wie para­ly­siert. Hatte zuviel Angst. Hab es auch dan­kend ange­nom­men, als Gra­fite die Situa­tion für „Okay“ erklärt hat und mir einen Grund zum wei­ter­ge­hen gege­ben hat. Das war falsch. Ich hab mich geschämt in die­sem Moment, weil ich es nicht hin bekom­men habe, sel­ber run­ter zu stei­gen. Und mir wird das eine Lehre sein, dass ich beim nächs­ten mal in einer sol­chen Situa­tion nicht weg­gehe, bevor nicht genau klar ist, ob da jemand drin ist.

Und ob noch jemand am Leben ist. Scheiße…

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Stefan Korn

Stefan ist Vollblut-Tramper und treibt diese Art der Fortbewegung zur Perfektion. Seine Road Trips gehen meist mehrere tausend Kilometer weit, bis er mal anhält, um sich auszuruhen. Das Leben auf der Straße fasziniert ihn. Hier ist er zu Hause. Die Zufälligkeit und Intimität der Begegnungen ist, was ihn beim Trampen fasziniert. Und die grenzenlose Mobilität. Er zog los, um einmal um die Welt zu trampen.

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