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Lieber Daeng, den ich vergessen hatte…

Lie­ber Daeng,

das hier ist die Email, die ich dir schrei­ben sollte, wenn ich wie­der zu Hause bin. Erin­nerst du dich noch an unsere Begeg­nung? Es war in Bang­kok, ich war am Ufer des Chao Praya Flus­ses unter­wegs und hatte mich ver­lau­fen. Du kamst ange­ra­delt auf dei­nem Fahr­rad und riefst mir in holp­ri­gem Eng­lisch zu „Wohin, Miss? Wohin du gehen?“

Ich gebe zu, dass ich genervt war. Ich hielt dich für einen Stra­ßen­händ­ler, Stadt­füh­rer, Trick­be­trü­ger. Als du nicht auf­hör­test, zu fra­gen, sagte ich darum nur:“ Wat Arun.“

„Oh, Wat Arun! Wun­der­schö­ner Tem­pel! Du weißt Weg?“

„Ja, ich weiß, wo ich hin muss, danke,“ sagte ich. Dabei war ich die letz­ten zwei Stun­den in Bang­koks Stra­ßen und Mit­tags Hitze umhergeirrt.

„Ich brin­gen dich zu Wat Arun, “ sag­test du.

„Nein, danke. Wirk­lich. Ich komm zurecht.“

Mein Ton war jetzt bestimmender.

„Ich brin­gen dich. Ich fahre auf Fahr­rad vor dir,“ sag­test du nicht min­der bestim­mend und tratst in die Peda­len, bis du mit ein, zwei Metern Abstand vor mir fuhrst.

Ich hatte Angst. Das erscheint mir heute lächer­lich, aber an die­sem Tag traute ich ihm nicht, die­sem unter­setz­ten Mann mit grauen Schlä­fen und jun­gen­haf­tem Gesicht, der du warst.

Bangkok

Fröh­lich pfei­fend fuhrst du vor mir her.

„Woher du kommst?“ woll­test du wissen.

„Deutsch­land.“

„Ah, Deutsch­land! Schuh­ma­cher! Sehr schnell!“

„Und woher kommst du?“ fragte ich.

„Ich komme aus Nor­den von Thai­land. Keine Arbeit da. Darum ich leben in Bang­kok, um Geld zu schi­cken an Frau und Kind. Ich Tuk-Tuk-Fahrer.“

Alles klar. Du warst also Profi, aber ich fest ent­schlos­sen, nicht in deine Falle zu tappen.

„Wie heißt du?“ frag­test du weiter.

„Wie heißt du?“ kon­terte ich.

„Daeng.“

„Wie bitte?“

„Daeng. Ich hei­ßen Daeng.“

„Wie alt bist du, Daeng?“

„Ich 45 Jahre alt.“

„Du siehst jün­ger aus,“ sagte ich.

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Wir zogen wei­ter durch Bang­koks Stra­ßen. Du immer noch auf dem Fahr­rad, ich immer noch auf der Hut. Du erzähl­test mir von dei­ner Fami­lie, die nörd­lich von Chiang Mai in einem Dorf lebte. Ich wollte wis­sen, wo du dein Eng­lisch gelernt hattest.

„Von den Tou­ris­ten. Und Youtube!“

„Du lernst Eng­lisch auf Youtube?“

„Ja, You­tube ist cool! Ich ler­nen Eng­lisch, damit ich bes­se­ren Arbeit fin­den schnell.“

„Warum arbei­test du heute nicht?“

„Oh, spä­ter! Mit­tag zu heiß,“ sag­test du und fuhrst um eine Stra­ßen­ecke. Dann hörte ich dich rufen: „Wat Arun! Wat Arun!“

Und als ich dir folgte, sah ich vor mir den pyra­mi­den­för­mi­gen Tem­pel in die Höhe ragen, den ich seit zwei Stun­den ver­ge­bens gesucht hatte.

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Es war zu die­sem Zeit­punkt, dass ich mich ent­schie­den hatte , dir Geld geben zu wol­len. Ich zückte zwei­hun­dert Baht aus der Tasche und streckte sie dir entgegen.

„Vie­len Dank Daeng,“ sagte ich unbeholfen.

Doch du wink­test ab.

„Nein, nicht Arbeit jetzt. Du bezah­len mit eng­li­schen Wor­ten,“ sag­test du und lächel­test. „Aber bitte, nicht mehr allein durch Bang­kok lau­fen, ja? Gefährlich!“

Dann griffst du in deine Tasche, hol­test einen Stift und ein Stück Papier hervor.

„Ich habe Email!“ riefst du aus und sahst so stolz aus wie in mei­ner Hei­mat der Besit­zer eines Sport­wa­gens, als du deine Email­adresse auf den Zet­tel schriebst und ihn mir gabst.

„Du schrei­ben Email, wenn du wie­der zu Haus und sicher. Versprochen?“

„Ver­spro­chen, Daeng. Danke für deine Hilfe und viel Erfolg mit dei­nem Eng­lisch,“ rief ich dir nach, als du Kehrt mach­test und dich durch die Tou­ris­ten schlän­gel­test, bis ich dich nicht mehr sehen konnte.

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Und hier bin ich nun, Daeng.

Sicher zu Hause.

Zurück im Alltag.

Ich habe gearbeitet.

Ich habe Freunde getroffen.

Ich habe in mei­nem eige­nen Bett geschlafen.

Ich habe über ver­spä­tete Bah­nen geflucht.

Ich habe Lebens­mit­tel eingekauft.

Ich habe Wäsche gewaschen.

Und ich habe dich vergessen.

Das stellte ich fest, als ich die Wäsche zum Trock­nen auf­hängte. Aus der Tasche mei­ner Shorts war ein Stück Papier gefal­len – der Zet­tel, auf den du deine Email-Adresse geschrie­ben hat­test.  Ver­wa­schen, auf­ge­weicht. Dort, wo du mit auf­ge­reg­ter Hand aufs Papier geschrie­ben hat­test, war nur noch ver­wischte Tinte.

Ich starrte auf das trau­rige Stück Papier. Es war mehr als nur der ver­lo­rene Kon­takt zu dir. Mehr als ein gebro­che­nes Ver­spre­chen. Es war die Tat­sa­che, dass ich so schnell ver­ges­sen hatte. Nicht nur dich, son­dern all das, was Rei­sen für mich bedeutet.

Es bedeu­tet mor­gens nicht über­le­gen zu müs­sen, was ich anziehe. Ein Ruck­sack bie­tet kei­nen Platz für Eitel­kei­ten. Es bedeu­tet sich nicht zu küm­mern, ob der Zug Ver­spä­tung hat. Unter­wegs ver­geht Zeit nun mal anders. Es bedeu­tet nicht zu wis­sen, wo ich die Nacht ver­brin­gen werde. Im Moment leben wird zur ein­zi­gen Mög­lich­keit. Es bedeu­tet Fremde zu tref­fen und ihnen zu vertrauen.

Daeng.

Ich bin nicht mal sicher, ob das dein rich­ti­ger Name ist. Auch den habe ich ver­ges­sen. Aber in einem bin ich mir jetzt sicher:

Ich werde dich nie mehr vergessen.

 

Cate­go­riesThai­land
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Gesa Neitzel

Eigentlich Fernsehredakteurin, aber viel lieber unterwegs, erzählt Gesa auf ihrem Blog von ihren Reisen um die Welt und vor allem zu sich selbst. In ihren Depeschen geht es um Fernweh, Heimweh, Bauchweh... und all den anderen Wehwehchen, die ein Nomadenleben so mit sich bringt.
In den letzten Jahren hat sie in Berlin gelebt, in Australien einen Jeep durchs Outback gefahren, in Lissabon ihr Herz verloren und in Bali nach ersten Surfversuchen gleich ein Loch im Kopf gehabt.

Gesa ist eine Suchende. Nach was? Das weiß sie selbst nicht so genau. Aber was auch immer es ist - es ist irgendwo da draußen und bis sie es gefunden hat, wird’s hier bestimmt nicht langweilig.

  1. Maik says:

    Ich habe die Leute aus Viet­nam, Kam­bo­dscha, Thai­land, Malay­sia und den Phil­ip­pi­nen trotz eini­ger weni­ger Nega­tiv­erleb­nisse ins Herz geschlos­sen und komme mit den oft her­ab­hän­gen­den Mund­win­keln hier in Schland nicht mehr klar. Mir fehlt die Herz­lich­keit .… aber am Sonn­tag geht es ja wie­der los. :-)

  2. Tati says:

    Welch schöne Geschichte… Irgend­wie kommt mir dabei der alte Spruch in den Kopf: „Für die Welt bist du nur irgend­je­mand, aber für irgend­je­mand bist du die Welt“

  3. Tobi says:

    Sehr schö­ner Bei­trag :) schade, dass die Email-Adresse ver­lo­ren ging. Daeng hätte sich bestimmt sehr gefreut und ein­mal mehr ein Beweis für freund­li­che Men­schen, die man auf Rei­sen trifft ;)

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