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Ein Kunstwerk aus buntem Sand und Almosen für Ameisen – Ankunft im Kloster von Tengboche

5. Etappe: Tas­hinga – Teng­bo­che • Höhe Start­ort: 3450 Meter • Höhe Ziel­ort: 3860 Meter • Distanz: ca. 4 Kilo­me­ter • Geh­zeit: ca. 2,5 Stun­den • Beson­der­hei­ten: stei­ler Anstieg, bemer­kens­wer­ter Ever­est-Blick, berüh­rende Momente im Kloster

Nepal_Tenboche_Eingang_pushresetRehe über dem Tor zum Klos­ter Teng­bo­che: Die Tiere waren Bud­dhas erste Zuhörer

Es ist kalt. Wenn man eine Hand flach auf den rauen Stein­bo­den legt, dau­ert es nur wenige Augen­bli­cke, bis sich die Fin­ger steif anfüh­len. Den jun­gen Mann scheint das nicht zu stö­ren. Er geht bar­fuß, pas­siert mit ruhi­gem aber raschem Schritt die Sitz­rei­hen. Sein Platz befin­det sich bereits in der Mitte, ein Beweis dafür, wie lange er schon hier lebt. Im bud­dhis­ti­schen Klos­ter von Teng­bo­che dreht sich eigent­lich alles um Zeit. Mit den Jah­ren nähern sich die Mön­che ihrem Lama, wie der Erleuch­tung. Jetzt hockt der Mönch im Schnei­der­sitz auf einem roten Kis­sen unter­halb der gold-schim­mern­den Bud­dha-Sta­tue, nimmt sein Werk­zeug und lässt den Sand rie­seln. Prä­zise fal­len die gefärb­ten Kör­ner auf ein gro­ßes Holz­brett, fügen sich zusam­men zu den Farb­flä­chen und Linien eines bun­ten Mandalas.

Nepal_Tenboche_Moench_pushresetNepal_Tenboche_pushresetVer­gäng­lich­keit in Farbe: Die Mön­che gestal­ten ein Man­dala aus bun­tem Sand

Der far­bige Sand wird aus diver­sen Schüs­seln mit einem Kup­fer­röhr­chen auf­ge­nom­men, das aus­sieht wie ein Joint. Mit einem Stab reibt der Mönch über die gerif­felte Ober­flä­che des Röhr­chens, die Sand­kör­ner rie­seln aus der Spitze des Joints. Rit­sch-ratsch-rit­sch-ratsch hallt es durch das Klos­ter, das Geräusch nimmt dem Ort genau so wenig das Sakrale wie die kit­schi­gen Lam­pen auf dem Altar oder die Dona­tion-Box, in der die gefal­te­ten Geld­scheine vie­ler Rei­sen­der ste­cken. Für uns ist Teng­bo­che das Ziel die­ses Trek­kings und einer der Höhe­punkte. Das fast auf 4000 Metern gele­gene Klos­ter bie­tet die wohl schöns­ten Bli­cke auf Ama Dablam, Lhotse und Mount Ever­est. Vor allem aber ist es ein beson­ders spi­ri­tu­el­ler Ort – abge­schie­den, aber nicht ein­sam. Kalt. Erha­ben. Berührend.

Nepal_Tashinga_Sonnenaufgang_pushresetNepal_Tashinga_Ofen_pushresetDer Tag beginnt magisch: Die Sonne strahlt über die Gip­fel. Die Sherpa ver­bren­nen Wachholder

Es ist nicht leicht, über Spi­ri­tua­li­tät zu schrei­ben. Alles, was man for­mu­liert, liest sich wie eine Binse, hat den pseudo-gewich­ti­gen Ton­fall von eso­te­ri­scher Rat­ge­ber­li­te­ra­tur. Denn schluss­end­lich hängt es von der per­sön­li­chen Ein­stel­lung ab, was einem Spi­ri­tua­li­tät bedeu­tet. Für uns ist sie Teil des Rei­sens – wir sind los gefah­ren, um unsere Wahr­neh­mung zu erwei­tern, um Gefühle zuzu­las­sen, für die im All­tag kein Platz ist. Und wäh­rend sich andere bis zum in etwa 5400 Metern Höhe gele­ge­nen Base­camp des Mount Ever­est hin­auf quä­len müs­sen, um sich selbst zu spü­ren, erle­ben wir im Klos­ter von Teng­bo­che Momente, die noch lange nach­wir­ken wer­den. Momente, die einem Kraft geben, die einem das Herz wärmen.

Nepal_Tashinga_Bruecke_pushresetNepal_Tashinga_Hund_pushresetNepal_Tenboche_Mount_Everest_pushresetKein Tag für Gip­fel­stür­mer: Die Wol­ken­fahne am Mount Ever­est signa­li­siert star­ken Wind. Auf der Hän­ge­brü­cke ist davon zum Glück nichts zu spü­ren. Und dem klei­nen Fell­mons­ter, das in der Sonne döst, scheint das ohne­hin egal zu sein

Am frü­hen Mor­gen steigt Rauch auf vor der Lodge von Tas­hinga und ver­bin­det sich mit dem Früh­ne­bel, der das Tal bedeckt. Es ist ein Brauch der Sherpa, Wach­hol­der­zweige im haus­ei­ge­nen Schrein zu ver­bren­nen. Der Rauch soll die Geis­ter beschwich­ti­gen. Hin­ter den Ber­gen kom­men die ers­ten Son­nen­strah­len her­vor. Kurz nach 8 Uhr mor­gens gehen wir durch einen klei­nen Wald, über­que­ren eine Hän­ge­brü­cke und kom­men zum Kon­troll­pos­ten hin­ter Roll­sta­chel­draht. Der bewaff­nete Sol­dat prüft unsere Per­mits, und dann beginnt der lange Anstieg zum Klos­ter. 600 Höhen­me­ter sind zu über­win­den. Einige Por­ter über­ho­len uns, Yaks kom­men uns ent­ge­gen, in einer Kurve mau­ern zwei Män­ner an einem Müll­häus­chen, unter uns wird der Fluss immer klei­ner. Schließ­lich betre­ten wir durch ein wei­ßes Tor mit rotem Dach die Hoch­ebene mit eini­gen Stu­pas, dem Klos­ter Tang­bo­che und einem groß­ar­ti­gen Blick auf den höchs­ten Berg der Welt.

Tengboche_Moenche_pushresetGebets­fah­nen, ein Tor, Mön­che in Turn­schu­hen und – selbst­ver­ständ­lich – roten Fleece­ja­cken: Will­kom­men in Tengboche

Vor dem Klos­ter­ein­gang ste­hen Mön­che in roten Kut­ten, über denen sie rote Fleece­ja­cken tra­gen. Einer nes­telt sein Handy her­vor. Ein ande­rer inter­es­siert sich für unser Fern­glas und lässt sich von Dirk zei­gen, wie man es scharf stellt. Und hatte Dirk mit dem Glas den Mount Ever­est abge­sucht, ob oben jemand steht, rich­tet der Mönch den Blick auf die Ama Dablam. Wie alle hei­li­gen Berge Nepals hat auch die­ser einen weib­li­chen Namen: „Mut­ter in ihrem Hals­tuch“. Ein wei­te­rer Mönch kommt, blickt durch das Fernglas.

Nepal_Tenboche_Moench_Fernglas_pushresetNepal_Tenboche_Moenche_Handy_pushresetNepal_Tenboche_Kloster_pushresetIhre Hei­lig­keit, ganz nah: Der Mönch zoomt nicht auf den Ever­est son­dern auf den hei­li­gen Berg Ama Dablam. Ob sein Glau­bens­bru­der die Num­mer vom Dalai Lama hat? Das Klos­ter hin­ter einer Stein­mauer liegt auf 3890 Metern Höhe

Wir betre­ten das Klost­er­in­nere. Noch sind wir die ein­zi­gen Besu­cher. An den Wän­den sind Sta­tio­nen des Bod­hi­s­attva-Lebens gemalt, sie schil­dern wie Prinz Sid­dha­rta zur Erleuch­tung gelangte. Die bud­dhis­ti­sche Lehre ist kom­plex, sie ent­hält ver­schie­dene Bud­dha-Wesen, Bud­dhas der Ver­gan­gen­heit, der Zukunft und natür­lich den his­to­ri­schen Prin­zen. Auf der Fens­ter­bank ste­hen einige Amrita, Gefäße für das Ele­xier zur Befrei­ung. In der Mitte des Rau­mes thront ein gro­ßer gol­de­ner Bud­dha. Er lächelt gütig. Links neben ihm sitzt, rit­sch-ratsch-rit­sch-ratsch, der junge Mönch auf dem Boden. In gebück­ter Hal­tung lässt er den far­bi­gen Sand die Holz­platte rieseln.

Nepal_Tenboche_Moench_Mandala_pushresetRuhe, Lächeln und der Glaube an den Kreis­lauf des Lebens: der Mönch und sein Werk für den Wind

Was damit geschieht, wenn das Sand-Man­dala fer­tig ist, wol­len wir wis­sen. Seit Tagen schon arbei­ten meh­rere Mön­che abwech­selnd an dem Bild. Unzäh­lige Arbeits­stun­den gehen in die­ses Werk. Es ent­steht für die wich­tigste Zere­mo­nie des Jah­res, Mani Rimdu: Die Mön­che wer­den eine mas­kier­ten Tanz auf­füh­ren, die Dorf­ge­mein­schaft wird geseg­net. Und nach dem Ende der Fei­er­lich­kei­ten wird das Man­dala vom Lama in den Wind gepus­tet, es soll sich mit dem Was­ser des Flus­ses ver­men­gen. Alles ist vergänglich.

Er hänge nicht an sei­ner Arbeit, sagt der Mönch, es sei der Kreis­lauf des Lebens. Er spricht leise, sein Eng­lisch ist sehr gut. Die Mön­che wer­den hier nicht nur reli­giös unter­rich­tet, son­dern auch in welt­li­chen The­men. Noch immer ist es üblich, dass Eltern vor allem ihre zweit­ge­bo­re­nen Söhne zur Aus­bil­dung ins Klos­ter gaben (die erst­ge­bo­re­nen über­neh­men den Hof). Und doch hält es nur die wenigs­ten an einem Ort wie Teng­bo­che. Viele arbei­ten spä­ter als Trek­king-Gui­des.Nepal_Tenboche_Buddha_pushresetMoment der Erleuch­tung: Der Gau­t­ama-Bud­dha ruft die Erde als Zeu­gen an für seine Erkennt­nis (rechte Hand weist auf den Boden) und hält in der lin­ken die Amrita, in dem Gefäß befin­det sich das Eli­xier zur Befrei­ung von der Unwissenheit

Die Begeg­nung berührt mich sehr. Ich knie auf dem Boden, höre zu und lerne, was die ein­zel­nen Sym­bole des Man­da­las zu bedeu­ten haben. Bis­her habe ich mich nur men­tal mit dem Bud­dhis­mus aus­ein­an­der gesetzt. Ver­kürzt dar­ge­stellt, halte ich ihn für einen Teil der gött­li­chen Mani­fes­ta­tio­nen, er reprä­sen­tiert für mich das Non­duale. Das Duale Sein stellt sich im Christ­li­chen Glau­ben dar. Hier im Klos­ter kann ich die Güte der Mön­che füh­len, ihren Respekt vor allem Leben­den. Man könnte sagen, die­ser Ort hat gute Vibes.

Wir ver­las­sen das Klos­ter als immer mehr Tou­ris­ten kom­men und zie­hen, auf den Trep­pen­stu­fen hockend, unsere Schuhe wie­der an. Junge Mön­che sit­zen neben uns auf einer Bank, lachen, necken sich, bezie­hen uns in ihre Scherze ein. Wir lachen mit ihnen. Und doch frage ich mich, was ich an einem sol­chen Ort suche? Schließ­lich betritt einer der älte­ren Mön­che den klei­nen Innen­hof. Und plötz­lich wird mir klar: Wie die meis­ten reli­giö­sen Men­schen suche auch ich Ver­ge­bung für meine schein­bar mensch­li­che Unvoll­kom­men­heit. Der Mönch lächelt mir zu. Nein, er wird mir nicht ver­ge­ben, nie­mand wird es tun, denn es gibt nichts zu ver­ge­ben. Bud­dha hat erkannt, dass alles in jedem Moment voll­kom­men ist.

Nepal_Tenboche_Stupa_pushresetNepal_Tenboche_Dirk_Moench_pushreset

Große Momente: Hin­ter dem Tsch­or­ten stemmt sich der höchste Berge der Welt in den blauen Him­mel. Davor lässt ein Mönch Brot­kru­men auf den Boden rie­seln – er füt­tert die Ameisen 

Noch eine Weile sit­zen wir in der Sonne, unter­hal­ten uns mit eini­gen Mön­chen, erfah­ren, dass ihr Tag um 5 Uhr mor­gens beginnt und geprägt ist von einer streng gere­gel­ten Abfolge aus Beten und Arbei­ten, Ler­nen und Essen. Um 21 Uhr beginnt die Nacht­ruhe. Ein wei­te­rer Mönch in roter Out­door-Klei­dung und viel zu gro­ßen Turn­schu­hen betritt den Vor­platz des Klos­ters und ver­streut Brot­kru­men. Was er da tue, wol­len wir wis­sen. Er ant­wor­tet: „Ich füt­tere die Ameisen.“

Inzwi­schen ist es frü­her Nach­mit­tag. Wir haben ein paar Fotos gemacht von uns vor die­sem unfass­bar beein­dru­cken­den Pan­orama, haben im nahen Gast­haus eine Suppe geges­sen (immer noch viel Kike­riki im Bauch). „Lass uns gehen“, sagt Dirk, „es wird kalt.“ Wir machen uns auf den Rück­weg zur Lodge in Tas­hinga. In drei Stun­den unge­fähr sind wir da. Es ist der Anfang unse­rer Rück­reise über Lukla nach Kathmandu.

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Susanne & Dirk

Ein Paar auf Reisen. Susanne war Bildredakteurin beim Kunstmagazin ART und arbeitet jetzt als freie Fotografin, Dirk war Textredakteur beim Reisemagazin GEO SAISON und ist nun freier Autor. Im August 2012 haben wir uns auf eine kleine Weltreise begeben, und die hat uns verändert. 2013 verlassen wir die kuschlige Verlags-Behörde mit Kantine und Betriebssport und sind seither selbstständig im Netz. Als Paar publizieren wir im Blog push:RESET Reiseberichte und Texte zu touristischen Themen, als Autoren arbeiten wir für diverse Medien – von Spiegel Online bis zur Huffington Post –, und als Team sind wir verantwortlich für das Netzwerk SUSIES LOCAL FOOD HAMBURG. Schaut doch mal vorbei!

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