„Que rica, esta coquita, no?“, sagt Don Cipriano, was so viel heißt wie: „Lecker, diese Koka, nicht wahr?“ Dabei schaut er mich erwar­tungs­voll an, wäh­rend er ein Bün­del getrock­ne­ter, nicht wirk­lich appe­tit­lich aus­se­hen­der Koka­blät­ter glatt streicht und sich genüss­lich in den Mund schiebt. Don Cipriano ist Aymara und einer jener tra­di­tio­nel­len Hei­ler, die land­auf, landab höchste Auto­ri­tät besit­zen. Mit Koka­blät­tern deu­tet er die Zukunft, dia­gnos­ti­ziert Krank­hei­ten und fin­det die rich­ti­gen The­ra­pien. An ihrem Geschmack erkennt er, ob es ein guter oder ein schlech­ter Tag wird. Manch­mal schme­cken sie süßer, manch­mal bit­te­rer. Aber immer lecker. Sagt Don Cipriano.

Besser durchatmen mit Coca

Ich ant­worte mit einem lang gezo­ge­nen: „Hmmm.“ Das ist weder unhöf­lich noch gelo­gen. Ehr­lich gesagt: Es schmeckt mir nicht. Und weil ich den typi­schen Anfän­ger­feh­ler mache, auf den Koka­blät­tern herum zu kauen wie auf einem ame­ri­ka­ni­schen Kau­gummi, habe ich über­all kleine Schnip­sel in Mund und Rachen. Hof­fent­lich ersti­cke ich nicht daran. Das wäre dumm, denn eigent­lich soll das Koka­kauen hel­fen, bes­ser durch­at­men zu kön­nen, hier auf der Hoch­ebene der Anden, 4.000 Meter über dem Meeresspiegel.

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Coca für Anfänger

Don Cipriano kommt mit einer damp­fen­den Tasse Tee aus sei­ner Hütte. „Hier“, sagt er und schmun­zelt, „trink lie­ber Koka­tee.“ Und dann zeigt er mir noch, wie ich die Koka­reste mit zwei Fin­gern ele­gant aus dem Mund ent­ferne und für „Pacha­mama“, die Mut­ter Erde, unter einen Stein lege. Denn aus­spu­cken geht gar nicht, das wäre ein nicht wie­der gut zu machen­der Affront gegen alles, was einem Aymara-India­ner wie Don Cipriano hei­lig ist. Mama Koka, das ist nicht ein­fach ein Strauch. Mama Koka ist der direkte Draht nach oben, die Ver­bin­dung zwi­schen Dies­seits und Jen­seits, zwi­schen India­nern und ihren Göt­tern. Mama Koka ist gesund und – ja, auch das werde ich noch ler­nen – lecker.

Der Strauch, von dem die Rede ist, heißt Ery­thr­oxylum Koka. Er lebt 40 bis 50 Jahre, ist anspruchs­los und wird drei- bis fünf­mal im Jahr geern­tet. Darum ist er bei boli­via­ni­schen Bau­ern so beliebt. Ver­wen­det wer­den die Blät­ter des Koka­strauchs. Neben 15 ver­schie­de­nen Alka­lo­iden ent­hal­ten sie aro­ma­ti­sche Stoffe, äthe­ri­sche Öle, Mine­ra­lien, Spu­ren­ele­mente und Vit­amine. Eines der 15 Alka­lo­ide ist Kokain. Darum ist der Strauch nicht nur bei Bau­ern beliebt.

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Keine Flügel nirgendwo

Wer meint, nach dem Kon­sum von Koka­blät­tern wür­den ihm Flü­gel wach­sen, irrt. Um ein Kilo Kokain her­zu­stel­len, braucht es Mas­sen. Eine Hand voll Blät­ter im Mund ist eben noch lange keine Nase. Hinzu kommt, dass das biss­chen Kokain beim Kauen schon im Mund durch den Spei­chel, spä­tes­tens aber im Magen durch die Magen­säfte abge­baut wird zu Ecgo­nin. Und das  wirkt nicht auf den Sym­pa­thi­kus des vege­ta­ti­ven Ner­ven­sys­tems, son­dern auf den Para­sym­pa­thi­kus. Will hei­ßen: keine Flü­gel nirgendwo.

Statt­des­sen: ein ver­bes­ser­ter Nah­rungs­um­satz, eine leichte Anhe­bung der Kör­per­tem­pe­ra­tur und bes­sere Auf­nahme von Sau­er­stoff. Vit­amine und Spu­ren­ele­mente machen Koka zur sinn­vol­len Nah­rungs­er­gän­zung: 100 Gramm Koka decken den Tages­be­darf eines Erwach­se­nen an Kal­zium, Eisen, Phos­phor, Vit­amin A, B2 und E und ver­sor­gen ihn mit 305 Kalo­rien, 19 Gramm Pro­tein und 46 Gramm Koh­le­hy­dra­ten, so eine Stu­die der Har­vard-Uni­ver­si­tät. Und weil die Men­schen zudem Arbeits­pau­sen ein­le­gen, wenn sie mit dem Koka­ri­tual begin­nen, för­dert es ohne Zwei­fel Gesund­heit, Wohl­be­fin­den und Leistungsfähigkeit.

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In der Höhe auf der Höhe

Das Tolle: Man muss gar nicht daran glau­ben, es wirkt von alleine. Auch bei mir: Koka hat wäh­rend mei­ner Auf­ent­halte in Boli­vien meine Kopf­schmer­zen gelin­dert, die Höhen­krank­heit kuriert und eine Zahn­fleisch­ent­zün­dung geheilt. Don Cipriano hat mir feuchte Koka­blät­ter auf die Schlä­fen geklebt, eine fri­sche Wunde mit Koka-Umschlä­gen ver­sorgt, und er hat mir Tees ein­ge­flößt. Ich habe Koka getrun­ken und gekaut. Gewirkt hat sie immer. Nur lecker ist sie nicht. Finde ich.

Andere fanden sie lecker

Zum Bei­spiel Angelo Mariani, ein Apo­the­ker aus Kor­sika: Er mischte Rot­wein mit einem Extrakt aus Koka­blät­tern und nannte es „Vin Mariani“. 1863 wurde das Getränk erst­mals in Ita­lien pro­du­ziert. Inzwi­schen hatte aber das reine Kokain, das erst­mals vom deut­schen Albert Nie­mann iso­liert wor­den war, dem gesun­den Koka­blatt längst den Rang abge­lau­fen. Ganz Europa ließ sich Flü­gel wachsen.

Das Ende der Koka­ine­po­che kam nach dem Ers­ten Welt­krieg, als mit der Ver­ab­schie­dung des Opi­um­ge­set­zes der freie Ver­kauf von Kokain gestoppt wurde. Auch der Koka­wein Vin Mariani wurde ver­bo­ten. Aber dann kam noch etwas ande­res: die braune Brause,1886 in einer Soda-Bar in Atlanta für 5 Cent das Glas ver­kauft. „Coca-Cola“. Noch heute soll die erfolg­rei­che Brause Koka aus Boli­vien ent­hal­ten, dem aber zuvor das Kokain ent­zo­gen wird.

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Nix Coca Cola

Ob er Coca-Cola genauso lecker fin­det wie Koka, will ich von Don Cipriano wis­sen. „Nada que ver!“, ruft er erbost, was so viel heißt wie: „Über­haupt kein Ver­gleich!“ Dar­auf fol­gen eine Schimpf­ti­rade auf Ame­rika und zahl­rei­che, wenig schmei­chel­hafte Attri­bute für Coca-Cola. Von gif­ti­gem Zucker­was­ser, das die Lei­ber auf­quel­len lässt, und che­mi­scher Brühe, die mög­li­cher­weise die übels­ten Krank­hei­ten aus­löst, ist bei Don Cipriano die Rede. Das fand wohl auch Prä­si­dent Evo Mora­les.  2012 warf er den US-Geträn­ke­kon­zern aus dem Land. Boli­vien ist seit­her Coca-Cola freie Zone.

Wer braucht schon Coca Cola. Schliess­lich gibt es sooooo leckere Koka­pro­dukte in Boli­vien. Zum Bei­spiel Koka­tee und Kokakekse.

„Acaso no son ricos?“ – „Sind sie etwa nicht lecker?“, fragt er mich und schaut mich her­aus­for­dernd an. „Doch“, sage ich im Brust­ton der Über­zeu­gung, „sehr lecker.“ Denn inzwi­schen weiß ich auch, dass „rico“ nicht nur lecker, son­dern auch „reich“ oder „wert­voll“ heißt.

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Und mal ehr­lich: An den Geschmack habe ich mich inzwi­schen auch gewöhnt. Wenn ich heute in Bonn einen boli­via­ni­schen Tee­beu­tel auf­gieße und der unver­wech­sel­bare Duft von Koka Erin­ne­run­gen an den Titi­ca­ca­see und schnee­be­deckte Anden­gip­fel, an die Worte Don Cipria­nos und seine geheim­nis­vol­len Rituale weckt, kann ich gar nicht anders, als leise zu seuf­zen und ein inbrüns­ti­ges „Hmmmmm, lecker, Koka!“ zu hauchen.

Cate­go­riesBoli­vien
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Gitti Müller

Mein erster Anfall von Fernweh hat mich 1980 ein Jahr lang als Backpackerin nach Südamerika geführt. Damals wog so ein Rucksack noch richtig viel und das Reisen war beschwerlich. Seitdem kann ich es einfach nicht lassen. Heute habe ich vor allem einen Laptop und meine DSLR im Gepäck. Als Fernseh-Journalistin und Ethnologin komme ich viel rum aber in Lateinamerika fühle ich mich einfach wie zu Hause. Damit ich auch in abgelegenen Andenregionen ein Schwätzchen mit den Leuten halten kann habe ich die Indianersprachen Aymara und Quechua gelernt.
Im Mai 2017 hat der Piper-Verlag mein Buch "Comeback mit Backpack - Eine Zeitreise durch Südamerika" herausgebracht (ISBN-10: 3890291422, 272 Seiten mit Fotos) Es erzählt von meinen Reisen in analogen und in digitalen Zeiten.

  1. Michael kugler says:

    Ich möchte direkt vom Bauer koka­blät­ter für Tee kaufen.Können Sie mir wei­ter helfen.Falls Sie mit der email nicht wei­ter kommen,da ich gerade schwie­rig­kei­ten kit mei­nem Com­pu­ter habem­bitte ich Sie mich anzu­ru­fen unter der tele­fon­num­mer 017035553800
    Würde mich Wahn­sin­nig freuen,könnten Sie mir wei­ter helfen,wie zum Bei­spiel ein Laden mit Inter­net­seite der mir wei­ter hilft.
    Viele Grüße Michael­kug­ler Peterstrasse119a in26382Wilhelmshaven Deutschland.

    1. Gitti says:

      Hallo Michael,
      die Ein­fuhr von Coca-Blät­tern nach Europa ist nach wie vor ille­gal. Da kann ich Dir nicht helfen.
      Viele Grüße

  2. Simon says:

    Hallo Gitti, sehr inter­es­sant und wie schon von ande­ren geschrie­ben gut recher­chiert. Aller­dings schreibst Du, dass es ein Feh­ler wäre, die Blät­ter wie ein Kau­gummi zu kauen, aber lei­der nicht, wie es rich­tig wäre. Ich bin gerade in Cuzco und habe noch in Nazca von einem sehr net­ten Her­ren ein paar Blät­ter geschenkt bekom­men. Das Kauen alleine zeigte jedoch keine Wir­kung (ich habe sie aber auch nicht her­un­ter geschluckt). Da ich La Paz noch vor mir habe, würde mich die kor­rekte Ein­nahme inter­es­sie­ren. Vie­len Dank und viele Grüße aus Perú

    1. gitti says:

      Hallo Simon,
      die Blät­ter wer­den „gelutscht“. Du legst sie über­ein­an­der, machst die Sten­gel­chen ab und rollst sie dann zusam­men. Dann packst du sie in die rechte oder linke Wange und läßt sie da ein­fach lie­gen. Die Spu­cke wäscht dann lang­sam alle guten Inhalts­stoffe aus und wan­delt Kokain zu Ecgo­nin um. Der heil­same Saft wan­dert dann in den Magen. Wenn die Blät­ter „aus­ge­lutscht“ sind nimmst du sie mit den Fin­gern wie­der raus und legst sie unter einen Stein für Pacha­mama. Nicht aus­spu­cken! Das wäre eine Belei­di­gung für die Leute dort.
      Viel Spaß in La Paß, fahr mal mit dem Teleferico!

  3. Mir hat es auch nicht geschmeckt und eine Wir­kung konnte ich nicht fest­stel­len. Aber zumin­dest Berüh­rungs­ängste hat das Blät­ter kauen abgebaut.

    Evo Mora­les, der coolste Prä­si­dent der Welt, kaute wäh­rend einer Rede vor der UN in Wien Coca-Blät­ter. „No es una droga!“

    Daß Boli­vien Coca Cola freie Zone sein soll, muss aber iro­nisch gemeint sein. urbane Boli­via­ner trin­ken das braune Zeug wie Was­ser. Kein Wun­der, eine „Coke Per­so­nal“ kos­tet nur 1 Boli­viano und ist in jedem noch so klei­nen Laden zu haben.

    1. gitti says:

      Hallo Flo­rian,
      Der coolste Prä­si­dent hatte ein­mal ver­fügt, dass Boli­vien Cola-freie Zone wird und die Pro­duk­ti­ons­stät­ten aus dem Land ver­bannt. Aber wie alle ver­bo­te­nen Dinge fin­den sie dann doch wohl ihren Weg hinein…ersatzweise gibt es ja auch „inka-Cola“.

  4. Steve says:

    Bei mei­nem Auf­ent­halt in Peru und Boli­vien war ich auch recht neu­gie­rig auf die­ses Wun­der­mit­tel­chen. Glück­li­cher­weise hatte ich kaum Pro­bleme mit der Höhe, den­noch habe ich es aus­pro­biert: die Blät­ter allein aber auch im Tee. Geschmack­lich hat mich Koka nie über­zeugt, egal in wel­cher Form – den Tee fand ich nur nach Zusatz von Zucker und Zitrone genieß­bar. Den­noch bin ich vie­len Rei­sen­den begeg­net die mein­ten eine Wir­kung zu verspüren.

    Was soll’s: wenn man einen Koka-Tee bei solch sen­sa­tio­nel­len Aus­bli­cken auf den Inseln des Titi­k­aka­see oder aber aber bei den über­wäl­ti­gen­den Ein­drü­cken im wuse­li­gen La Paz trinkt berei­chert es doch das Rei­se­er­leb­nis unge­mein, schließ­lich ist es ele­men­ta­rer Bestand­teil der Kul­tur vor Ort :)

    1. gitti says:

      Das ist wahr Steve, Coca gehört dazu. Aber es wird auch nie­man­dem übel genom­men wenn man es sein läßt. Haupt­sa­che man spukt nicht rum damit und sagt „igitt“. Das käme nicht gut an (-;

  5. Pingback:Unpacking Travel: Ausgabe 17 | GoEuro Blog

  6. Oh ich liii­iebe Koka­tee! Koka­blät­ter im Mund fand ich auch eher mäßig schmack­haft, aber der Tee ist lecker und half mir auch bei der Reise durch Boli­vien und Peru.
    Aber soweit ich weiß ist Koka­tee in Europa immer noch ver­bo­ten, oder? Zumin­dest hat­ten wir das 2008 mit­be­kom­men, als wir eine Fami­li­en­pa­ckung Koka­tee mit nach Deutsch­land genom­men hat­ten und danach fest­stell­ten, dass das schein­bar eine ille­gale Tat war, die aber zum Glück nie­man­dem auf­fiel. Puh! ;)

    1. ja, glück gehabt. der deut­sche zoll sieht bei der ver­such­ten Ein­fuhr von Coca-Tee einen Ver­stoß gegen das deut­sche Betäu­bungs­mit­tel­ge­setz. lei­der hält sich hart­nä­ckig der in der gen­fer kon­ven­tion ver­an­kerte irr­glaube coca sei das­selbe wie kokain. ziem­lich absurde vor­stel­lung von coca­tee high zu werden ((-;

    2. Michael kugler Solange man in nicht weiter verarbeitet intressiert das niemand.Kannst Du mir da helfen? says:

      Ich möchte direkt vom Bauer koka­blät­ter für Tee kaufen.Können Sie mir wei­ter helfen.Falls Sie mit der email nicht wei­ter kommen,da ich gerade schwie­rig­kei­ten kit mei­nem Com­pu­ter habem­bitte ich Sie mich anzu­ru­fen unter der tele­fon­num­mer 017035553800
      Würde mich Wahn­sin­nig freuen,könnten Sie mir wei­ter helfen,wie zum Bei­spiel ein Laden mit Inter­net­seite der mir wei­ter hilft.
      Viele Grüße Michael­kug­ler Peterstrasse119a in26382Wilhelmshaven Deutschland.

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