Als wir uns wie­der stark genug füh­len, machen wir es uns zur Auf­gabe, Jakarta zu ver­las­sen und ein Zug­ti­cket zu kau­fen. Dass dies einen hal­ben Tag in Anspruch nimmt ist typisch für unser Jakarta. An der Gam­bir-Sta­tion sind alle Tickets aus­ver­kauft, aber wir sol­len nicht ver­za­gen und zum ande­ren Bahn­hof ein paar Kilo­me­ter wei­ter gehen. Pas­san­ten, die uns den Weg erklä­ren, ver­ab­schie­den uns nicht mit Good­bye, son­dern bezeich­nen­der­weise mit Be Careful. Und so geht die Jagd über Jakar­tas Stra­ßen wie­der los, mit uns in der Rolle der Gejagten.

push

Als wir am Bahn­hof ankom­men erscheint mir die Unord­nung und Hek­tik so ste­reo­ty­pisch, dass es mir fast insze­niert vor­kommt. Vor 2 klei­nen ver­glas­ten Schal­tern steht eine rie­sige Men­schen­traube. Stän­dig strö­men neue Leute her­bei. Wir haben Pro­bleme in das Gebäude her­ein­zu­kom­men, so groß ist das Gedränge. Über­all flat­tern kleine Reser­vie­rungs­zet­tel herum, die man wohl aus­ge­füllt am Schal­ter prä­sen­tie­ren soll. Der ent­schei­dende Tipp kommt von einer Frau, die uns schnell als über­for­derte Fremd­kör­per iden­ti­fi­ziert: Zug­ti­ckets sind für einen Auf­preis von 47 Cents auch im Super­markt erhält­lich. Sie mar­schiert zügig vor­weg und wir im blin­den Ver­trauen hin­ter­her. Im Eil­tempo orga­ni­siert sie die Tickets für uns, und ehe wir uns ver­nünf­tig bedan­ken kön­nen zischt sie wie­der ab, mit dem Hin­weis, wir sol­len mor­gen um 5:00 am Bahn­hof sein. Auf dem Zug­ti­cket steht, dass die Abfahrt nach Yog­ya­karta um 6:00 ist. Naja, lie­ber trotz­dem um 5 kom­men denke ich mir, Jakarta könnte wie­der gna­den­los sein.
Am Abend schauen wir uns im Kino der „Grand Indo­ne­sian Mall“ einen Film an. Ers­tens, weil wir Lust auf ein wenig unkom­pli­zierte Unter­hal­tung haben und zwei­tens, weil wir so in eine irreale Luxus­welt tau­chen kön­nen, die auch zu Jakarta gehört. Aus dem Sumpf die­ses gna­den­lo­sen Groß­stadt­mo­lochs erhebt sich ein Ein­kaufs­zen­trum gen Him­mel, in dem alles dafür getan wird, die Rea­li­tät aus­zu­sper­ren. Ein Secu­rity am Ein­gang soll vor­der­grün­dig Taschen auf Waf­fen kon­trol­lie­ren, mir kommt er eher wie eine Gesichts­kon­trolle vor. Die mit­tel­lo­sen Men­schen aus den Stra­ßen Jakar­tas müs­sen drau­ßen blei­ben. Wir Euro­päer müs­sen nicht ein­mal unse­ren Ruck­sack auf­hal­ten. Taxis holen die Pri­vi­le­gier­ten direkt im über­dach­ten Erd­ge­schoss ab, denn wer die Mall über den Haupt­ein­gang ver­lässt, den holt die Rea­li­tät rück­sichts­los und unmit­tel­bar ein: Men­schen sit­zen, schla­fen, feil­schen, ver­han­deln, spie­len oder sind ein­fach ohne beson­de­ren Anlass da. Aber es sind immer viele. Man­che bie­ten ihr Moped als Taxi an, andere schie­ben einen mobi­len Ein­kaufs­stand vor sich her, von des­sen Gesamt­wa­ren­wert man sich wohl nicht ein­mal ein T‑Shirt aus der Mall kau­fen kann. Aus die­ser Welt kom­mend, ist es ein ande­res Gefühl durch die Mall zu schlen­dern: plötz­lich kom­men mir die Preise der glo­ba­len Beklei­dungs­ket­ten wie fan­tas­ti­sche Mond­preise vor. Wo arm und reich so direkt auf­ein­an­der­pral­len, wirkt das Kon­su­mie­ren kalt und gewis­sen­los. Absurd kommt mir der Gedanke vor, einen Latte Mac­chiato zu trin­ken, der soviel Wert sein soll wie ca. 12 gute Java-Cof­fees im War­ung um die Ecke.

Nacht
warung 2

In der Nacht vor der Abreise kommt noch ein­mal alles zusam­men: Zwi­schen 3:00 und 4:00 mel­det sich bei Aylin die Zie­gen­le­ber zurück. Nichts will mehr in ihrem Magen blei­ben und aus­ge­rech­net jetzt steht eine 8h Zug­fahrt an, womög­lich mit Ziege auf dem Schoß. Wir über­le­gen uns abzu­bre­chen doch ange­trie­ben vom Wunsch wei­ter­zu­rei­sen, nimmt Aylin allen Mut zusam­men, schmeißt ein paar Lope­ra­mid ein und nimmt es ein letz­tes Mal mit Jakarta auf. Der rie­sige Ruck­sack wirkt wie ein Hin­kel­stein auf ihrem Rücken, die Schweiß­per­len rin­nen schon nach den ers­ten Metern in ihr Gesicht. Es ist noch stock­fins­ter aber trotz­dem schon schwül. Nach 5 Geh­mi­nu­ten die erste erzwun­gene Pause: Die Medi­ka­mente wir­ken offen­bar noch nicht. Sobald wir wei­ter­lau­fen bie­tet uns ein win­di­ger Taxi­fah­rer nach dem ande­ren an ein­zu­stei­gen. Einer kur­belt seine Scheibe her­un­ter, gla­sige Augen schauen prak­tisch durch uns durch. Er sagt nichts außer in regel­mä­ßi­gen Abstän­den „Air­port“. Auweia. So bin ich vor­erst damit beschäf­tigt links von mir die aggres­si­ven Taxi­fah­rer abzu­wim­meln und nach rechts Durch­hal­te­pa­ro­len an Aylin abzu­ge­ben. Nach 30 Minu­ten Fuß­marsch ist der Bahn­hof noch weit ent­fernt und Aylin den Trä­nen nahe. Ihr fehlt die Kraft und uns mitt­ler­weile die Zeit, unse­ren Zug noch recht­zei­tig zu errei­chen. So ent­steht eine para­doxe Situa­tion: Ich will ein Taxi fin­den, wäh­rend ich damit beschäf­tigt bin, genau diese von uns fern­zu­hal­ten. Ein Tuk-Tuk knat­tert an uns vor­bei, der Fah­rer wirkt fahr­tüch­tig und der Preis ist akzeptabel.

tuk tuk

Der Stress fällt mit einem mal ab, als ich den Zug ein­fah­ren sehe – wir haben eine Kli­ma­an­lage, ganz nor­male Sitze und müs­sen den Platz nicht mit einer Ziege tei­len (wie uns vor­her pro­phe­zeit wurde).
Oh Jakarta, du hast wirk­lich mit allen Ban­da­gen gekämpft! Der eine mag die Stadt als ‚stres­sig’ bezeich­nen, der andere als ‚inten­siv’ – ich denke der per­sön­li­che Ein­druck ist bei jedem Mensch ver­schie­den. Ein kana­di­scher Aus­wan­de­rer sagte über seine Wahl­hei­mat nur ‚It’s a shit­hole’. So kann man es auch sehen. Viel­leicht über­lege ich mir bei mei­nem nächs­ten Indo­ne­sien Besuch auch zwei­mal, ob ich nicht direkt nach Bali flie­gen soll. Trotz­dem bleibt die Erin­ne­rung, es mit Jakarta auf­ge­nom­men zu haben. Und diese ist inten­siv und nach­hal­tig. Sehr inten­siv und sehr nachhaltig.

Fahrrad.

Cate­go­riesIndo­ne­sien
  1. Thomas says:

    Hallo ihr beiden,

    waren 1997 da. Nur vom Flug­ha­fen zum Bahn­hof und dann wei­ter Jogja. Rest-Java und Bali sind bes­ser. Aller­dings geht es mir mit Indo­ne­sien – dage­we­sen ja, aber kein zwei­tes Mal. Viel­leicht irgend­wann noch mal nach Thailand…

    Schöne Reise noch
    Thomas

  2. Tom says:

    Hi ihr Beiden,

    nach­dem ich 92 und 2001 mich von Jakarta erschla­gen lies, nenne ich es auch nur noch das Dreck­loch. Die Stei­ge­rung des übli­chen Chaos sind Smog oder Stark­re­gen, der die Kanäle zum über­lau­fen bringt oder Trup­pen­trans­por­ter auf jedem Roundabout. 

    Tip für einen Abflug aus Jakarta ist Bogor – ein wenig ver­schla­fen mit einem tol­len Park – und einem Flug­ha­fen Shuttle.
    Falls euch Java zu hek­tisch und Bali zu tou­ris­tisch wird kann ich euch Sula­wesi emp­feh­len. Viel zu sehen und gute Mög­lich­kei­ten mal seine Ruhe zu haben.

    Viel Spass in Indo­ne­sien, Tom.

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