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Iran Teil 2 – Vollmond über der Moschee

Bein­frei­heit. Ich kann es kaum glau­ben. Wir stei­gen in den Bus von Tehe­ran nach Esfa­han und haben min­des­tens einen Meter Bein­frei­heit. So viele Bus­fahr­ten in so vie­len Län­dern lie­gen hin­ter mir, aber nir­gendwo habe ich mich so wohl gefühlt wie in den ira­ni­schen Rei­se­bus­sen. Der zähe Ver­kehrs­strom klebt wie Honig, nur Meter für Meter kom­men wir aus der Haupt­stadt her­aus. Doch irgend­wann wer­den die Fahr­zeuge weni­ger, die Land­schaft wir kar­ger. Es geht Rich­tung Süden. Direkt an der Auto­bahn wüs­ten­ar­ti­ger, san­di­ger Boden. Aber in der Ferne stets Berge. Erstaun­lich, wie gebir­gig das alte Per­sien ist. Man fühlt sich weit weg, zwi­schen den Gren­zen. Wie ein Trenn­strei­fen zwi­schen Europa und Asien liegt diese Berg- und Wüs­ten­masse dort, so viel Leere. Doch dann, nach vie­len Stun­den, Lich­ter und Bäume. Esfahan.

Wie lange habe ich davon fan­ta­siert, Esfa­han zu besu­chen? Das ehe­ma­lige Zen­trum des Per­si­schen Rei­ches hat einen Ruf, der mir seit Jah­ren aus den Geschich­ten von Rei­sen­den oder aus unter­schied­li­cher Lite­ra­tur zuge­eilt war. Mein Freund und ich brin­gen zunächst unser Gepäck auf ein Zim­mer in einem Gast­haus unweit des Stadt­zen­trums. Es ist elf Uhr abends, die Stra­ßen sind leer. Wir ver­las­sen das Haus und gehen in Rich­tung Osten, bis wir schließ­lich den Meidān‑e Emām errei­chen. Die­ser Platz ist in mei­nen Augen einer der schöns­ten Plätze der Erde. Im ursprüng­li­chen Sinne des Wor­tes, ein Platz, ein Sam­mel­punkt, ein Zen­trum für die Men­schen der Stadt und der Umge­bung. Abbas I. ließ den Platz zwi­schen 1590 und 1595 unter dem ursprüng­li­chen Namen Naqsch‑e Dschahān („Abbild der Welt“) anle­gen. Seit der Revo­lu­tion von 1979 trägt er zu Ehren von Aja­tol­lah Kho­meni sei­nen Namen „Platz des Imams“, der aber bis heute bei den Ein­hei­mi­schen umstrit­ten ist.

Wir tre­ten in die Mitte die­ses Plat­zes und ver­stum­men. Das Was­ser des künst­li­chen Sees in der Mitte reflek­tiert den Voll­mond und das Licht der vie­len hun­dert Rund­bö­gen an den Basar­ge­bäu­den, die den Platz rund­herum umschlie­ßen. Die bei­den Moscheen, eine zen­tral an der Längs­seite, eine am Ende des Plat­zes, domi­nie­ren die Kulisse mit ihren dun­kel­blau-gold geka­chel­ten Ein­gangs­to­ren. Die Kup­peln las­sen mich ver­stum­men. Ich kann die Pracht nicht beschrei­ben, zu viel, zu viel. Rechts zur Längs­seite der ehe­ma­lige Palast des Schahs mit jener Ter­rasse, von der aus die per­si­schen Herr­scher den Polo­spie­lern auf dem Platz zusa­hen. Wir schlen­dern tumm in Rich­tung Moschee, der Voll­mond als Beglei­ter über den Dächern die­ser tota­len Stille. Kurz war ich am Nach­mit­tag ent­täuscht, dass wir erst im Dun­keln ankom­men wür­den. Nun aber ist es der per­fek­teste erste Moment für Esfa­han. Voll­kom­men still ist es. Das ver­stärkt die Wir­kung die­ses Ortes um ein Vielfaches.

Der alte Mann und die Nasenfrau

Dann aber wird die Stille jäh been­det. Wir spa­zie­ren an den geschlos­se­nen Läden des Basars ent­lang. In einem brennt noch Licht. Mein Freund betra­chet soeben die Schach­bret­ter im Schau­fens­ter, als die Tür auf­fliegt und ein älte­rer Mann mit zer­brö­seln­den Zäh­nen uns anstrahlt. In brei­tes­tem ame­ri­ka­ni­schen Akzent ruft er: “Hello fel­las, wanna come in?” Die­ser Mann ist kein Freund von Zurück­hal­tung. Inner­halb von zwei Minu­ten wis­sen wir, dass er jähr­lich nach Esfa­han reist, jähr­lich in DIESEM Laden sein Geld für Anti­qui­tä­ten aus­gibt. Heute erhält seine aus Iran stam­mende Beglei­te­rin ein Geschenk für ihr soeben bestan­de­nes Diplom. Die junge Dame mit ope­rier­ter Nase (wie über­haupt viele Frauen in Iran Nasen oder Lip­pen ope­ra­tiv ver­än­dern las­sen) ist nicht älter als 25, der alte Ame­ri­ka­ner min­des­tens Mitte 60. Er küsst sie auf die Wange und mein Freund und ich star­ren uns an. Adop­tiv­toch­ter? Seine “Nichte”?? Wir wer­den es nie erfah­ren. Wir erfah­ren aber sei­nen Spitz­na­men. “The cap­tain”. Er sei lange bei der Marine gewe­sen, also sol­len wir ihn ruhig cap­tain nenne. So nenne ihn schließ­lich jeder Mensch. Der Cap­tain ver­ab­schie­det sich nach wei­te­ren zehn Minu­ten und ent­schwin­det mit sei­ner jun­gen Freun­din in die dun­keln Sei­ten­gas­sen des Meidān‑e Emām. Man­che Typen blei­ben einem ewig in Erin­ne­rung, obwohl man sie nur für einen Moment erle­ben durfte. Der Cap­tain gehört für uns dazu.

Der kom­mende Tag bringt Sonne, blauen Him­mel, der Ruf des Muez­zin weckt uns extrem früh. Er bringt auch das Ende der Ruhe. Vor unse­rem Gast­haus eine vier­spu­rige Straße und eine Bau­stelle. Der Lärm ist betäu­bend, selt­sa­mer­weise schlä­fert er uns mehr ein, als dass es uns weckt. Auf der Suche nach einem Früh­stück wer­den wir in einer schma­len Gasse fün­dig. Ein klei­ner Laden, nicht mehr als ein Raum mit drei Tischen und einem uralten Mann, der an der Kasse sitzt. Hin­ter ihm zwei Ira­ner mitt­le­ren Alters, die den ein- und aus­flie­gen­den Män­nern, und nur Män­nern, Tee ein­gie­ßen. Wir erhal­ten neben dem Tee Spie­gel­eier und Brot. Es ist köst­lich. Als wir zu essen begin­nen, wer­den die Laden­be­sit­zer unru­hig. Was wol­len die bei­den Frem­den denn hier? Als mein Freund sie auf Farsi infor­miert, wo wir her kom­men und was wir hier wol­len, ent­span­nen sich ihre Gesich­ter. Schließ­lich spre­chen sie am Neben­tisch wie selbst­ver­ständ­lich über uns. “Die bei­den sind aus Deutsch­land”, sagen sie zuein­an­der und sehen uns zu, wie wir unser Ei essen. Tou­ris­ten sind in Esfa­han üblich, aber Tou­ris­ten, von denen einer rela­tiv per­fekt Farsi spricht, das kommt nun nicht alle Tage vor.

Danach geht es zum Platz von ges­tern Nacht. Wie anders er erscheint, im Son­nen­schein und besucht von vie­len ira­ni­schen Tou­ris­ten. Aus­län­der sehen wir bei­nah über­haupt nicht. Wir schlen­dern durch den Basar, der rund­herum den Platz umschließt. Die Ver­käu­fer neh­men uns über­haupt nicht wahr und wenn, dann las­sen sie sich nichts anmer­ken. Wir wer­den kom­plett in Ruhe gelas­sen, respekt­voll. Zurück­hal­tend. Spä­ter erzählt uns ein Ira­ner im Gast­haus, dass diese Höf­lich­keit durch­aus etwas mit Stolz zu tun hat. Die Per­ser waren seit jeher ein gast­freund­li­ches Volk, und ein Volk, das jedem Gast sei­nen Raum und seine Pri­vat­sphäre las­sen will. Diese Eigen­schaft ist tat­säch­lich spür­bar. Man fühlt sich freund­lich emp­fan­gen, aber nie­mals belästigt.

Nun ist es Zeit, die bei­den Moscheen am Meidān‑e Emām zu betre­ten. Ges­tern Nacht stan­den wir vor ver­schlos­se­nen Türen. Zunächst betrete ich den Innen­hof der Imam Kho­meini Moschee. Ich trete aus dem Licht vor der Tür in das Licht im Innern – und zugleich trete ich in eine andere Welt. Eine geschlos­sene, beru­hi­gende, medi­ta­tive Ath­mo­sphäre. Das Blau der hohen Gebäude, die Kacheln reflek­tie­ren die Sonne, haben etwas unge­mein Ver­trau­tes. Anmut. Pracht, ohne mich zu erschla­gen. Es ist nicht anders zu beschrei­ben: Der Innen­hof die­ser Moschee ist das per­fekte Bau­werk. Die Run­dun­gen in den For­men, die cle­ve­ren Abschlüsse an den Kup­peln, die Bögen der ein­zel­nen Gänge rund­herum. Eine halbe Stunde wan­dere ich nahezu voll­kom­men allein, nur mit mei­nem Kopf, durch diese Schönheit.

Anschlie­ßend betrete ich an der Längs­seite des Plat­zes die zweite Moschee, genannt Mas­dsched-e-Sheich Lot­fol­lāh. Im Innern erwar­tet mich eine der pracht­volls­ten Kup­peln der Welt. Diese Kup­pel, von Gold- und Blau­tö­nen domi­niert, über­ragt einen wie ein schüt­zen­des Bett­la­ken. Die Wände mit ihren Ver­zie­run­gen, bunte Fay­ence­f­lie­sen über­all. Diese Flie­sen bil­den auch die an Bie­nen­wa­ben erin­nern­den Ein­schübe am Ein­gangs­tor der Moschee. Es ist so schwer, diese Pracht, diese auf­wen­dige und den­noch auf ihre Art schlichte Archi­tek­tur in Worte zu fassen.

Gegen Nach­mit­tag besu­chen wir ein Restau­rant und es ist Zeit für eine kuli­na­ri­sche Spe­zia­li­tät der Stadt. Beryan wird aus gehack­tem Fleisch in einem gro­ßen Löf­fel, der in einen Ofen ein­ge­legt wird, gekocht. Danach wird die­ses gekochte Hack­fleisch auf ein Stück Lavasch­brot auf­ge­tra­gen und das Brot wird gefal­tet. Gemein­sam mit dem Joghurt-Getränk Dugh ein sehr beson­de­res, erfri­schen­des Erleb­nis. Mein Freund sieht das anders, er bleibt bei einem Kebap-Spieß. Gestärkt zieht es uns ans Was­ser des Zayan­deh Rud. Die Si-o-se Pol Brü­cke ist eine wei­tere archi­tek­to­ni­sche Beson­der­heit aus der per­si­schen Epo­che. 1632 erbaut, ein zwei­stö­cki­ges Via­dukt, kon­zi­piert als Zie­gel­bau auf Stein­pfei­lern. Mit ihren 33 Bögen ist sie Tag und Nacht ein Anzie­hungs­punkt für die Bür­ger die­ser Stadt. So schlen­dern mit uns dann auch viele Hun­dert Ira­ner über die Brü­cke oder sit­zen auf der Kante an einer der bei­den Außen­mau­ern. Als es dun­kel wird und die Lich­ter der Brü­cke ein­ge­schal­tet wer­den, spie­gelt sich das Bau­werk im Fluss. Ein ganz beson­de­rer Anblick und ein pas­sen­der Abschluss in Esfa­han, bevor wir noch einige Run­den Schach spie­len. Mein Freund ist auf dem Basar am Nach­mit­tag noch fün­dig geworden.

Ein Ame­ri­ka­ner in Iran

Unsere Reise geht wei­ter nach Süden, per Bus fah­ren wir nach Shiraz. Diese Stadt ist das poe­ti­sche Zen­trum in Iran, mit Hafis und Sadi, den bei­den berühm­tes­ten Dich­tern des Lan­des, die hier begra­ben lie­gen. Wir tref­fen gegen Abend ein und suchen das Gols­han Tra­di­tio­nal Hotel auf. Mit sei­nem über­dach­ten Innen­hof samt Oran­gen­baum, Brun­nen und den per­si­schen Lie­gen ist es das schönste Hos­tel, das ich bis­her sah. Zudem sind die ira­ni­schen Inha­ber extrem freund­lich und zuvor­kom­mend, gleich wird uns Tee ange­bo­ten. Am Mor­gen dar­auf begeg­nen wir einem US-Ame­ri­ka­ner, der eben­falls im Hos­tel zu Gast ist. Ein irrer, ste­chen­der Blick, eine rauhe Stimme, eine inter­es­sante Mei­nung über die­ses Land. “This coun­try is so weird”, sagt er laut, so dass es auch unsere net­ten Gast­ge­ber ver­ste­hen kön­nen, und ich schäme mich bereits jetzt für ihn. “A fri­end of mine was hold in pri­son because he took pic­tures close to a mili­tary base”. Das über­rascht mich nicht. Damit hier keine Miß­ver­ständ­nisse auf­kom­men: Die reli­giöse Füh­rung in Iran IST ein unde­mo­kra­ti­sches Régime, IST dafür ver­ant­wort­lich, dass den Men­schen in die­sem Land grund­sätz­li­che Frei­hei­ten vor­ent­hal­ten wer­den. Aber wenn ich in die­ses Land ein­reise, dann weiß ich um diese Tat­sa­che, dann ist mir vor­her bewusst, auf was ich mich ein­lasse. Kurzum: Wer den­noch nicht auf Grund eines kul­tu­rel­len Inter­es­ses oder Neu­gier auf das Fremde, son­dern aus Sen­sa­ti­ons­gier hier her­reist und z.B. meint, Atom­kraft­werke, Poli­zis­ten oder Mili­tär­stütz­punkte ablich­ten zu müs­sen, der muss zu Recht damit rech­nen, dafür die Kon­se­quen­zen zu tra­gen. Das scheint unse­rem neuen Bekann­ten nicht bewusst zu sein, er sagt, dass er “fuck­ing sur­pri­sed” sei, wie die Frauen hier auf der Straße umher­ge­hen. Zumeist im Cha­dor. Tja mein Lie­ber, diese Über­ra­schung hätte mit einem Blick in die Geschichts­bü­cher seit 1979 schon ver­mie­den wer­den können.

Shiraz hat auch einen gro­ßen Basar, nicht weit von unse­rer Unter­kunft. Wir strei­fen eine Stunde lang in den Gän­gen die­ses ver­win­kel­ten Laby­rinths umher, und es ist fan­tas­tisch. Wir sind die ein­zi­gen Frem­den, nur Ein­hei­mi­sche zie­hen auf der Suche nach allem Lebens­not­wen­di­gen umher. Anschlie­ßend besu­chen wir die die Nasir al-Mulk Moschee. Spe­zi­el­les Merk­mal der Moschee sind bunte Fens­ter­fron­ten. Die bun­ten Schei­ben und die Unter­tei­lung die­ser in ver­schie­dene Farb­fel­der die­nen als Blend­schutz, sind aber auch wun­der­bar anzu­se­hen. Das bunte Licht­spiel zwi­schen den Säu­len wirkt dra­ma­tisch und spannend.
Die Mus­ter des Tep­pichs und die hin­zu­kom­men­den Farb­mus­ter der Fens­ter ergän­zen sich und wir­ken geord­net und ästhe­tisch zugleich. Wir sind wirk­lich und auf­rich­tig begeis­tert, nicht zum ers­ten Mal beweist Iran, dass es mehr zu bie­ten hat als unheim­li­che reli­giöse Mul­lahs und Atomanlagen.

Cate­go­riesIran
Marius Kriege

Mit Anfang 20 brach Marius nach Australien auf und ist trotz regelmäßiger Unterbrechungen im Grunde nie wieder ganz zurückgekehrt. Ein halbes Jahr Südamerika brachte unzählige tolle Geschichten und Malaria, aber das verbuchte er unter Erfahrung. Wenn er nicht irgendwo unterwegs ist, lebt er in Hamburg und schreibt. Über alles, was ihn bewegt.

  1. Feli says:

    Vie­len herz­li­chen Dank für die­sen super Artikel!
    Ich habe eine sehr gute Freun­din aus dem Iran und bin jetzt, durch deine Worte, rich­tig gespannt auf die­ses Land :) 

    Wir sind gerade auf Süd­ame­ri­ka­tour – den gan­zen Kon­ti­nen­ten berei­sen mit unse­rem Jeep und ganz bald in Ushuaia. Von dort geht es wie­der gen Nor­den bis wir am Start­punkt, in Vene­zuela, ankommen!.

    Lie­ben Gruß von Feli aus Patagonien

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