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Tag 8: Havanna – eine Momentaufnahme

Es ist Früh­jahr 2011. Wir sit­zen auf einer der Mar­mor­bänke auf dem Prado, der Pracht­straße Havan­nas und gewöh­nen uns so lang­sam daran, dass wir uns zwar auf Kuba befin­den, unsere Ruck­sä­cke aber noch irgendwo zwi­schen Europa und Kanada schip­pern. Etwas über­mü­det blin­zeln wir durch das Blät­ter­dach der uns umge­ben­den Bäume in die Sonne.

Uns gegen­über sit­zen zwei ältere Her­ren in eine Par­tie Schach ver­tieft. Zwi­schen ihnen und uns huschen ein paar Tou­ris­ten über die schat­tige Allee. Sie tra­gen Safa­ri­hüte und Spie­gel­re­flex­ka­me­ras, Son­nen­bril­len und hoch­ge­zo­ge­nen Knie­strümpfe. Ein paar ver­we­gene Hob­by­re­vo­luz­zer bei­ßen auf schlecht ver­ar­bei­tete Zigar­ren, die sie gerade an der Stra­ßen­ecke einem etwas win­di­gen jun­gen Mann abkauften.

Vom ande­ren Ende des Pra­dos strö­men ein paar Grund­schul­kin­der her­bei. Albern lachen und schreien sie durch­ein­an­der, win­ken uns auf­ge­regt zu. Ihr Sport­un­ter­richt beginnt. Hier mit­ten auf der Fla­nier­meile Havan­nas lau­fen sie um die Wette, jagen Bäl­len hin­ter­her und üben sich in ver­schie­de­nen Staffelläufen.

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Die bei­den Schach­spie­ler lässt der Tru­bel kalt. Sie set­zen unbe­irrt eine Figur nach der nächs­ten. Hin­ter ihnen prangt ein rie­si­ges Wand­ge­mälde: Fidel und Che, die Hel­den der kuba­ni­schen Revo­lu­tion bli­cken hero­isch von der Häu­ser­wand hin­un­ter. Bei­nahe so, als hät­ten sie ein Auge auf die Partie.

Dahin­ter, öst­lich des Pra­dos erstreckt sich La Habana Vieja, die Alt­stadt und tou­ris­ti­sches Zen­trum der Stadt. Cafés und Bars rei­hen sich hier anein­an­der. Plätze, Museen und kolo­niale Schön­hei­ten laden zum Besuch ein. In der Havana Club Rum­fa­brik betrin­ken sich Euro­päer stil­voll, wäh­rend Nord­ame­ri­ka­ner in einer der berühm­ten Zigar­ren­fa­bri­ken zwi­schen den Arbei­tern hin und her schlendern.

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Drei­räd­rige Coco-Taxis drän­gen sich durch die Gas­sen zur Plaza de Armas. Der dort statt­fin­dende Buch­markt lässt revo­lu­tio­näre Her­zen höher schla­gen. Schrif­ten von Marx und Lenin, Cas­tros stra­te­gi­sche Über­le­gun­gen, Ches Tage­bü­cher und Taba­ris Theo­rien. Die linke Intel­lek­tu­elle der ver­gan­ge­nen 150 Jahre drängt sich hier auf engs­tem Raum. Dazwi­schen befin­den sich Heming­way und Mark Twain.

Wir schlen­dern von der Plaza de Armas zum Capi­to­lio. Dut­zende Cadil­lacs und Che­vro­lets der 50er Jahre, auf Hoch­glanz poliert und nach bes­ter Impro­vi­sa­ti­ons­kunst in Stand gehal­ten, glei­ten über die asphal­tier­ten Adern der Innen­stadt. Bon­bon­far­bend schim­mern sie im Son­nen­licht – rosa, baby­blau, quietsch­gelb. Sie chauf­fie­ren zah­lungs­fä­hige Gäste durch die restau­rierte Schön­heit Havan­nas, bie­gen auf den Prado und fah­ren im Schritt­tempo über die Uferpromenade.

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Das Capi­to­lio, Sitz des kuba­ni­schen Par­la­ments, gleicht dem Kapi­tol in Washing­ton D.C. – nur ist es einen Meter höher. Ein Schelm, wer dies für einen Zufall hält. Das Kli­cken der Foto­ka­me­ras erfüllt die Luft. Schlep­per bie­ten unge­fragt ihre Dienste an. Mit auf­dring­li­chen „Kss, Kss“ – Lau­ten wer­ben die Zwie­lich­ti­gen um Aufmerksamkeit.

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Doch schon hin­ter dem Capi­to­lio kehrt Ruhe ein. Wir befin­den uns in Habana Cen­tro, west­lich des Pra­dos. Keine 50 Meter von den beleb­ten Cafés der Alt­stadt ent­fernt, herrscht rea­ler kuba­ni­scher All­tag. Von tou­ris­ti­scher Infra­struk­tur ist nichts mehr zu spü­ren. Die Stra­ßen sind stau­big, die Fas­sa­den der Häu­ser brö­cke­lig, die höl­zer­nen Ein­gangs­tü­ren ver­wit­tert. Kuba­ner schlen­dern durch die Gassen.

Flei­scher, Schus­ter, Schnei­der, Obst- und Gemü­se­händ­ler bie­ten ihre Waren auf der Straße und in Haus­ein­gän­gen an. Alles wirkt impro­vi­siert. Alles funk­tio­niert. Wir mie­ten uns ein Zim­mer in einem kuba­ni­schen Wohn­haus – einer Casa Par­ti­cu­lar – mit­ten in Habana Cen­tro. Im klei­nen schat­ti­gen Innen­hof früh­stü­cken wir Ome­lett, Papa­yas und schlech­ten Kaf­fee. Dazu gibt es eine Ther­mos­kanne warme Kon­dens­milch. Typisch kubanisch.

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Habana Cen­tro wird umspült vom Golf von Mexiko. Hier erstreckt sich der Malecón, die Ufer­pro­me­nade, über acht Kilo­me­ter ent­lang der schäu­men­den Bran­dung. Jugend­li­che sprin­gen zwi­schen scharf­kan­ti­gen Fel­sen in die war­men Flu­ten. Aus­ge­rüs­tet mit Schnü­ren und Angel­ha­ken sit­zen sie mit den Bei­nen in der Luft bau­melnd und war­ten auf den Fang des Tages.

In den Abend­stun­den füllt sich der Malecón: Ein­hei­mi­sche und Tou­ris­ten, Paare und kleine Grup­pen, Jugend­li­che, Fami­lien, Rent­ner – sie alle fin­den ein Plätz­chen auf der Kai­mauer. Jine­te­ras, kuba­ni­sche Pro­sti­tu­ierte, schlen­dern mit feis­ten, wei­chen, wei­ßen Her­ren über die Pro­me­nade. Sie trägt wenig, er Zigarre und Strohhut.

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Vor der Sky­line Havan­nas erwacht der Malecón zum Leben. Her­um­lun­gernde Beamte der Natio­na­len Revo­lu­tio­nä­ren Poli­zei sor­gen zumin­dest bei den Tou­ris­ten für eine unbe­schwerte Atmo­sphäre. Nichts­des­to­trotz ist das Ufer nach Son­nen­un­ter­gang fest in kuba­ni­scher Hand. Rum­fla­schen wer­den her­um­ge­reicht, Zigar­ren glim­men im Dun­keln und unter den Stra­ßen­la­ter­nen knal­len Domi­no­steine auf den Beton.

Es herrscht eine Stim­mung des War­tens. War­ten auf den nächs­ten Tag, war­ten auf die Zukunft, war­ten auf Ver­än­de­rung, war­ten auf die Erfül­lung einer unbe­kann­ten Sehn­sucht. Das ist Havanna, das ist Kuba im Früh­jahr 2011.


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In 14 Texten um die Welt!

Tag 1: Im Balkan
Tag 2: Damas­kus, Syrien
Tag 3: Petra, Jordanien
Tag 4: Sierra Leone
Tag 5: Kap­stadt, Südafrika
Tag 6: Decep­tion Island, Antarktis
Tag 7: La Paz, Bolivien
Tag 8: Havanna, Cuba
Tag 9: Tijuana, Mexiko
Tag 10: Mel­bourne, Australien
Tag 11: Sula­wesi, Indonesien
Tag 12: Hanoi, Vietnam
Tag 13: Don Det, Laos
Tag 14: Bhutan

Cate­go­riesCuba
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Morten & Rochssare

Per Anhalter und mit Couchsurfing reisen Morten und Rochssare ab 2011 zwei Jahre lang zwischen Feuerland und der Karibik kreuz und quer durch Südamerika. Seit 2014 trampen die beiden auf dem Landweg von Deutschland nach Indien und weiter nach Südostasien. Von ihren Abenteuern und Begegnungen erzählen sie auf ihrem Blog und in ihren Büchern „Per Anhalter durch Südamerika“ und „Per Anhalter nach Indien“, jeweils erschienen bei Malik National Geographic.

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  2. Tommes says:

    Hallo Mor­ten & Rochssare,
    ja ja die „Alte Dame“ Havanna, so oft schon besucht uns seufz … Sehnsucht.
    Es gibt schon ver­än­de­run­gen. Auf den Tou­ris­ten­pfa­den tut sich immer etwas, lei­der aber nur da.
    Das Capi­tol ist inzwi­schen ein­ge­rüs­tet und wird restau­riert, der „Plaza Vieja“ hat neben einer Braue­rei auch ein far­ben­fro­hes Gesicht bekom­men. In der Alt­stadt wird Was­ser und Strom neu verlegt.
    Über eini­ges wun­dert man sich und man­ches berührt einen, die Lebens­freude der Kuba­ner ist aber sprichwörtlich.
    Die Jugend hat eine gute Kombi zwi­schen den alten kuba­ni­sche Rhyth­men und dem Hip-Hop gefunden.
    Es hat jeden Abend Spaß gemacht ins Nacht­le­ben einzutauchen.

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      Hallo Tom­mes,
      du hast ganz recht. Havanna, das ist Sehn­sucht pur. Nicht zuletzt auf­grund der freund­li­chen Menschen.
      Irgend­wann keh­ren wir bestimmt noch ein­mal zurück.

  3. Julian says:

    Ich frage mich wie es in Havanna heute aus­sieht. Ob durch die poli­ti­schen Ver­än­de­run­gen der letz­ten Jahre ein wenig Auf­bruch­stim­mung ent­stan­den ist oder ob sich dadurch nicht viel ver­än­dert hat. Und in wel­cher Form man das als Tou­rist zu spü­ren bekommt.
    Schö­ner Bericht nach­dem ich immer noch nicht weiß, ob ich Havanna/Cuba auf meine Liste set­zen soll oder nicht :)
    Das Capi­tolo auf den Bil­dern sieht mir jedoch eher dem Kapi­tol in Washing­ton D.C. ähn­lich als dem Wei­ßen Haus.

    1. Hallo Julian, vie­len Dank für dei­nen Kom­men­tar. Die Auf­bruch­stim­mung war teil­weise schon 2011 zu spü­ren. Doch wirk­li­che Ver­än­de­run­gen brin­gen die poli­ti­schen Refor­men nicht.
      Vor kur­zem erst zum Bei­spiel wurde das kuba­ni­sche Import­ver­bot für west­li­che Auto­mar­ken auf­ge­ho­ben. Von die­ser wirt­schaft­li­chen Öff­nung des Lan­des pro­fi­tie­ren aber nur die Wenigs­ten. Steu­ern und andere Auf­schläge der Regie­rung sor­gen näm­lich dafür, dass sich kaum jemand einen Neu­wa­gen leis­ten kann.
      Nichts­des­to­trotz: Kuba ist ein ein­zig­ar­ti­ges und char­man­tes Land. Über­all trifft man freund­li­che Men­schen, die aus sehr wenig sehr viel machen kön­nen. Von kari­bi­schen Strän­den über tro­pi­sche Wäl­der und Gebirge bis zu kolo­nia­len Städ­ten und revo­lu­tio­nä­rer Geschichte bie­tet die Insel ein­fach alles. Kuba sollte also unbe­dingt auf dei­ner Rei­se­liste ste­hen! Wir haben dort ganze 6 Wochen ver­bracht und es sehr genos­sen. Dein Hin­weis mit dem Kapi­tol stimmt natür­lich. Ich änder das gleich mal um ;-)

  4. Patrick Warnke via Facebook says:

    Es hat sich also nichts geän­dert von 2008 an. Das ist gut oder auch nicht !??! Ein­mal noch will ich aus fasst sau­be­ren Glä­sern Mojito trin­ken, auf durch­ge­ses­se­nen, löch­ri­gen Stüh­len den Kaf­fee­rand des vori­gen Gas­tes an mei­ner Tasse able­sen und mir mit einem herz­li­chen Kuba­ner die Zigarre tei­len und uns dabei auf 3 ver­schie­den spra­chen und mit den Hän­den ver­su­chen zu unter­hal­ten :) … Ein ‚eigent­lich‘ tol­les Land mit sehr vie­len herz­li­chen Men­schen !!! Ich hoffe es ver­än­dert sich nicht zu sehr was das mensch­li­che betrifft .

    1. Du hast Recht, Patrick. Kuba ist ein tol­les Land mit groß­ar­ti­gen Men­schen. Wir ver­bin­den sehr schöne Erin­ne­run­gen mit der Insel. Und an der Herz­lich­keit der Kuba­ner wer­den wirt­schaft­li­che oder poli­ti­sche Ver­än­de­rung hof­fent­lich nichts ändern können.

  5. puriy says:

    Schöne Beschrei­bung, Ihr Lie­ben ;-) 2013 sieht es nicht anders aus. Immer wie­der unter­hiel­ten wir uns mit Kuba­nern über ihre Sicht auf die poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Dinge und erhiel­ten die immer glei­chen Ant­wort: Abwar­ten! Das Alter der Her­ren wird es rich­ten… Das Glit­zern in den Augen tat sein Übri­ges. Die Hoff­nung ist real.

    1. Dan­ke­schön! Beein­dru­ckend ist dabei beson­ders die Gelas­sen­heit der Kuba­ner. Seit Jah­ren schon herrscht die­sen Stim­mung des War­tens und Hof­fens auf Ver­än­de­rung. Und trotz­dem haben die Men­schen ihre Lebens­freude nicht verloren.

  6. Marco says:

    Eine schöne Beschrei­bung Hava­nas. Man kann es tat­säch­lich mögen, wenn man hin­ter die Kulis­sen blickt. Zu weit dahin­ter sollte man jedoch auch nicht bli­cken, denn dann wird es schnell depri­mie­rend. Mein Ein­druck war, dass viele Men­schen das War­ten längst auf­ge­ge­ben haben. Ich wün­sche ihnen wirk­lich, dass sich das Leben dort eines Tages zum Bes­se­ren verändert.

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