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Eine Stadt auf Schemeln

Weiße Plas­tik­stühle möblie­ren die Welt, sie ste­hen in Fuß­gän­ger­zo­nen, im Hima­laya und in der Sahara. Wie schön, dass wenigs­tens Viet­nam da mal eine Abwechs­lung bie­tet. Denn dort sitzt man auf win­zi­gen roten und blauen Sche­meln. Wenn man nicht gerade Platz machen muss für die Mopeds. 

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Auf dem Bür­ger­steig sind alle Plätze belegt. Plas­tik­sche­mel säu­men den Stra­ßen­rand, kilo­me­ter­weit. Schon zum Früh­stück hockt man in Viet­nam zusam­men, isst Nudel­suppe und trinkt Kaf­fee. Und manch­mal wirkt es so, als sei der ganze Tag eine ein­zige gesel­lige Mahlzeit.

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Über­all in Süd­ost­asien scheint das Essen wich­ti­ger zu sein als in Deutsch­land. Und lecke­rer sowieso. Das bestä­tigt die alte These, dass Men­schen, die sich gerne und aus­gie­big mit Essen beschäf­ti­gen, gesün­der und schlan­ker sind als die has­ti­gen Ver­schlin­ger im Westen.

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Schon vor ein paar Wochen fiel mir auf, dass auf einem Bal­kon unter­halb des Hotel­zim­mers den gan­zen Tag geges­sen wurde. Neben allem mög­li­chen Gerüm­pel war dort nur für ein Bänk­chen und einen schma­len Tisch Platz, doch jedes Mal, wenn ich aus dem Fens­ter schaute, saßen dort vier oder fünf Ange­stellte. Ich dachte erst, das sei der Pau­sen­raum für die gesamte Beleg­schaft des Gebäu­des, die sich abwech­selt. Doch nach ein paar Tagen kannte ich alle Gesich­ter – und es waren tat­säch­lich nur fünf Per­so­nen, die stun­den­lang Köst­lich­kei­ten aus Schäl­chen und Plas­tik­do­sen pickten.

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In Hanoi ist der Bür­ger­steig Küche, Wohn­zim­mer, Werk­statt, Garage und Mark­platz zugleich. Zwi­schen den Sche­meln wuseln die Klein­kin­der herum, manch­mal nur eine Hand­breit vom durch­brau­sen­den Mope­drei­fen ent­fernt. Frauen mit Müll­wä­gel­chen bim­meln sich den Weg frei.

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Die Inva­sion der Motor­rä­der macht das gemein­same Essen aller­dings schwie­ri­ger. Oft sind die Bür­ger­steige zuge­parkt, die Ein­gänge zu den Geschäf­ten ver­stellt. Das zwingt die Fuß­gän­ger auf die Straße, wo sie zwi­schen den Mopeds und Fahr­rä­dern hin- und her­sprin­gen. Eigent­lich müsste das die Laden­be­sit­zer ärgern.

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Kaum ist ein biss­chen Platz zwi­schen den Mopeds und der Straße, sind die Sche­mel wie­der da. Jetzt ver­stel­len sie den Bür­ger­steig, und wie­der ist kein Durch­kom­men für Passanten.

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Die Gas­sen der Alt­stadt sind für Autos zu eng, daher wer­den fast alle Lie­fe­run­gen auf zwei Rädern abge­wi­ckelt, hier bei­spiels­weise fünf Dut­zend Hühner.

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Wäh­rend wir es in Deutsch­land schon für eine Meis­ter­leis­tung hal­ten, mal einen Bier­kas­ten auf dem Fahr­rad zu beför­dern, fin­den Men­schen in Hanoi es ganz nor­mal, einen hal­ben Haus­stand aufs Moped zu packen. Sie schmie­gen sich anmu­tig auf den Rück­sitz, wenn es mit einer Geburts­tags­torte auf dem Schoß über den sechs­spu­ri­gen High­way geht.

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Die Viet­na­me­sen sind Meis­ter im Schnü­ren und Sta­peln. Wie sonst soll man eine tür­große Glas­scheibe oder sechs rosa Schwein­chen auf dem Hin­ter­sitz trans­por­tie­ren? (Der nie­der­län­di­sche Foto­graf Hans Kemp hat einen tol­len Bild­band über die „Bikes of Bur­den“ gemacht.)

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Viel­leicht sind die Viet­na­me­sen so gut aus­ba­lan­ciert, weil sie immer auf die­sen Höcker­chen sit­zen und wun­der­bare Nudel­suppe essen. Jeden­falls zei­gen sie akro­ba­ti­sche Leis­tun­gen beim Aus­wei­chen und Manövrieren.

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Man fährt läs­sig mit einer Hand, macht die Haus­auf­ga­ben auf dem Rück­sitz, tele­fo­niert im dich­ten Ver­kehr oder hält die Stö­ckel­schlap­pen locker mit einem hoch gestreck­ten Zeh fest. So kunst­voll das Kur­ven und Durch­schlän­geln wirkt, es ist nicht unge­fähr­lich. In einer Woche Hanoi sah ich zwei Unfälle und ein gequetsch­tes Bein. Erstaun­li­cher­weise ist es am wenigs­ten furcht­ein­flö­ßend, wenn man selbst auf einem Motor­rad sitzt und Teil des geschmei­di­gen Gefü­ges ist.

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Extre­mer Traf­fic ist eines der belieb­tes­ten The­men unter Tou­ris­ten. Wäh­rend man­che schon über Paris oder Palermo stöh­nen, hat Hanoi gute Chan­cen auf einen Spit­zen­platz im welt­wei­ten Ran­king der Ver­kehrs­zu­mu­tun­gen. Jeden­falls, wenn man mal von indi­schen Groß­städ­ten absieht. “Hanoi ist doch rich­tig ruhig“, wirft ein abge­brüh­ter Brite in die Runde im Guest­house. „Indien ist erst der Wahn­sinn!” Sofort ist Hanoi aus dem Ren­nen, und alle über­bie­ten sich mit Schau­er­ge­schich­ten aus Indien.

 

 

Cate­go­riesViet­nam
Jutta Pilgram

So viel Freiheit war noch nie: Keine Verpflichtungen, keine Wurzelbehandlungen, keine Schulferien mehr. Jutta Pilgram ist 23 Jahre lang ins Büro gegangen und immer nur die üblichen zwei Wochen in Urlaub gefahren. Jetzt hat die Journalistin aus München neun Monate frei und probiert alles aus, was sie schon lange machen wollte.

  1. Mad says:

    Hi Jutta,

    tolle Bil­der! Da sehne ich mich zurück nach Hanoi. Defi­ni­tiv eine mei­ner Lieb­lings­städte in Südostasien.
    Ein Innen­ar­chi­tekt hat mir erzählt, dass die gesamte Ein­rich­tung mit Mopeds trans­por­tiert wird, da wun­dert es auch nicht, wenn man dann sechs Leute auf einem Moped sieht ;-)

    Bist du noch drü­ben? Viele schöne Ein­drü­cke noch!

    Liebe Grüße,
    Mad

  2. Jenny says:

    Das begeis­terte Stra­ßen­es­sen der Viet­na­me­sen hat natür­lich auch prak­ti­sche Gründe. Ein­mal sind die von der Regie­rung zuge­teil­ten Woh­nun­gen, beson­ders in Hanois Old Quar­ter, der­art klein, dass für mehr als Schla­fen sowieso kaum Platz ist. Man weicht also not­ge­drun­gen auf den Bür­ger­steig aus. Und dann ist es so, dass die Viet­na­me­sen auf­grund extre­mer kom­mu­nis­ti­scher Miss­wirt­schaft bis in die 1980er-Jahre hin­ein ein­fach kaum etwas zu essen hat­ten. Die all­ge­meine Begeis­te­rung fürs Essen wird stark die­sem Umstand zuge­schrie­ben, dass es jetzt wie­der etwas gibt!
    Mich würde ja inter­es­sie­ren, wie das im Win­ter aus­sieht, wenn es in Hanoi kühl und reg­ne­risch ist. Sit­zen die Leute dann mit Heiz­pil­zen auf der Straße??

    1. Das ist inter­es­sant! Ja, die schma­len Häu­ser in Hanoi sind erstaun­lich. Bei Regen sit­zen die Leute unter Mar­ki­sen und Pla­nen, im Win­ter ist es tags­über meis­ten um die 20 Grad.

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