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Ein Tag Ruhe in den Ber­gen und der Tika

Wenn man an das Anna­purna Gebiet denkt und sich die High­lights raus sucht, so kommt man an den Orten Anna­purna Base Camp, Ghand­ruk, Dham­pus oder Poon Hill nicht vor­bei. Für hart­ge­sot­tene gibt es dann noch die Umrun­dung des Anna­purna Gebie­tes und der Ort Jom­son. Kaum jemand gönnt sich einen Tag Ruhe in den Ber­gen, einen Tag mit den Ein­hei­mi­schen und ihrem Tagesrhythmus.

Am Vor­tag kamen ich und Dipak, mei­nem Guide, den lan­gen Weg von Ghand­ruk nach Ghore Pani. Für mich war es der zweite Tag auf dem Tou­ris­ten-High­way, wie Dipak die Stre­cke nannte. Zuerst wollte ich ihm nicht glau­ben und fragte ihn, was der damit meine. Seine kecke Anwort: „Du wirst sehen.“ Ich ver­stand schnell, was es bedeu­tete, nicht mehr auf dem ruhi­gen Mardi Himal Trek zu sein. Wäh­rend ich meine Begeg­nun­gen mit Tou­ris­ten und Ein­hei­mi­schen an den Vor­ta­gen fast an zwei Hän­den abzäh­len konnte, so reich­ten auf dem Pfad der Pfade Hände und Füße nicht zum Zäh­len der Tou­ris­ten pro Stunde. Auf dem Weg von Pokhara über die ver­schie­de­nen Start­punkte ist der Anna­purna Base Camp Trek der belieb­teste von allen und wird oft durch Poon Hill ergänzt. Poon Hill wie­derum liegt auf dem Rund­weg um das Anna­purna Gebiet und ist somit dop­pelt beliebt.

Pfad von Ghandruk nach Ghore Pani

Es quäl­ten sich nun hun­derte, wenn nicht tau­sende Tou­ris­ten ver­schie­dens­ter Sta­tu­ren und mit den ver­schie­dens­ten Kon­di­tio­nen auf die­sem Trek von A nach B. Man­che Leute soll­ten viel­leicht wirk­lich dar­über nach­den­ken, ob sie sich das antun müs­sen. Wenn ich 150kg wie­gen würde und eigent­lich gewohnt bin mit dem Auto zum eige­nen Brief­kas­ten zu fah­ren, ist es abso­lut kein Kin­der­spiel, sich hier in den Ber­gen zu bewegen.

Letzter Blick auf das Tal zum Annapurna Base Camp mit dem Machapucharé

Dipka und ich genos­sen die guten Wege und mach­ten auch mal ein Ren­nen die Trep­pen hin­auf. Wer zuerst oben war? Ich nicht! Klar habe ich ver­lo­ren. Wie sollte es auch anders sein. Aber meist waren wir schnell unter­wegs und konn­ten gut Kilo­me­ter machen. Wir über­quer­ten einen Pass und kamen auf einer für mich neuen Seite des Anna­purna Gebie­tes an. Ich war bis­her immer das Tal zum Anna­purna Base Camp gewohnt und hatte die­ses seit Tagen von allen Sei­ten, oben, unten, Nor­den, Süden, Osten und Wes­ten begut­ach­ten und bestau­nen dür­fen. Jetzt war ein neuer Abschnitt dran. Eine schöne neue Per­spek­tive etwas wei­ter west­lich. Wir kamen nun also in Ghand­ruk an, der Aus­gangs­punkt für Poon Hill. Abends fei­er­ten wir bis „spät“ in die Nacht und gin­gen dann um acht, halb neun ins Bett.

Sonnenaufgang Poon Hill

Poon Hill im Morgengrauen

Am nächs­ten Mor­gen ging es dann wirk­lich früh aus dem Bett. Poon Hill ist für seine spek­ta­ku­lä­ren Son­nen­auf­gänge und die meis­ter­hafte Aus­sicht bekannt. Zu sehen sind dort eigent­lich alle Berge des Anna­purna Mas­sivs, des Dhau­la­giri Mas­sivs und der Manaslu Gebirgs­kette. Davon drei 8000er und fünf 7000er. Aber wie schon zu ver­mu­ten, war ich nicht der ein­zige, der sich diese Aus­sicht anse­hen wollte. Es gleicht einer Pro­zes­sion, nur dass die Ker­zen durch Kopf­lam­pen und die Pil­ger durch müde Ruck­sack­tou­ris­ten aus­ge­tauscht sind. Je nach Lauf­tempo braucht man zwi­schen 45 Minu­ten und 2 Stun­den für den Auf­stieg. Man zahlt am Fuße des Ber­ges noch sei­nen Ein­tritt und schleicht dann mit sei­nen 400 Son­nen­an­be­ter-Glau­bens-Trek­king-Genos­sen den Berg hin­auf. Oben war­ten schon die ande­ren 100 Son­nen­an­be­ter-Extre­mis­ten, die sich bereits seit einer oder zwei Stun­den um den bes­ten Platz für ihr Sta­tiv prügeln.

Wenn man alles etwas gelas­se­ner nimmt und auch keine High-End-Bil­der machen möchte, son­dern ein­fach nur in den Genuss eines schö­nen Son­nen­auf­gangs kom­men möchte, ist man trotz­dem rich­tig; ein­fach nur die Atmo­sphäre genie­ßen, die ver­schie­de­nen Blick­win­kel betrach­ten und ent­span­nen. Dipak erzählte mir viel zu den Ber­gen und nach­dem ich mich satt gese­hen und meine Kamera bei den etwas küh­le­ren Tem­pe­ra­tu­ren den Bat­te­rie­geist auf­ge­ge­ben hatte, began­nen wir mit dem Abstieg. Ich freute mich auf mein Frühstück.

Blumen in Ghore Pani

Der Tika-Tag

Nach dem Früh­stück begann für alle ande­ren der nor­male Wan­der­tag. Für mich und Dipak nicht. Es war der letzte und wich­tigste Tag des Diwali, dem Lich­ter­fest. Das hin­du­is­ti­sche Fest beglei­tete uns nun schon vier Tage und Dipak wollte den letz­ten Tag mit Freun­den aus dem Hotel ver­brin­gen. Bei dem „Bhai Tika“-Ritual seg­nen die Schwes­tern ihre Brü­der mit Licht und ver­spre­chen sich, sich gegen­sei­tig zu beschüt­zen. Dazu waren die Schwes­tern von sei­nen Freun­den aus der Stadt bis in die Berge meh­rere Tage zu Fuß ange­reist. Ich hatte nichts dage­gen, einen Tag zu ras­ten, mir die Zere­mo­nie anzu­schauen und die Aus­sicht in den Ber­gen zu genießen.

So blie­ben wir ein­fach. Das Hotel leerte sich, der Ort leerte sich und zurück blie­ben nur ich und die Ein­hei­mi­schen. Ab und zu kamen ein­zelne Tou­ris­ten durch den Ort und erst ab 14 Uhr stopp­ten die ers­ten, um Mit­tag zu essen und im Hotel ein­zu­keh­ren. Die Ruhe war über­wäl­ti­gend. Die Berge gaben ihr bes­tes, sich von ihrer schöns­ten Seite zu zei­gen und so saß ich ein­fach nur da und schaute in die Ferne, wäh­rend die Schwes­tern die Zere­mo­nie und die grel­len, schim­mern­den Far­ben für den Tika vorbereiteten.

Vorbereitung zum Bhai Tika

Dipak bat mich, die Zere­mo­nie und ihn zu foto­gra­fie­ren. Etwas unsi­cher hielt ich mich im Hin­ter­grund und tat wie mir gehei­ßen wurde.
Die Brü­der setz­ten sich auf den Boden, Öl wurde um sie herum drei Mal im Kreis geträu­felt und der Ort für die fol­gen­den Minu­ten vor­be­rei­tet. Die Schwes­tern gaben etwas Öl auf Haar und Ohren der Brü­der, bevor sie mit einem Bana­nen­blatt als Scha­blone den sie­ben­far­bi­gen Tika auf die Stirn mal­ten. Am Ende erhielt jeder noch einen selbst gefloch­te­nen Blu­men­kranz um den Hals gehängt und eine Nepali Mütze aufgesetzt.
Jetzt wurde es auch für mich ernst. Ich wurde zum Tika gela­den. Etwas schüch­tern kniete ich mich auf die Matte und bekam eben­falls ein Tika. Den Blu­men­kranz aus Stu­den­ten­blu­men und die Mütze bekam ich von der sonst so mür­risch wir­ken­den Che­fin des Hotels über­reicht. Sie fand mir gegen­über sogar noch nette Worte und ver­kün­dete, ich sehe jetzt aus wie ein Nepali.

Nach der Bhai Tika Zeremonie

Ich emp­fand es eine große Ehre und dankte Dipak für die Ein­la­dung. Als High­light des fünf­tä­gi­gen Fes­tes war es wun­der­schön. Schon die Vor­tage konnte ich füh­len, wie wich­tig das Fest ist. So san­gen Kin­der auf den Wegen, Orts­ein­gänge wur­den mit Blu­men­gir­lan­den geschmückt, in den Orten gin­gen Kin­der­grup­pen herum und seg­ne­ten Häu­ser und über­all kamen Fami­lien zusammen.

Die meis­ten Tou­ris­ten frag­ten mich am Nach­mit­tag in der Unter­kunft über den Tika und die Blu­men­hals­kette aus. Sie hat­ten ein­fach das Fest ver­passt. In ihren engen Zeit­plä­nen gefan­gen, wan­der­ten sie ein­fach vorbei.

Mei­nen Zeit­plan hatte ich schon längst ver­ges­sen. Wie­viel Tage ich schon unter­wegs war, konnte ich nicht mehr beant­wor­ten. Die Uhr­zeit wurde für mich immer mehr zu einem Mys­te­rium. Für mich gab es nur Son­nen­auf­gang, Hun­ger am Mit­tag, Son­nen­un­ter­gang und dann müde ins Bett fal­len. Daran konnte der Tag Ruhe nichts ändern. Tod­müde, aber heute mit Tika geseg­net, ent­schwand ich ins Traumland.

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Dominik Mohr

Dominik folgt seinem Schatten durch die Welt. In einem minimalistischen und einfachen Reisestil wird man von ihm um die Welt geführt und einmal beschleunigt, geht es dann immer weiter. Meist geht die Tour an abgelegene Orte und bringt das tägliche Leben und die Hürden der Menschen näher.
Ausgefallene und teilweise auch ungewöhnliche Reiseziele rund um Afrika und den Nahen Osten stehen vereinzelten Reisezielen in den beliebten Gegenden entgegen und zeigen den Kontrast der Welten und der Natur.

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