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Durch die Wüste – Teil I

Mar­ra­kesch

Wie mit Scheu­klap­pen laufe ich durch die Stra­ßen Mar­ra­keschs, stän­dig dar­auf bedacht, zu kei­nem Zeit­punkt den Ein­druck zu erwe­cken, dass ich an irgend­et­was inter­es­siert sein könnte, das sich in einem der umlie­gen­den Geschäfte abspielt. Falle ich aus der Rolle und treffe ver­se­hent­lich den Blick eines Ver­käu­fers am Stra­ßen­rand, habe ich ver­lo­ren. So auf­dring­lich sind nicht ein­mal die Zeu­gen Jehovas.

Meis­tens kom­men sie gleich zu zweit auf mich zu, um mich in ihren Laden zu drän­gen. Einer hält mich, ver­meint­lich freund­schaft­lich, am Arm fest, wäh­rend der zweite Ver­käu­fer mir den gesam­ten Inhalt des Geschäfts inner­halb von fünf Minu­ten vor­führt und dabei lau­fend beteu­ert, dass ich nir­gendwo bil­li­ger ein­kau­fen könnte. Einige der Ver­käu­fer haben mich tat­säch­lich erst los­ge­las­sen, als ich ihnen mit der Poli­zei gedroht habe. (Ein Tipp, den mir mein Hotel­be­sit­zer gege­ben hat, genau wie den Rat­schlag eine ver­spie­gelte Son­nen­rille auf­zu­set­zen). Beteue­run­gen mei­ner­seits, dass Dinge wie antike Steh­lam­pen, Schränke oder Per­ser­tep­pi­che eher nicht in mei­nen Ruck­sack pas­sen wür­den, wer­den gekonnt ignoriert.

In mei­nem Kopf ist nur noch ein Gedanke: raus hier! An einen Ort, an dem ich nicht andau­ernd in irgend­wel­che Geschäfte gezerrt und zum Kauf irgend­wel­chen Krims­krams genö­tigt werde, den ich gar nicht brau­che. Einen Ort an dem ich in Ruhe mei­nen Tee trin­ken und auf mal abschal­ten kann. Ich denke kurz dar­über nach und ent­scheide mich für das Offen­sicht­lichste: Die Sahara.

Mit dem Bus sind es rund zwölf Stun­den von Mar­ra­kesch bis Zagora, der letz­ten Ort­schaft vor der Wüste, die über so etwas wie Infra­struk­tur ver­fügt. In Schlan­gen­li­nien geht es durch die Ser­pen­ti­nen des Atlas-Gebir­ges, bevor die Land­schaft all­mäh­lich wie­der fla­cher und von Stunde zu Stunde tro­cke­ner und kar­ger wird.

Zagora

Auch in Zagora werde ich von einer Gruppe Men­schen begrüßt, die zufäl­li­ger­weise alle einen Onkel in Deutsch­land haben und sich daher rie­sig freuen wür­den, wenn ich zu ihnen ins Hotel kom­men würde um über Deutsch­land zu reden. Ich gehe mit einem Mann mit, der sich als Hassan vor­stellt, schlicht aus dem Grund weil er nicht ganz so auf­dring­lich ist wie der Rest. Hassan ist Ber­ber und zufäl­li­ger­weise  hat er nicht nur einen Onkel in Deutsch­land son­dern auch einen, der als Nomade in der Sahara wohnt und sich freuen würde, wenn ich ihn ein paar Tage besu­chen würde. Ist natür­lich alles eine Frage des Preises.

Natür­lich.

Er lädt mich zum Essen ein und wir begin­nen über eben die­sen Preis zu ver­han­deln. Rund zwei Stun­den dau­ert das Pro­ze­dere, wäh­rend Hassans Frau immer neue Köst­lich­kei­ten aus der Küche bringt. Hassan schreibt Zah­len auf einen Zet­tel und schiebt ihn zu mir her­über. Ich strei­che sie durch und schreibe eine andere hin­auf. Manch­mal steht er auf, ruft sei­nen Onkel an und kommt kopf­schüt­telnd wie­der. Dann essen wir wie­der ein wenig, bevor er mir einen neuen Zet­tel her­über schiebt. Beim Nach­tisch nähern wir uns lang­sam einem Preis an, mit dem wir beide Leben kön­nen, ganz einig sind wir uns aber noch nicht.  Anschlie­ßend gibt es Tee. Beim drit­ten Glas schla­gen wir ein. Mor­gen früh um fünf geht es los. Hassan will mich sogar höchst­per­sön­lich in die Wüste fah­ren. Er wolle sei­nem Onkel sowieso mal wie­der „Hallo“ sagen.

Ich frage ihn, ob ich irgend­et­was Bestimm­tes bräuchte. „Eigent­lich nur einen Tur­ban“, ant­wor­tet er und gibt mir die Adresse eines Man­nes, der den bes­ten Tur­ban­stoff in der Stadt haben soll. Ich über­lege kurz, ob er mich ver­ar­schen will, mache mich dann aber doch auf den Weg zum Turban-Shop.

Am nächs­ten Mor­gen war­tet Hassan bereits auf mich im Wagen. Wir fah­ren hin­aus aus Zagora bis nach Mha­mid. Hier hört die befes­tigte Straße auf. Ab und zu pas­sie­ren wir zwar noch ver­ein­zelte Häu­ser und Lehm­hütte, aber nach eini­ger Zeit neh­men auch die ab, bis um uns herum nicht mehr ist außer Stei­nen, Sand und gele­gent­lich einem ver­dörr­ten Strauch.

Irgend­wann hält Hassan mit­ten im Nir­gendwo an und bit­tet mich aus­zu­stei­gen. Ich bekomme einen Schreck. „Das war’s, Lenn­art“, denke ich mir, „Warum musst du auch immer so ver­dammt ver­trau­ens­se­lig sein“. Doch Hassan wirkt nicht so, als würde er gleich meine Lei­che im stei­ni­gen Boden ver­schar­ren wol­len. Statt­des­sen, dreht er sich einen Joint und fragt mich, ob ich an mei­nen Tur­ban gedacht habe. Ich greife auf die Rück­bank, schnappe mir mein frisch erwor­be­nes Turban­tuch, stopfe es in meine Tasche und sehe zu, wie er zufrie­den nickend an sei­ner Tüte zieht. Ganz koscher kommt mir die Sache immer noch nicht vor, aber Hassan ver­si­chert mir, dass ich gleich abge­holt werde.

Und tat­säch­lich tau­chen nach einer vier­tel Stunde zwei kleine Punkte am Hori­zont auf: ein Mann auf einem Kamel, der ein zwei­tes Kamel neben sich her­führt. Das Kamel stellt er als Zada vor, als er näher kommt und mich begrüßt. Er selbst heißt Hamid.

„Hast du einen Tur­ban?“, ist das erste was er mich fragt. Ich hole das zer­knüllte Tuch aus mei­ner Tasche und er hilft mir es umzubinden.

Ich fühle mich sofort wie Law­rence von Ara­bien, auch wenn ich wahr­schein­lich eher aus­sehe wie der Affe aus „Alad­din“.

Wir ver­ab­schie­den uns von Hassan und rei­ten los. Immer wei­ter ins Nirgendwo.

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Die Kom­mu­ni­ka­tion ist ein ech­tes Pro­blem, da Hamid zwar flie­ßend Ara­bisch und Ber­be­risch spricht, aber ansons­ten nur ein paar Bro­cken fran­zö­sisch, deutsch, eng­lisch und spa­nisch, die er von Tou­ris­ten auf­ge­schnappt hat.

„Les chickas no tra­vail! Ami­gos: Alles klar! Very muchos Dir­ham! Makes: Cadeaux, very good! Alles klar!“, erzählt er mir.

„Alles klar“, sage ich und er beginnt zu lachen. Ich gewöhne mir ziem­lich schnell an ein­fach eben­falls anzu­fan­gen zu lachen, wenn er lacht. Wor­über weiß ich meist nicht.

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Den größ­ten Teil der Zeit rei­ten wir daher zunächst schwei­gend neben­ein­an­der her und ich genieße nach dem Stress der letz­ten Tage die Ruhe und Weite um mich herum. Die Stille wird ledig­lich von Zeit zu Zeit durch das laut­starke Wie­der­käuen von Zada gestört, das sich anhört  wie eine Mischung aus Rülp­ser und Furz und in etwa auch genau so riecht. Meine Kla­mot­ten sind inner­halb kür­zes­ter Zeit voll mit übel rie­chen­der, schlei­mi­ger Kamels­ab­ber, die in Fäden von Zadas Maul bis zu mir her­über wehen. Ich mache mir mitt­ler­weile schon gar nicht mehr die Mühe sie wegzuwischen.

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Zunächst geht es durch die schier unend­li­che Weite der Stein­wüste. Bei dem Wort „unend­lich“ han­delt es sich übri­gens nicht um irgend­eine pathe­ti­sche Aus­schwei­fung mei­ner­seits, son­dern, im Gegen­teil, um eine sehr nüch­terne Dar­stel­lung der tat­säch­li­chen Gege­ben­hei­ten. Außer dem vor Hitze flim­mern­den Hori­zont ist um mich herum nichts zu sehen, kein Stein, kein Baum, kein Hügel, kein Mensch. Es sieht quasi aus wie in Ost­fries­land, nur ohne den Deich.

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Nach ein paar Stun­den tau­chen dann die ers­ten Sand­dü­nen auf, die nach eini­ger Zeit die fla­che Stein­wüste voll­ends ablösen.

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Immer wie­der müs­sen wir abstei­gen, um unsere Kamele die stei­len Abhänge her­auf- oder her­un­ter­zu­füh­ren. Eine Genug­tu­ung für meine Weich­teile, die durch das stun­den­lange Geschau­kel auf dem har­ten Kamel­rü­cken ziem­lich in Mit­lei­den­schaft gezo­gen wur­den. Ich mache mir mitt­ler­weile etwas Sor­gen dar­über, ob ich nach die­sem Ritt wirk­lich noch zeu­gungs­fä­hig, geschweige denn jemals wie­der in der Lage sein werde den Geschlechts­akt durchzuführen.

Zum wie­der­hol­ten Male denke ich, warum ich mir das eigent­lich antue. Ich könnte genauso gut gerade mit einem Cock­tail am Pool auf Malle liegen.

Näää!

Dann, als ich schon kurz davor bin, Hamid um eine Pause zu bit­ten, tau­chen in der Ferne flim­mernde kleine Fle­cken auf – die bun­ten Zelte des Berberlagers.

Cate­go­riesMarokko
Lennart Adam

Lennart ist Ostfriese. Sein Geld verdient er als Journalist in Flensburg, um es auf Reisen wieder auszugeben.
Reisen wird für ihn besonders dann zum Erlebnis wenn Unerwartetes passiert. Wenn man Pläne über Bord wirft und sich stattdessen vom Zufall leiten lässt, offen ist fürs Unbekannte, fürs Abenteuer. Wenn man auf Fremde zugeht, sich ausprobiert, Ängste überwindet und Grenzen neu definiert. Und wenn man anschließend die richtige Bar findet.

    1. Lennart Adam says:

      Klingt fast schon so, als seien wir an die glei­chen Ver­käu­fer gera­ten. ;) Als Frau stelle ich es mir aller­dings noch ein­mal ungleich här­ter vor.
      Fan­tas­ti­sche Bil­der übri­gens in dei­nem Bericht!

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