Wer an Irlands West­küste denkt, hat meis­tens die Cliffs of Moher, den Ring of Kerry oder sons­tige Attrak­tio­nen des Südens im Kopf. Aber ich behaupte mal ganz frech, dass es oben im Nord­wes­ten noch schö­ner ist. Ein­sa­mer. Wil­der. Iri­scher. Mit höhe­ren Klip­pen und gesprä­chi­ge­ren Scha­fen. Mit mehr Geschichte und weni­ger Tou­ris­ten. In Done­gal. Das ver­stand auch der Natio­nal Geo­gra­phic Tra­vel­ler und ernannte Done­gal zum „Coo­lest Place on the Pla­net for 2017“.

Irgendwo hin­ter Nordirland

„Done­gal, wo ist das über­haupt?“, mögen sich viele fra­gen. Zuge­ge­ben, schon ein wenig am Aller­wer­tes­ten der Welt. Oder zumin­dest Irlands. Noch ein Stück­chen hin­ter Nord­ir­land, ein­ge­klemmt zwi­schen UK und dem Atlan­tik. Fast wurde der Region sogar von Nord­ir­land der Hals abge­schnit­ten. Einer Graf­schaft mit knapp 160.000 Ein­woh­nern. Doch wer dem etwa 2600 Meter lan­gen Wild Atlan­tic Way von Kin­sale im Süden Irlands bis in den hohen Nor­den und zum End­punkt bei Malin Head fol­gen möchte, lan­det eher spä­ter als frü­her in Done­gal. Der Wild Atlan­tic Way: Irland rühmt sich mit der längs­ten aus­ge­wie­se­nen Küs­ten­straße der Welt!

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Laut Buch­au­tor und Irland­ken­ner Ralf Sot­schek ist er eine Erfin­dung des Frem­den­ver­kehrs­am­tes aus dem Jahre 2014, um dem ohne­hin vor­han­de­nen Kind – der lan­gen Küs­ten­straße – einen besu­cher­an­zie­hen­den Namen zu ver­lei­hen, der durch 4000 schmu­cke blaue Schil­der mit wei­ßen Zick­zack­li­nien und einem N oder S für die Him­mels­rich­tun­gen zu etwas Greif­ba­rem wird. Zu etwas, das nun wirk­lich zum kilo­me­ter­ge­treuen Abfah­ren ein­lädt. Und ja, es lohnt sich. Auch oben im Nor­den ist die Stre­cke so wirk­lich rich­tig schön.

Wer ist der Reichste im gan­zen Land? – 1. Stopp am Wild Atlan­tic Way

Ich bin kein Fan von Luxus, spüre auf jeder Reise mehr, dass das Wenige, das in mei­nen Kof­fer passt, noch immer zu viel und zu schwer und über­wie­gend nutz­los ist. Spüre, dass ich mich spä­ter an alles erin­nere – nur nicht daran, wo ich geschla­fen habe. Es sei denn, es war an einem Strand unter 28 Stern­schnup­pen in drei Stun­den, die mir den Schlaf raub­ten. Aber in Done­gal werde ich aus­nahms­weise mal zur Queen of my Castle. Zum ganz genau zwei­ten Mal in mei­nem Leben, und auch nur für eine Nacht – im Lough Eske Castle von 1868 und heu­ti­gem 5‑S­terne-Hotel, natür­lich gele­gen am gleich­na­mi­gen See und unweit der Haupt­stadt der Graf­schaft, Donegal.

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Aber wer will sich beschwe­ren, wenn er echte Schloss­luft atmet, durch­setzt vom leicht rußi­gen Duft des soeben im Kamin der Bar ent­fach­ten Feu­ers und beglei­tet vom Knar­ren der Holz­die­len unterm rot­ge­mus­ter­ten Tep­pich? Die Augen von Ahnen­bil­dern an den Wän­den schei­nen mir zu fol­gen, wäh­rend ich über den schumm­ri­gen Kor­ri­dor husche.

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Das Ambi­ente erin­nert mich an die urigs­ten Sze­nen in alten, ehren­vol­len Anwe­sen, die mich in Aga­tha Chris­tie-Roma­nen immer so fas­zi­nier­ten – und Gän­se­haut­ge­fühl bescher­ten, da hin­ter der nächs­ten Ecke garan­tiert eine Lei­che lag. Doch statt eines frag­wür­di­gen Todes erwar­tet mich im Schloss das ein­deu­tig roman­tischste Zim­mer, in dem ich je geschla­fen habe. Dort falle ich in unzäh­lige Kis­sen auf dem rie­si­gen Him­mel­bett, unter einem gol­de­nen Bal­da­chin, schlafe dank­bar ein und träume, ich wäre die Köni­gin von Irland.

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Wer ist die Höchste im gan­zen Land? – 2. Stopp am Wild Atlan­tic Way 

Die höchs­ten Klip­pen Irlands sind die berühm­ten Cliffs of Moher – falsch! Auf schlappe 214 Meter brin­gen sie es an der höchs­ten Stelle. Da hat Done­gal was Bes­se­res zu bie­ten: Slieve League mit 601 Metern, die zu den höchs­ten Klip­pen Euro­pas zäh­len und tat­säch­lich die höchs­ten begeh­ba­ren sind. Das berich­tet mir stolz Paddy Clarke, ein weiß­bär­ti­ger Mann, den ich auf Mitte 50 schätze und der direkt am Ein­gang zur rauen Schön­heit sein Café Ti Linn eröff­net hat. Prak­ti­scher­weise spielt er auch gern den Rei­se­füh­rer zu sei­nen gelieb­ten Kip­pen. Das Wet­ter ist an die­sem Mor­gen wie an vie­len ande­ren auch: Es schüt­tet, dann herrscht eine etwa ein­mi­nü­tige Regen­pause, bevor es mun­ter wei­ter­geht mit dem erfri­schen­den Nass. Tief hän­gen die Wol­ken über den sich aus dem Grau bedroh­lich erhe­ben­den Klip­pen, gegen die der Atlan­tik mit ordent­lich wei­ßem Schaum vorm Mund tost. Der Sturm reißt mir sofort die Kapuze vom Kopf, bekle­ckert meine Kame­ra­linse mit fet­ten Regen­trop­fen und stopft mei­nen Mund mit mei­nen eige­nen Haa­ren, wenn ich zu spre­chen ver­su­che. Paddy Clarke ist das alles wurscht – er ist einer der vie­len Iren und über­haupt Nord­men­schen, die auf ver­nünf­tige Aus­rüs­tung schwö­ren – auf Aus­rüs­tung, die jede Kri­tik am Wet­ter schlicht­weg unnö­tig macht.

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Man kommt sogar mit dem Auto bis oben auf die Kip­pen von Slieve League. Wenn das Wet­ter mal mit­spielt, lässt es sich auch ent­lang des ‚One Man Pass‘ in etwa fünf Stun­den über die Klip­pen bis nach Malin Beg wan­dern, des­sen Strand die Ein­hei­mi­schen gern als die Kari­bik Done­gals bezeich­nen. Der Name sagt es bereits – mehr als eine Per­son passt hier nicht drauf, und bei star­kem Wind geht gar nichts. „Ein­mal wurde eine Tou­ris­tin von den Klip­pen geweht, weil sie sich ein Regen­cape über­zie­hen wollte und sich der Wind das geschnappt und sie mit­ge­nom­men hat“, erzählt Paddy mit Schau­er­stimme. „Aber sie hat über­lebt!“ Ich lasse es nicht auf einen zwei­ten Ver­such ankom­men und halte mich an Pad­dys Seite am Gelän­der, von wo wir in die Schlucht hinabblicken.

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Ich frage ihn danach, wie tra­di­tio­nell Done­gal wirk­lich noch sei, habe ich doch gehört, dass hier noch mehr Men­schen Gälisch sprä­chen als im Rest der Repu­blik. „Leute mitt­le­ren Alters und die Älte­ren spre­chen alle noch Irisch zu Hause“, berich­tet er mit strah­len­den Augen – er selbst natür­lich auch. „In man­chen Regio­nen mehr als in ande­ren, in Done­gal spricht man es noch sehr häu­fig. Auch an den Schu­len ler­nen die Kin­der Irisch und Eng­lisch, aber immer, wenn sie etwas ler­nen müs­sen, wol­len sie es natür­lich nicht!“ Manch­mal gebe es Som­mer­camps für die Kids, um das Iri­sche bes­ser zu erler­nen, vor allem in Ort­schaf­ten, wo die Spra­che auch noch im All­tags­le­ben vor­herr­sche. Dies sei eine beson­dere Moti­va­tion für die jun­gen Leute, um sich bei­spiels­weise mit den Jugend­li­chen der Dör­fer – vor allem des ande­ren Geschlechts – bes­ser ver­stän­di­gen zu kön­nen, und so werde Irisch plötz­lich „sexy“. Außer­dem, so Paddy, sei Irisch gerade nach dem Unab­hän­gig­keits­krieg nach 1921 immer belieb­ter gewor­den, man habe begon­nen, Stra­ßen­schil­der zwei­spra­chig zu gestal­ten und in den Dör­fern manch­mal nur auf Irisch zu beschrif­ten. „Ich würde sagen, lang­sam ist die Spra­che wie­der etwas mehr im Kom­men, vor allem auch, weil sich Ein­wan­de­rer und Tou­ris­ten dafür interessieren.“

Auf meine Frage, wie es sei, direkt neben Nord­ir­land zu woh­nen, und ob es jemals Span­nun­gen unter den Men­schen gebe, lacht Paddy auf. „Wir haben weder Pro­bleme mit den Nord­iren noch mit den Eng­län­dern. Höchs­tens mit der Regie­rung.“ Die Men­schen hät­ten sich immer gut ver­stan­den, oft fahre man auch rüber nach Nord­ir­land zum Einkaufen.

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Wer ist der Größte im gan­zen Land? – 3. Stopp am Wild Atlan­tic Way

Sobald man den Auto­mo­tor abstellt und die Tür öff­net, wird man von irgendwo mit fröh­li­chem Blö­ken begrüßt. Ich kann mich nicht erin­nern, dass die Schafe im Süden Irlands auch so gesprä­chig gewe­sen wären und beginne in der ein­sa­men Weite der Land­schaft immer häu­fi­ger, den gast­freund­li­chen Tie­ren zu antworten.

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Zum Glück kann mich außer ihnen nie­mand hören. Dabei bin ich ganz nah dran am größ­ten der sechs Natio­nal­parks Irlands – dem Glen­veagh Natio­nal­park. Hier befin­den sich die bei­den höchs­ten Berge Done­gals, Mount Erri­gal mit 751 Metern und Slieve Snaght mit 683 Metern. Auf eine toll­kühne Berg­wan­de­rung lasse ich mich gar nicht erst ein, son­dern mache mich vom Besu­cher­zen­trum auf den knapp vier Kilo­me­ter lan­gen, fla­chen Weg zum Schloss aus dem 19. Jahr­hun­dert, immer ent­lang des Lough Veagh. Noch hängt der Mor­gen­ne­bel tief über der hüge­li­gen, saf­tig grü­nen Moor- und Hei­de­land­schaft, die teil­weise aus Torf­moo­ren besteht. Zwar gibt es kaum Bäume, dafür aber einige wun­der­schöne Pflan­zen und Blumen.

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Die Luft legt sich wie feuchte Fin­ger über mein Gesicht und die Stille ist so abso­lut, dass ich beim Lau­fen mei­nen eige­nen Herz­schlag zu hören glaube. Auf einem klei­nen Kie­sel­stein­strand am See bleibe ich ste­hen, beob­achte, wie der Wind das See­was­ser kräu­selt und wie leichte Mee­res­wel­len erschei­nen lässt. Das Was­ser ist so klar, dass sich selbst die unschein­bars­ten Stein­chen am Boden erken­nen las­sen. Hier ist die Welt noch in Ordnung.

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Die ers­ten Men­schen treffe ich am Schloss, das sich stolz hin­ter einem exo­ti­schen Gar­ten erhebt. Wer das Schloss besucht, wird sofort mit dem Namen Adair kon­fron­tiert. Es war John George Adair, ein Land­spe­ku­lant, der das Ter­rain Ende der 1850er kaufte. Damit pro­fi­tierte er vom Ende der Iri­schen Hun­gers­not und wurde einer der neuen Land­be­sit­zer, die nach den Kata­stro­phen­jah­ren bil­lig Besitz erste­hen konn­ten. Der damals noch über Irland herr­schen­den eng­li­schen Regie­rung war natür­lich daran gele­gen, neue Rei­che anzu­lo­cken, die ihr Geld in Irland inves­tier­ten. 1870 begann Adair schließ­lich mit dem Bau des Schlos­ses, das seine ame­ri­ka­ni­sche Frau nach des­sen Tod über­nahm und wo sie die heute noch zu besich­ti­gen­den Gär­ten anle­gen ließ. Nach ihrem Tod 1921 ver­waiste die Anlage, wech­selte danach mehr­mals den Besit­zer und wurde 1937 schließ­lich von dem Ame­ri­ka­ner Henry McLhenny erwor­ben, der im Schloss gerne Künst­ler und Pro­mi­nente emp­fing. Unter ande­rem zählte Greta Gabor zu gern gese­he­nen Gäs­ten – bald stehe ich sogar vorm Bett in dem klei­nen Zim­mer, in dem sie immer geschla­fen haben soll.

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Ein biss­chen beneide ich sie schon. In dem hüb­schen Schloss mit sei­nen gemüt­li­chen Zim­mern vol­ler Bücher­schränke und mit Blick über den Park ließe es sich gut län­ger aushalten.

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McLhenny schien das anders zu sehen, denn er ver­kaufte das Land 1975 an ein Staats­amt, das sich der Pflege his­to­ri­scher Stät­ten annahm, und ver­schenkte 1981 noch dazu Schloss und Gar­ten an die Nationalparkverwaltung.

Nach einer Tour durchs Schloss spa­ziere ich durch den schi­cken Gar­ten, der unter ande­rem durch exo­ti­sche Pflan­zen und Sta­tuen einen welt­män­ni­schen Touch bekom­men sollte. Unter­wegs befin­det man sich schnell mal auf Bali und in nächs­ter Minute in der Toskana.

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Im Park jen­seits des Schloss­gar­tens soll sich die größte Rot­wild­herde Irlands befin­den, und 2001 wur­den sogar in Irland eigent­lich aus­ge­stor­bene Stein­ad­ler aus Schott­land in Glen­veagh ange­sie­delt, doch lei­der wol­len sich beide Spe­zies mei­ner Kamera und mir an die­sem Tag nicht zeigen.

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Wer ist der Schönste im gan­zen Land? – 4. Stopp am Wild Atlan­tic Way

Seit jeher habe ich eine Schwä­che für Leucht­türme. Ganz beson­ders für sol­che, die sich nach stun­den­lan­ger Fahrt durch wilde, schaf­rei­che Land­schaf­ten und ent­lang zer­klüf­te­ter Küs­ten­ab­schnitte errei­chen las­sen und dann gerade bei mei­ner Ankunft in ihrer schnee­wei­ßen Schön­heit von den weni­gen Son­nen­strah­len des Tages beleuch­tet werden.

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Klar, so muss es auch sein, denn das Fanad Head Light­house von 1817 soll nicht nur das schönste Irlands sein, son­dern gleich eins der schöns­ten in der gan­zen Welt! Mir ist die Gockelei um Miss oder Mr. World der Leucht­türme egal, doch trotz­dem ist es Liebe auf den ers­ten Blick, am liebs­ten würde ich direkt ein­zie­hen – und könnte es auch im Prin­zip, denn der Leucht­turm bie­tet auch Über­nach­tungs­mög­lich­kei­ten an. Dabei wurde er nur erbaut, weil es in den drei Jahr­zehn­ten zuvor 60 Schiff­wracks am Lough Swilly gege­ben hatte, den der Leucht­turm seit­dem über­wacht. Lange Jahre wohn­ten gleich zwei Leucht­turm­wär­ter und deren Fami­lien vor Ort, 1978 war es nur noch einer, und nach des­sen Pen­sio­nie­rung 1983 wurde schließ­lich kei­ner mehr benö­tigt, da der Leucht­turm nun voll auto­ma­tisch betrie­ben wer­den sollte. Sein Licht strahlt noch heute 18 Kilo­me­ter weit.

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Wäh­rend ich den 22 Meter hohen Turm besteige, muss ich plötz­lich an Jorge den­ken – den Leucht­turm­wär­ter von Praia, der Haupt­stadt der Kap­ver­di­schen Inseln, die ich vor weni­gen Mona­ten besucht habe. Ich denke an seine Worte, dass er der glück­lichste Mensch der Welt sei, weil er nur drei Schritte bis zur Arbeit habe und jahr­ein, jahr­aus umge­ben von den tosen­den Wel­len an einer Land­spitze wohne. Ein Gefühl von Nost­al­gie über­kommt mich, dass sol­che Men­schen in unse­rem moder­nen Europa ein­fach nicht mehr gebraucht wer­den. Dass so vie­les, was zufrie­den macht, oft­mals nur noch als über­flüs­sig abge­stem­pelt wird.

Um mich von dem Gedan­ken abzu­len­ken, kon­zen­triere ich mich auf die Mög­lich­keit, vor Fanad Head reich zu wer­den – sollte ich nur ein paar Tauch­lehr­gänge erfolg­reich bestehen! Denn dort lie­gen angeb­lich noch immer 22 Gold­bar­ren am Mee­res­bo­den, die heute meh­rere hun­dert Mil­lio­nen Euro wert wären. „Sie san­ken 1917 im 1. Welt­krieg mit der SS Lau­ren­tic, einem Schiff der Royal Navy, das von zwei deut­schen Minen zer­stört wurde. An Bord befan­den sich neben 475 Men­schen auch 3.211 Gold­bar­ren, die für den Erwerb von Kriegs­mu­ni­tion nach Kanada gebracht wer­den soll­ten“, erklärt die junge Leucht­turm­füh­re­rin mit einem Namen, den ich mir ein­fach nicht mer­ken kann.

Wer ist der Nörd­lichste im gan­zen Land? – 5. Stopp am Wild Atlan­tic Way

Je wei­ter nörd­lich es auf der größ­ten Halb­in­sel Irlands, Ini­showen, nach Nor­den geht, desto unbe­rühr­ter wirkt die Land­schaft, desto uri­ger wer­den die Dör­fer und desto gesel­li­ger die Schafe, die sich alle Zeit der Welt las­sen, den etwa zehn pro Tag vor­bei­kom­men­den Fahr­zeu­gen Vor­fahrt zu gewähren.

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Wahr­schein­lich hät­ten die Men­schen, die hier leben, für die Begriffe Stress und Eile keine Defi­ni­tion. Ich ver­gesse sie bei­nahe auch. Und doch ging es hier nicht immer idyl­lisch zu, wie mich ein Besuch des Doagh Famine Vil­lage, dem ich gemein­sam mit dem Thema Hun­gers­not einen extra Bericht wid­men werde, vor Augen führt. Noch nie habe ich einen so umfas­sen­den Ein­blick in die iri­sche Geschichte bis in die Gegen­wart bekom­men wie in dem 1997 von Pat Donaghy gegrün­de­ten Folk Vil­lage an einem wei­ßen Sand­strand, wie man ihn kaum in Irland erwar­ten würde – direkt gegen­über vom Five Fin­gers Strand inmit­ten von bis zu 30 Meter hohen Dünen – die, Über­ra­schung! – auch mal wie­der zu den höchs­ten Euro­pas zählen.

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Am Five Fin­gers Strand vor­bei geht es schnur­stracks in Rich­tung des nörd­lichs­ten Punkts von Irland: Malin Head. 2016 kam die wilde Land­spitze, an der es außer einem bau­fäl­li­gen Beob­ach­tungs­turm und einem Traum­pan­orama über Wie­sen, in denen sich weiße Cot­ta­ges und weiße Schafe abwech­seln, wenig gibt, zu neuem Ruhm – hier wurde ein Teil von Star Wars VIII gedreht, was die Dörf­ler rund um Malin Head in ein regel­rech­tes Star Wars-Fie­ber versetzte.

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Doch von irgend­wel­chem Hype ist hier nichts mehr zu mer­ken. Der Ort ist Wel­ten ent­fernt von den tou­ris­ti­schen High­lights im Süden, wo vom schi­cken Café bis zum noch schi­cke­ren Restau­rant alles für die Besu­cher her­aus­ge­putzt wurde. Am Malin Head steht nur ein Klein­las­ter mit der Auf­schrift ‚Mobile Espresso Bar‘, der Kaf­fee in Plas­tik­be­chern und das eine oder andere Scone verkauft.

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Ich brau­che nicht mal das. Mir reicht der ein­same, stei­nige Weg ent­lang der Klip­pen zum ‚Hells Hole‘, einer Schlucht in den Fel­sen, in denen der Teu­fel röchelt – oder wo auch nur der Atlan­tik gegen die Fel­sen klatscht. In den Fel­dern zu bei­den Sei­ten wächst Baum­wolle, oder so sieht es zumin­dest aus. Doch ein beson­de­res Bon­bon hält das Ende Irlands auch noch bereit: das aus gro­ßen Stei­nen auf einem Feld gelegte Wort EIRE, das dem 2. Welt­krieg ent­stammt. Es hatte die Auf­gabe, geg­ne­ri­schen Flug­zeu­gen zu signa­li­sie­ren, dass sie nun neu­tra­les Gebiet über­flie­gen würden.

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Meine per­sön­li­che Reise ent­lang des Wild Atlan­tic Way durch Done­gal endet jedoch nicht am Malin Head, son­dern es geht noch ein Stück­chen wei­ter süd­lich – bis zur Kin­na­goe Bay. Hätte ich bis­lang noch nicht ver­stan­den, dass dies das Ende der Welt ist, oder zumin­dest Irlands, wür­den mir lang­sam die Augen auf­ge­hen. Es geht vor­bei an ver­ein­zel­ten Bau­ern­hö­fen, an noch immer fröh­lich blö­ken­den Scha­fen, die wohl das beste Schafs­le­ben füh­ren, das man sich nur vor­stel­len kann – mit freiem Blick über die Klip­pen und Fel­der, bis zum Hori­zont. Zum ers­ten Mal in mei­nem Leben wünschte ich, ich wäre ein Schaf. Über dem fast men­schen­lee­ren Strand von Kin­na­goe geht gerade zum letz­ten Mal an die­sem Tag die Sonne auf, kurz bevor sie untergeht.

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Die Sonne bemalt die zum Strand abfal­len­den Hügel mit dem sat­tes­ten Grün der Farb­pa­lette und ver­wan­delt den Ozean in so tie­fes Blau, wie man es auf Post­kar­ten fin­det, die bestimmt nicht Irland abbil­den. Ist dies tat­säch­lich Irland? Ja, es ist Done­gal. Meine neue Lieb­lings­re­gion auf der grü­nen Insel.

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Diese Indi­vi­du­al­reise wurde unter­stützt von Tou­rism Ire­land, www.ireland.com

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Bernadette Olderdissen

Bernadette Olderdissen ist eine Geschichtensammlerin- und schreiberin. Schon in jungen Jahren verstand sie, dass ganz so viel Fantasie zum Schreiben gar nicht nötig war, denn die besten Geschichten schenkte ihr das Leben umsonst. Schenkten ihr die Menschen um sie herum. Als sie viele Geschichten gehört hatte, zog sie weiter. Sperrte die Ohren auf und schrieb alles nieder, was ihr die Menschen zu erzählen hatten. So trieb es sie immer weiter durch die Welt, mit ungesättigter Neugier und in der Gewissheit, dass sich die Menschen zwar überall auf der Welt verdammt ähnlich sind, jedoch keine zwei Geschichten identisch. Dieser Umstand ist schuld daran, dass sie noch immer nichts für die Rente gespart hat, sondern das Geld immer nur für die nächsten Reisen reicht. Und das findet sie auch gank okay so.

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