Der Gang in das Unbe­kannte ist sowas wie der Knack­punkt des Rei­sens. Im Unbe­kann­ten lie­gen Hoff­nun­gen, Ver­spre­chen und Ängste. Doch was bedeu­tet es über­haupt, einen Gang in das Unbe­kannte zu wagen? 

Für mich: etwas zu erfah­ren, was ich vor­her noch nie erfah­ren habe. Das beschränkt sich nicht nur auf das geo­gra­phi­sche Vor­drin­gen in unbe­kann­tes Gebiet. Die Aus­ein­an­der­set­zung mit irgend­et­was Neuem birgt immer eine gewisse Intensität.

Der Restau­rant­be­su­cher, der sich bei sei­nem Lieb­lings­ita­lie­ner statt der gewohn­ten Spa­ghetti mal die Tor­tel­lini bestellt, dringt in die­sem Moment auch in „das Unbe­kannte“ vor. Mög­li­cher­weise wird er eine gewisse Ner­vo­si­tät ver­spü­ren, wäh­rend er auf das Gericht war­tet: hof­fent­lich sind die Tor­tel­lini auch lecker! Hätte ich auf die alt­be­währte Pasta set­zen sol­len oder ent­de­cke ich mein neues Lieb­lings­ge­richt? Seine Ner­vo­si­tät wird sich aller­dings in Gren­zen hal­ten, denn er ist nur auf einer Ebene in das Unbe­kannte vor­ge­sto­ßen. Alle ande­ren Ebe­nen wie der Ort, die Men­schen, die Gerü­che, etc. sind altbekannt.

Wo das Bekannte auf­hört und das Unbe­kannte anfängt ist höchst sub­jek­tiv. Über­spitzt for­mu­liert: der Eine ver­lässt den Kom­fort des Bekann­ten, wenn er sein Desk­top­hin­ter­grund­bild ändert, den Ande­ren kann man mit ver­bun­de­nen Augen im Dschun­gel aus­set­zen und er wird sich immer noch inner­halb sei­ner Kom­fort­zone bewegen.

Ausblick beim Bisket Jatra in Bakhtapur

Die Rei­se­mo­tive vie­ler Indi­vi­du­al­rei­sen­der grei­fen den Gang in das Unbe­kannte auf. Man will Kul­tu­ren, Orte, Spra­chen, Men­schen und Spei­sen ken­nen­ler­nen. Im Unbe­kann­ten liegt dann das Erstre­bens­werte, viel­leicht sogar die Essenz des Rei­sens.

Immer mal wie­der, das kann man kaum ver­hin­dern, dringt man auf einer Reise auf meh­re­ren Ebe­nen gleich­zei­tig in das Unbe­kannte her­vor. Meis­tens geschieht das, wenn man sich rela­tiv unver­mit­telt in einer neuen Umge­bung zurecht fin­den muss. Bei­spiels­weise nach einer lan­gen Bus­fahrt oder einer Flug­reise. Der Moment, in dem man sich umblickt und nichts Ver­trau­tes mehr erkennt, ist für den Rei­sen­den an Inten­si­tät kaum zu über­bie­ten. Er ist zunächst gezwun­gen, sich mit den greif­ba­ren Umstel­lun­gen zu beschäf­ti­gen: dem Wech­sel­kurs für die Wäh­rung, Links­ver­kehr, der neuen Spra­che. Die­ser Umstel­lungs­pro­zess allein kann durch­aus inten­siv sein.

Wasserfall in Si Phan Don

Doch die eigent­li­che Inten­si­tät rührt aus den wei­chen, zwi­schen­mensch­li­chen The­men. Wenn die Men­schen für die Augen des Rei­sen­den fremd aus­se­hen, doch ins­be­son­dere ihr Ges­tus und die Mimik keine Rück­schlüsse auf ihr Wesen zulas­sen. Man eröff­net den Small­talk, wäh­rend das Gehirn alle Sinne nach Input abklopft, um die Situa­tion ein­zu­ord­nen. Die exis­ten­ti­el­len Fra­gen des Lebens drän­gen sich dann in den Kopf: Ist man mir hier wohl­ge­son­nen? Bin ich hier sicher? Wo werde ich heute Nacht schlafen?

Emo­tio­nal bewegt man sich im Grenz­be­reich. Manch­mal wächst man genau dann über sich hin­aus. Man ver­mag, von Glücks­hor­mo­nen getra­gen, eine Hürde nach der ande­ren zu über­sprin­gen: Jog­ger wür­den vom Runner’s High spre­chen. Manch­mal aller­dings ist die Reiz­über­flu­tung der­art uner­träg­lich, dass es einer Klei­nig­keit bedarf, um das Fass zum Über­lau­fen zu brin­gen. Dann han­delt kaum Einer kon­trol­liert. Woran sich das mani­fes­tiert ist indi­vi­du­ell: der Eine schreit, der Andere heult und der Nächste zieht sich zurück.

Ausblick vom Swayambhunath Tempel in Kathmandu, Nepal

Was diese Momente so inten­siv macht: Man lebt in ihnen. Han­deln und Den­ken syn­chro­ni­sie­ren sich. Man fokus­siert sich voll­kom­men auf die „Außen­welt“. Im Extrem­fall wer­den erlernte Ver­hal­tens­wei­sen schlicht­weg ver­ges­sen, man ver­kör­pert dann die rohste Vari­ante sei­ner selbst. Man kann ange­sichts des Unbe­kann­ten viel über Men­schen (vor allem sich selbst) erfah­ren. Das unter­schei­det sich vom Agie­ren auf bekann­tem Ter­rain: Da ergrei­fen oft Gedan­ken, die ent­we­der in die Zukunft oder in die Ver­gan­gen­heit gerich­tet sind, Besitz von Einem.

Beni in Nepal

Das Tolle ist, dass jede Stress­si­tua­tion dazu bei­trägt, eine gewisse Rou­tine zu ent­wi­ckeln. Wer sich bewusst in unbe­kannte Situa­tio­nen begibt, geht gestärkt dar­aus her­vor: Er erwei­tert den Radius sei­ner Kom­fort­zone. Diese Ent­de­cker­ty­pen, die von Neu­gier getrie­ben, kon­stant ihre eige­nen Gren­zen nach hin­ten ver­schie­ben, bewun­dere ich.

Der Gang ins Unbe­kannte führt immer ent­lang eines schma­len Gra­des: Hier ent­ste­hen Sto­ries fürs Leben, er berei­tet die Bühne für per­sön­li­che Dra­men. Doch an ihm wächst jeder. Bei die­sem Vor­ha­ben sollte man Andere immer unter­stüt­zen, sie tun sich was Gutes!

Cate­go­riesWelt
  1. stefan molsner says:

    Ich denke, das Umgang mit Unbe­kann­tem vor allem davon abhängt, wie viel Raum die jewei­lige Per­son dem Gefühl der Angst ein­räumt, bzw. wie „angst­ge­pägt“ sie agiert. D. h., je mehr Ängste auf­tre­ten, desto weni­ger wird das „Unbe­kannte“ zum Ziel von Hand­lung und Erfah­rung – die Per­son wird im Gegen­teil (je nach Grad der Angst) bemüht sein, allzu viele bis jeg­li­che neuen Ein­drü­cke zu vermeiden.
    Es funk­tio­niert aber auch umge­kehrt: je öfters neue Ein­drü­cke posi­tiv erlebt bzw. ver­ar­bei­tet wer­den, desto eher weicht die Angst zurück. Ver­trauen – nicht Mut – ist das Gegen­teil von Angst; Mut benö­tigt nur, wer Angst hat.

  2. lisa says:

    Über­aus berei­chernd eure Bei­träge! Das Wach­sen äuße­rer und inne­rer Erfah­run­gen und die kom­pe­tente und rek­lek­tierte Schreibe dar­über begeis­tert mich jedes­mal neu.
    Freue mich auf jeden wei­te­ren Bericht!
    Auch das lay­out und die Fotos wer­den immer besser!

  3. Inter­es­san­ter Gedanke mit der Syn­chro­ni­sa­tion von Han­deln und Den­ken und dem Fokus auf die Außen­welt. Wie han­dele ich, wenn ich kein bekann­tes Mus­ter des zwi­schen­mensch­li­chen Umgangs mehr anwen­den kann? Gibt es viel­leicht kul­tur­über­grei­fende Ges­ten, die jeder ver­steht (Lächeln)? Danke für den Text!

    1. Wenn die bekann­ten Mus­ter nicht grei­fen, pro­biere ich mich häu­fig an ver­schie­de­nen Ges­ten und trage diese dann mit einer gewis­sen Thea­tra­lik vor. Da ist man vor Miss­ver­ständ­nis­sen nie gefeit, glaube ich. Aber stimmt, ein Lächeln ver­stand man bis­her überall.

  4. Tol­ler Bei­trag!!! Der Gang ins Unbe­kannte ist die Essenz mei­nes Lebens. Und das sehe ich auch so: Es fängt damit an auch beim Ita­lie­ner etwas Unbe­kann­tes zu bestellen…diese klei­nen und gro­ßen Risi­ken begeg­nen einem ja mehr­mals am Tag. Leben heißt Erle­ben – Gutes und nicht so Gutes…

    1. Vie­len Dank!

      Da haben wir ja etwas gemein­sam! Aus jedem Gang ins Unbe­kannte geht man gestärkt her­vor – in die­sem Fall gestärkt durch Pasta ;)

      Liebe Grüße,
      Stefan

  5. Nadja says:

    Mal wie­der ein tol­ler Bei­trag!! Den Gang in das Unbe­kannte erlebe ich auf Rei­sen mit Kind noch extre­mer als frü­her, da man ein­fach mehr Risi­ken ein­geht. Bis­her wurde mein Mut immer belohnt und das Risiko wurde zur Chance. Ich bin dafür, dass man alles, was man möchte, ver­su­chen sollte. Man kann nur gewin­nen. Der Schritt ins Unge­wisse berei­chert das Leben. Bis­her kann ich sagen, dass ich ins­ge­samt im Leben gleich gute und schlechte Erfah­run­gen gemacht habe – aber am Ende mei­nes Lebens kann ich sagen: Ich hab gelebt! Wer nichts ris­kiert und sich nichts traut, der kommt nicht weit.…Macht wei­ter so! LG Nadja

    1. Hey Nadja,

      Danke für den Bei­trag, dem kann ich nur zustim­men. Oft sind es ja die Ent­schei­dun­gen, die wir über­haupt nicht tref­fen, die wir nach­her eher bereuen als eine getrof­fene, fal­sche Entscheidung. 

      Liebe Grüße,
      Stefan

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