Wenn man so will, cam­pen wir seit mehr als zwei Jah­ren täg­lich. Ich weiß nicht, ob uns das zu Cam­ping-Spe­zia­lis­ten macht, aber ich schätze mal wir kön­nen es mit einem Durch­schnitts-Cam­per, der im Jahr summa sum­ma­rum drei Wochen auf einem Cam­ping­platz ver­bringt durch­aus auf­neh­men. Genauer gesagt: Wir haben wohl unser Soll für die nächs­ten 30 Jahre Cam­ping­ur­laub erfüllt. Ziem­lich genau sogar.

Aller­dings: Unsere Begeis­te­rung für die umwer­fen­den Stil­blü­ten des Cam­ping­wett­rüs­tens im ita­lie­ni­schen oder grie­chi­schen Cam­ping­platz­idyll hält sich in Gren­zen. Ein biss­chen was haben wir davon zwar schon gese­hen – in Ita­lien und in Grie­chen­land jeweils zur Vor­sai­son – aber rich­tig ein­ge­taucht sind wir damals wohl nicht. Den erst­ge­nann­ten Cam­ping­platz brauch­ten wir auf­grund der Bügel­mög­lich­keit für Jen’s Hoch­zeits­kleid, den Zwei­ten als Ziel­adresse für den Ver­sand einer Tem­pe­ra­tur­si­che­rung. Aber das nur so am Rande.

Mein abso­lu­ter Favo­rit aus Caval­lino: der Mobil­funk­mas­ten-große Satel­li­ten­schüs­sel­stand­fuß für den opti­ma­len TV-Emp­fang auf Cam­ping­plät­zen, auf wel­chen die schat­ten­spen­den­den Bäume den Genuss von Germany’s Next Top Model doch ein biss­chen trü­ben könn­ten. Oder ver­rau­schen. Wohl­ge­merkt: Könn­ten! Unsi­cher­hei­ten wer­den nicht in Kauf genom­men. Ver­steh ich. Bei der Fuß­ball-WM 2014 hätte ich für einen sol­chen Stand­fuß wahr­schein­lich getö­tet. Selbst schuld, müs­sen wir auch genau dann in Indien sein. So haben wir das halt anders gelöst. Mit Public Vie­w­ing in schmud­de­li­gen Pubs und so. Nachts um drei. Deutsch­land ist trotz­dem Welt­meis­ter gewor­den und wir haben uns die Frus­tra­tion erspart, kurz vor dem Anpfiff zu mer­ken, dass eine euro­päi­sche Satel­li­ten­schüs­sel in Asien kei­nen Pfif­fer­ling wert ist – man merkt, ich habe mich kurz vor der WM zu die­sem Thema dann doch ein biss­chen schlau gemacht.

Aber jetzt sind wir in Russ­land, an der Wolga, um genau zu sein. Keine WM in Sicht. Freunde haben uns erzählt, dass der Russe an sich ein Cam­ping­fa­na­ti­ker ist. Aha. Nun gut. Wir brauch­ten genau ein Wochen­ende – das erste am wun­der­schö­nen Bai­kal­see – um zu ver­ste­hen was damit gemeint ist: am Sams­tag und Sonn­tag müs­sen die rus­si­schen Städte leer sein. Alle sind beim Cam­ping. Alle! Groß, klein, jung, alt. Aber the real thing! Nix da mit Wohn­wa­gen oder Wohn­mo­bil. Ein Zelt muss es sein! … ein Uni­mog mit Wohn­ka­bine – ts ts ts … was für Weicheier!
Dass diese Zelte alle mög­li­chen For­men und Far­ben haben ist klar, aber dass es auch Nischen­zelte gibt ist neu. Zumin­dest für mich. Schlaf­zelt. Der Stan­dard. Essens­zelt. Okay! Wenn es rich­tig kalt ist oder die Mücken einen auf­fres­sen. Auf­be­wah­rungs­zelt. Na gut, wenn man Platz hat! Toi­let­ten­zelt! Cool! Und so rich­tig prak­tisch: weil es so viele Cam­per gibt, wird auch der Platz für die­sen doch sehr pri­va­ten Moment knapp – zudem die Suche nach einem freien Plätz­chen im Wald an die­ses Kin­der-Käst­chen-Hüpf­spiel erin­nert, bei dem man mög­lichst schnell vom Start bis zum Ende durch hüp­fen muss ohne auf die Linien – oder die Häuf­chen zu tre­ten. Ach so, und für die ganz Har­ten unter den Har­ten wer­den all diese The­men­be­rei­che statt durch ein Zelt ein­fach mit einer simp­len Plas­tik­plane abge­steckt. The real thing eben!

Naja, und zum real thing gehört unbe­dingt auch ein Boot. Und auch dabei gibt es aller­lei Unter­schiede. Der Stan­dard: ein Schlauch­boot. Aber auch das kann man upgraden, zum Bei­spiel mit einem 200 PS Außen­board­mo­tor. Und dann wird gefischt. Mit­ten auf dem See. Stun­den­lang. Die Män­ner. Wäh­rend der Rest der Fami­lie die Zelt- bezie­hungs­weise Pla­nen­stadt bewacht oder Feu­er­holz sucht. Aller­dings – und das haben uns äußerst lie­bens­werte und zurück­hal­tende Nach­barn am Koto­kel See vor­ge­macht – kann man auch Holz­schla­gen mit Stil und Würde tun. In einen grü­nen Out­door-Anzug gehüllt – Kapuze für den Mann (tail­liert) und Schlag­hose für die Frau – und mit einer Motor­säge bewaff­net. … als mir Tat­jana die Motor­säge zum Klein­ma­chen des von mir eigen­hän­dig ange­schlepp­ten Baum­stam­mes anbie­tet lehne ich dan­kend ab. Zu groß ist mein Respekt vor die­sen Din­gern! Ihre Süßig­kei­ten haben wir aber schon genascht. Das sind die real thing Cam­per. Zumin­dest nen­nen wir sie so. Und sie sind großartig!

 

Und für die Cam­per gibt es in Russ­land mehr als aus­rei­chend „Spiel­feld.“ Im Osten Russ­lands ist die Natur fast unbe­rührt. Laub- und Nadel­wäl­der wech­seln sich ab. End­lose Wei­ten, die sanft von grö­ße­ren oder klei­ne­ren Flüs­sen durch­zo­gen wer­den. Immer wie­der kreuzt man einen See, denkt kurz nach über ein erfri­schen­des Bad. Die Weite, die Frei­heit, die Natur ist mäch­tig, fast über­mäch­tig. Erst vor weni­gen Jah­ren wurde das letzte Stück Straße auf den Weg in den fer­nen Osten geteert. Heute, wenn man vom High­way abbiegt, spürt man sich immer noch auf der alten sibi­ri­schen Rea­li­tät: der Schot­ter­piste. Cam­ping geht hier über­all. Platz genug. Fisch genug. Holz genug. Der real thing Cam­per lässt sich Raum. Und muss man sich doch näher kom­men – weil der Platz am See sehr spe­zi­ell, doch auch limi­tiert ist – dann ist er zurück­hal­tend freund­lich, fast ein biss­chen schüch­tern … und unglaub­lich gastfreund­lich.

 

Aber es gibt auch das Publi­kum in Fei­er­laune unter den rus­si­schen Cam­pern. Man erkennt sie daran, dass sie schon betrun­ken mit lau­ter Musik an einem Frei­tag­abend vor­fah­ren. Vor­zugs­weise nach Ein­bruch der Dun­kel­heit. Bis dann das Zelt auf­ge­baut ist (oder man sich der Ein­fach­heit hal­ber doch für den Schlaf im Auto ent­schei­det), steht der ältere Teil der Bevöl­ke­rung schon wie­der auf und freut sich auf einen wei­te­ren gemüt­li­chen Tag in der end­lo­sen Natur Sibi­ri­ens. Die­ser kann beim Anblick voll­trun­ke­ner Teen­ager, die vor dem Mit­tag­essen schon koma­tös aber äußerst fried­lich auf der Luft­ma­tratze vege­tie­ren lei­der ein biss­chen beein­träch­tigt wer­den. Aber auch das gehört wohl dazu. Genauso, dass das Wochen­ende vor­über geht und die Natur wie­der sich selbst über­las­sen wird. Und den real thing Campern …

Egal ob wir nun auch real thing Cam­per sind oder nicht – neu­lich beim Jog­gen ent­lang des Sees sind wir zwei­mal einem sibi­ri­schen Wolf begeg­net. Er hatte Angst vor uns, wir hat­ten gro­ßen Respekt vor ihm. Jetzt fehlt uns nur noch ein Bär. Mal schauen, wie dann die Angst ver­teilt ist!

 

Cate­go­riesRuss­land
Jennifer und Peter Glas

Ihr erstes gemeinsames Zuhause ist ein Unimog-Van. Jen und Peter kennen sich erst vier Monate, als sie beschließen, zusammen die Welt zu befahren – ihre Hochzeitsreise wird ein epischer Roadtrip.
Die abenteuerliche Hochzeitsreise von München über den Balkan, Iran, Oman, Indien und Südostasien bis nach Wladiwostok verfolgen tausende Fans auf ihrem Blog Glaarkshouse.
Jetzt auch als wunderschöner Lese-Bildband erhältlich: ROADTRIP - Eine Liebesgeschichte von Jen und Peter Glas. Überall wo es Bücher gibt und in unserem Online-Shop.

  1. Rus­sen sind sehr rück­sichts­volle Men­schen. Als wir mit dem Wohn­mo­bil in einem Wald­ge­biet cam­pier­ten, haben die Ein­hei­mi­schen auf ihrem Weg ins nächste Dorf einen Umweg gemacht, nur um uns nicht zu stö­ren. Das haben sie uns abends gesagt, als wir ins Gespräch kamen. Wir waren gerührt.

  2. Stefan says:

    Tol­ler Bericht und tol­les Fahr­zeug. Macht Lust auf mehr. Wir haben auch so was in der Art aber etwas klei­ner und in Feu­er­wehr-rot. Auf unse­rer Test­fahrt waren wir in Marokko. Mal sehen zu was für Cam­per wir mal wer­den. Eine Sate­li­ten­schüs­sel haben wir keine, dafür 4WD. Ein­sam fin­den wir super, aber Marokko war der­art leer­ge­fegt das wir uns schon über gesel­lige mit- Cam­per gefreut haben.

    1. Hi Ste­fan!
      Danke für dein schö­nes Feedback!
      Auf die Größe kommt es gar nicht an beim rich­ti­gen Fahr­zeug. Und das „per­fekte“ Fahr­zeug gibt es auch nicht.
      Es kommt immer dar­auf an, was einem gerade wich­tig ist. Ich denke, unsere nächste große Reise – die viel­leicht nicht gleich um die halbe Welt geht – machen wir viel­leicht auch in einem klei­ne­ren Fahr­zeug. Mal sehen. 4WD ist halt immer schön, wenn man sich etwas ent­le­ge­nere Stell­plätze sucht. Das war uns auch immer wichtig.
      Ganz herz­li­che Grüße und viele schöne (Camping-)Abenteuer.
      Jen & Peter

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