Boli­vien, August 2011.

Es ist Abend, als ich in dem klei­nen Dorf irgendwo in den boli­via­ni­schen Anden ankomme. Eine lange Bus­fahrt über stau­bige Schot­ter­stra­ßen liegt hin­ter mir. Die letz­ten 30 Kilo­me­ter musste ich in einem Taxi zurück­le­gen, das bei­nahe eine Stunde für die kurze Stre­cke brauchte. Dann stehe ich da, bei­nahe über­for­dert mit der Situa­tion, plötz­lich Mit­tel­punkt des Gesche­hens zu sein. Das Inter­esse an mei­ner Per­son ist groß – zu sel­ten kom­men Men­schen von außer­halb, geschweige denn Aus­län­der. Das Dorf liegt fern der Städte des Lan­des, die Infra­struk­tur ist man­gel­haft, Licht und Was­ser gibt es nur unre­gel­mä­ßig und Bil­dung ist rares Gut. Die vor­nehm­lich afro­bo­li­via­ni­schen Bewoh­ner leben vom Koka- und Kaf­fee­an­bau, in Ein­klang mit der Natur, wie mir scheint.

Inmit­ten die­ser auf mich sur­real wir­ken­den Situa­tion komme ich ins Gespräch mit einem älte­ren Mann. Er erzählt mir, dass er Vögel sehr gerne mag. Er beginnt Vogel­na­men auf­zu­zäh­len und möchte wis­sen, ob es diese in mei­nem Land auch gäbe und ob sie flie­gen könn­ten. Mein Spa­nisch ist zwar gut, mit Vögeln – das muss ich geste­hen – habe ich mich dann aber doch sehr wenig beschäf­tigt. Um meine Wis­sens­lü­cke zu über­spie­len, beschließe ich, ihm mal mit „Ja, die gibt es“, dann wie­der mit „Nein, gibt es nicht“ und „Kön­nen flie­gen“ oder „Kön­nen nicht flie­gen“ zu ant­wor­ten – er würde ja doch nicht in mein Land fah­ren, um meine Ant­wor­ten zu über­prü­fen. Nach­dem wir das Spiel unzäh­lige Male hin­ter uns gebracht hat­ten, fragt er mich, ob es auch „víboras“ geben würde. Schon etwas ent­nervt ant­worte ich ihm, dass es diese gibt und dass die auch flie­gen. Erstaunt sieht mich der Mann an: „Die kön­nen flie­gen? Haben die Flü­gel?“ In die­sem Moment merke ich, dass „víboras“ keine Vögel sein kön­nen und ich wohl gerade gewal­tig ins Fett­näpf­chen getre­ten war. Schnell kor­ri­giere ich mich und erzähle, dass die nicht flie­gen könn­ten, es wohl aber wel­che gebe.

Zu die­sem Zeit­punkt wusste ich nicht, was „víbora“ auf Deutsch bedeu­tete. Als ich das Wort spä­ter im Wör­ter­buch nach­schlage, komme ich mir etwas blöd vor: „Schlange“. In die­sem Moment wird mir bewusst, dass auch Men­schen ohne insti­tu­tio­nelle Bil­dung über unglaub­li­ches Wis­sen ver­fü­gen kön­nen. Denn: An die­sem Abend in einem abge­le­ge­nen Dorf inmit­ten der boli­via­ni­schen Anden hat mich die­ser Mann ein neues Wort gelehrt.

Cate­go­riesBoli­vien
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Hanna Silbermayr

Oft sind es die kleinen Dinge, die uns zum Staunen bringen. Begegnungen und Gespräche, die zum Nachdenken anregen, uns einen Moment innehalten lassen in einer Welt, die sich immer schneller zu drehen scheint, uns ein Lächeln entlocken.

Solche Momente möchte ich nicht für mich behalten, sondern mit Euch teilen. Ich, das ist eine ausgebildete Grafikdesignerin, studierte Romanistin und Politikwissenschaftlerin, die im Namen des Journalismus immer wieder in Lateinamerika unterwegs ist. Demnächst wohnungslos und in stetiger Bewegung.

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