Argen­ti­nien, Okto­ber 2005 | Mexiko, Okto­ber 2009.

Ein­ein­halb Monate bin ich jetzt in Argen­ti­nien. Es ist das erste Mal in mei­nem Leben, dass ich Europa ver­las­sen habe und mich in einer mir frem­den Welt zurecht­zu­fin­den ver­su­che. Mein Spa­nisch ist rudi­men­tär, für die ein­fa­chen Dinge mei­nes neuen All­tags reicht mein Wort­schatz mehr schlecht als recht. Wenn ich vom Vor­ort, in dem ich mit mei­ner Gast­fa­mi­lie lebe, ins 30 Kilo­me­ter ent­fernte Stadt­zen­trum will, fahre ich mit dem Taxi. Das Bus­sys­tem ist für mich undurch­schau­bar und nur wenige Men­schen in die­ser Gegend spre­chen Eng­lisch geschweige denn Deutsch, so dass sie mir wei­ter­hel­fen könnten.

Heute ist wie­der so ein Tag, an dem mir mein Vor­ort zu lang­wei­lig wird und ich in die unend­li­chen Sphä­ren der Mega­me­tro­pole auf­bre­che. Ich bestelle tele­fo­nisch ein Remís, ein Taxi. Kurz nach­dem ich mit mei­ner Gast­fa­mi­lie in Argen­ti­nien ange­kom­men war, beglei­tete ich sie zu einem “Sicher­heits­kurs”, der vom Arbeit­ge­ber mei­nes Gast­va­ters – er hatte im Unter­neh­men eine lei­tende Posi­tion inne – ange­bo­ten wurde. Wir waren alle Aus­län­der, der Gast­va­ter Deut­scher, die Gast­mut­ter Bra­si­lia­ne­rin, die drei Kin­der alle­samt blond und blau­äu­gig – auf­fal­len tun wir defi­ni­tiv. Dort wurde mir ein­ge­trich­tert, es wäre für mich zu gefähr­lich, mit den öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln unter­wegs zu sein, ich sollte diese mei­den. Irgend­wann, als mir bewusst wurde, dass es hier weni­ger um meine, als um die Sicher­heit des Unter­neh­mens ging, igno­rierte ich die­sen Hin­weis. Schließ­lich wollte ich das wahre Argen­ti­nien ken­nen­ler­nen, nicht jenes, das seine Glit­zer­welt durch hohen Mau­ern, Sta­chel­draht und pri­vate Secu­ri­ties von der Außen­welt abschot­tet. Doch zu Beginn mei­nes Lebens in Argen­ti­nien bin ich noch unsi­cher, kenne mich nicht aus und ziehe es des­halb vor, mit dem Taxi in die Stadt zu fah­ren, auch wenn es um Wel­ten teu­rer ist, als die öffent­li­chen Verkehrsmittel.

Das Remís war­tet vor der Haus­türe. Ich steige ein, wir fah­ren los. Es gibt ver­schie­dene Wege, die in die Stadt füh­ren. Man kann auf der Auto­bahn oder aber der Colec­tora, einer Straße neben der Auto­bahn, fah­ren. Der Remissero fragt mich, was mir lie­ber ist. Ich bin mir nicht sicher, was bes­ser ist. Ich weiß, dass man für die Auto­bahn Maut zah­len muss, die Taxi­fahrt würde teu­rer wer­den. Darum sage ich dem Len­ker, die Straße neben der Auto­bahn ent­lang­zu­fah­ren, ich ver­diene nur wenig und so kann ich wenigs­tens etwas Geld spa­ren. Also las­sen wir die Auto­bahn­auf­fahrt hin­ter uns und bie­gen in die Colec­tora ein.

Her­un­ter­ge­kom­mene Häu­ser rasen am Fens­ter vor­bei. Der Taxi­fah­rer betä­tigt die Zen­tral­ver­rie­ge­lung, jetzt kann von außen nie­mand mehr die Auto­tü­ren öff­nen. Ich bin etwas ver­un­si­chert. Ob das eine gute Idee war, neben der Auto­bahn zu fah­ren? Ich ver­su­che, mir meine Zwei­fel nicht anmer­ken zu las­sen, schaue wei­ter aus dem Fens­ter. Wir blei­ben an einer roten Ampel ste­hen. Plötz­lich bemerke ich, dass sich der Remissero bekreu­zigt. Fra­gen schie­ßen durch mei­nen Kopf. Ist diese Gegend so gefähr­lich, dass er Gott anfle­hen muss, dass uns nichts pas­siert? Mir ist etwas bang zumute und ich bin in der Tat sehr erleich­tert, als wir unser Ziel unbe­scha­det erreichen.

Ich sollte die­ser komi­schen Situa­tion wäh­rend mei­ner Zeit in Argen­ti­nien noch öfters begeg­nen. Ich habe nie nach­ge­fragt, wes­halb sich meine Taxi­fah­rer immer und immer wie­der bekreu­zi­gen, wenn wir über die Straße neben der Auto­bahn fah­ren. Erst Jahre spä­ter sollte sich das Rät­sel in Luft auf­lö­sen: In Mexiko bin ich mit einem Freund im Auto unter­wegs. Als wir eine kur­vige Straße ent­lang­fah­ren, bekreu­zigt auch er sich und küsst das Kreuz auf der Kette, die er um sei­nen Hals trägt. Ich frage ihn, wes­halb er das macht, ob die Gegend gefähr­lich wäre. Er schaut mich hei­ter an, beginnt zu lachen und zeigt aus dem Fens­ter. Da steht der Grund der Bekreu­zi­gun­gen: Eine Kir­che. Mir fällt es wie Schup­pen von den Augen, daran hatte ich nie gedacht. Die Geste mei­ner Mit­men­schen, die mir in Argen­ti­nien so oft unru­hige Momente beschert hat, ist simp­ler Aus­druck ihres katho­li­schen Glaubens.

Cate­go­riesArgen­ti­nien Mexiko
Hanna Silbermayr

Oft sind es die kleinen Dinge, die uns zum Staunen bringen. Begegnungen und Gespräche, die zum Nachdenken anregen, uns einen Moment innehalten lassen in einer Welt, die sich immer schneller zu drehen scheint, uns ein Lächeln entlocken.

Solche Momente möchte ich nicht für mich behalten, sondern mit Euch teilen. Ich, das ist eine ausgebildete Grafikdesignerin, studierte Romanistin und Politikwissenschaftlerin, die im Namen des Journalismus immer wieder in Lateinamerika unterwegs ist. Demnächst wohnungslos und in stetiger Bewegung.

  1. sylvia says:

    danke für die auf­klä­rung! ich fahre zwar fast nie taxi, habe das aber auch schon bei fah­rern von coll­ec­tivos in ganz mit­tel­ame­rika beob­ach­tet und war mir nicht ganz sicher, was es damit auf sich hat.
    in boli­vien habe ich kürz­lich auto-„taufen“ beob­ach­tet. die fahr­zeuge wur­den mit alko­ho­li­schen geträn­ken beträu­felt und mit blu­men geschmückt. das sei wohl zum zukünf­ti­gen schutz des fah­rers uns sei­ner pas­sa­giere gedacht, sagte man mir.

  2. Jakob says:

    Schön geschrie­ben!

    Erin­nert mich an meine Zeit in León, Nica­ra­gua. Eine Stadt mit vii­ieelen Kir­chen. Anfangs war ich genauso über­rascht über die­ses Ritual an man­chen Kreu­zun­gen bis mich schließ­lich ein Nica­ra­gua­ner einweihte :)

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