Autor: Markus Steiner
Freedom from Fear
Yangon. Der donnernde Nachtregen ist schon da, als ich im Taxi auf der Rückbank Platz nehme. Das Beifahrerpolster ist zerschlissen, die nackten Spiralfedern springen jetzt im Takt der löchrigen Straße auf und ab. Der warme Regen fällt und fällt und auf dem Asphalt und in den Pfützen spiegeln sich die Nachtlichter.
Im Salon der Nostalgie
Nostalgie ist das Leiden einer ungestillten Sehnsucht. Der Sehnsucht zur Rückkehr. Genauso fühlte ich mich, als endlich die zitternden Lichter Istanbuls sich unter mir regten und ich merkte, was ich hatte. Wir trennten uns im grau gefärbten November. Ich ging, um Afrika zu bestaunen. Ich ging fort und sie blieb.
Nun kehrte ich an die Ufer des Bosporus zurück.
Der Junge, der vom Schreiben träumte
Ich kam nach Melilla, um den Ort zu sehen, wo Träume und Menschen sterben. Aber dann traf ich Timothy, der alles besitzt, was fieberndes Leben ausmacht. Von dem ich lernte, was es bedeutet, zäh zu sein, durstig und voller Hoffnung. Und dass Träume strahlen wollen.
Tag 12: Stille im Raum
Gelegentlich kann ich in der Fremde finden, wonach der Reisende sich sehnt. Sie ist da, verbirgt sich dort, tapfer, beherzt. Wenn alles unverständlich wird, verwirrend und breiig. Wenn man sich retten muss. Dann braucht es ein Zimmer, dessen Besitz man mit niemandem teilt, das man restlos beansprucht.
Das dritte Auge des blinden Mannes
Wenn ich heute zurückblicke, dann hatte ich in meinem Leben Mut mit Sorglosigkeit und Bequemlichkeit mit Glück verwechselt. In Indien gewinnt alles an Kontur und Schärfe. Delhi atmet aus und du das Leben ein: den würzigen, vielschichtigen Duft der Luft in Delhis Gassen, die reinen, natürlichen Geräusche, von Mensch und Tier gemacht, und die unzähligen funkelnden Blicke schwarzer, brauner und grüner Augenpaare, die in deine Augen fallen wollen.
Der alte Mann und Ho Chi Minh
„Wie das ist, wenn man für seine Liebe bestraft wird?“ fragt Son, ohne eine Antwort zu erwarten. Es ist 1954 und entlang des 17. Breitengrades wird Vietnam in wenigen Tagen geteilt werden. In Nord und in Süd. Und nur diese wenigen Tage haben die Menschen im Norden, um zu entscheiden, in welchem Teil ihres Landes sie fortan leben wollen. Eine Wahl, die ein Kampf ist. Manchmal vergessen wir allzu schnell, daß Menschen für ihre Träume und ihr Leben kämpfen müssen. Und manchmal vergessen wir, was wir einmal träumten.
Mit Abdul durch die Nacht
Ich bin bereits sechzehn Stunden unterwegs und es ist weit nach Mitternacht in Kuala Lumpur, als Abdul leise mit seinem Wagen um die Ecke rollt. Verzweifelt, müde und ängstlich muß ich in der Dunkelheit aussehen, während Abdul sein Beifahrerfenster herunterkurbelt und ich in ein freundliches Gesicht herunterblicken kann. Braune Augen schauen über das schwarze, eckige Gestell seiner Brille hinweg. Flott sieht das aus, denke ich. Wie Kevin Kostner in JFK.
Million Baht Baby
Das Treffen von Entscheidungen und die Spekulation bestimmen seit jeher unser Leben und treibt Menschen an. Der Mann mit der Nazi-Frisur sitzt direkt hinter mir. Die Haare sind über den Ohren und am Hinterkopf abrasiert, der Seitenscheitel tut, was ein Scheitel tun muß. Das freundliche Gesicht ist verzerrt. Der Thai blickt zu mir herüber und lacht mich verschmitzt und ohne Zähne an. Auf seinem Schoß liegt eine offene, grüne Kiste, die aussieht, wie ein alter Zigarrenkasten. In der Kiste liegen sechs unterschiedliche, schwarze Mobiltelefone.
Alptraum Dellywood
Nur die nackten Füße des Mannes sind zu sehen. Das übrige Inventar seines Körpers – verborgen. Wie von einem riesigen, gefräßigen Haifischmaul aus Stahl verschluckt. Der Bus, unter dem der Mann nun begraben ist, soll uns eigentlich an diesem frühen Morgen von Delhi nach Agra kutschieren: Die Schönheit des Taj Mahal will bewundert werden!