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Auf der Suche nach der ver­lo­re­nen Stadt

Vor eini­gen Jah­ren war die Sierra Nevada de Santa Marta noch Gue­ril­la­zone und Anbau­ge­biet von Dro­gen, heute ist der Dschun­gel nahe der Kari­bik­küste das Ziel von tau­sen­den Tou­ris­ten jähr­lich. Der Grund: Tief im grü­nen Dickicht liegt die lange Zeit ver­ges­sene Rui­nen­stadt Ciu­dad Per­dida. Über einen kräf­te­zeh­ren­den und her­aus­for­dern­den Trek, dem auch wir uns gestellt haben, ist die „ver­lo­rene Stadt“ der Tay­rona-India­ner zu erreichen. 

Die Wan­de­rung durch die Sierra Nevada de Santa Marta zu einer alten Rui­nen­stadt des indi­ge­nen Vol­kes Tay­rona, die als Ciu­dad Per­dida („Die ver­lo­rene Stadt“) bekannt ist, kann aus­schließ­lich als orga­ni­sierte Tour über Agen­tu­ren mit lizen­zier­ten Rei­se­füh­rern unter­nom­men wer­den. Und trotz des saf­ti­gen Prei­ses, die die Rei­se­ver­an­stal­ter für die vier­tä­gige Dschun­gel-Wan­de­rung ver­lan­gen, las­sen wir es uns nicht ent­ge­hen, uns auf die Suche nach der „ver­lo­re­nen Stadt“ zu begeben.

Tag 1: Erst Hitze‑, dann Schlammschlacht

Es ist heiß, als der aus der Stadt Santa Marta kom­mende Jeep um die Mit­tags­zeit in der Ort­schaft Mamey zum Ste­hen kommt. Unsere Rück­sä­cke wer­den vom Dach des Gefährts abge­la­den. Der Schweiß rinnt den Hel­fern von der Stirn. Pferde wer­den zeit­gleich mit Säcken vol­ler Lebens­mit­tel bela­den. Sie schnau­fen. Auf­grund der Last. Viel­leicht aber auch wegen der Hitze.

Auch den Mit­glie­dern unse­rer Tour­gruppe – neben uns sind es sechs Fran­zo­sen sowie zwei Ame­ri­ka­ner – ste­hen die drü­cken­den Tem­pe­ra­tu­ren bereits ins Gesicht geschrie­ben. Unse­rem Guide Sixto fällt dies auf. „Ihr seht schon ganz schön geschafft aus. Aber eigent­lich wird es ja gleich erst anstren­gend“, sagt er amü­siert auf Spa­nisch. Andi, ein von der Rei­se­agen­tur beauf­trag­ter Dol­met­scher, über­setzt umge­hend ins Eng­li­sche. Wir sind erstaunt. Nicht über das eben Gesagte. Das ist uns durch­aus bewusst. Son­dern über die­sen Ser­vice. Denn einen sol­chen haben wir bis jetzt bei kei­ner der zahl­rei­chen Tou­ren in Süd­ame­rika, die wir unter­nom­men haben, erlebt. Wir ver­ges­sen kurz die Hitze.

Als wir unsere Wan­de­rung star­ten, ist sie aber schlag­ar­tig wie­der all­ge­gen­wär­tig. Die ers­ten Meter hin­ein in den kolum­bia­ni­schen Dschun­gel fal­len uns schwer. Wir gewöh­nen uns aber all­mäh­lich daran, ler­nen mit den wid­ri­gen äuße­ren Bedin­gun­gen umzugehen.

Nach kur­zer Zeit müs­sen wir bereits einen Fluss über­que­ren. Dicke Fels­bro­cken befin­den sich im Was­ser, sodass wir mit tro­cke­nen Füßen an die andere Seite des Gewäs­sers gelan­gen. Dies ändert sich aber schnell. Wenig spä­ter pras­seln näm­lich Regen­trop­fen auf uns nie­der. Erst ver­ein­zelt. Dann immer stär­ker. Schließ­lich schüt­tet es wie aus Eimern.

Wenige Minu­ten spä­ter hat sich der stau­bige Wan­der­weg, der durch die grüne Hügel­land­schaft führt, in eine rut­schige Matsch­piste ver­wan­delt. Der rote, leh­mige Boden setzt sich unter unse­ren Wan­der­schu­hen fest. Es ist glit­schig. Selbst bei einem lang­ge­zo­ge­nen Anstieg und auf dem ebe­nen Teil der Stre­cke sind unsere Schritte nicht mehr ganz so sicher.

Schließ­lich geht es bergab, steil nach unten. Mitt­ler­weile befin­den wir uns in einem Gedränge aus Tou­ris­ten. Denn nicht nur wir sind auf der Suche nach der Ciu­dad Per­dida, son­dern auch andere Grup­pen sind in die­sem Moment unter­wegs. Häu­fig schlit­ternd. Einige so, als ob sie auf Ski­ern ste­hen wür­den. Sie lan­den mit ihren Hin­tern oder Knien auf dem schlam­mi­gen Unter­grund. Immer wie­der. Ver­zweif­lung spricht aus vie­len Gesich­tern. Einige neh­men es mit Humor, grin­sen. Wie­derum andere ver­su­chen, nach einem Sturz schnellst­mög­lich wie­der auf die Beine zu kom­men. So, als ob nichts pas­siert wäre. Die ver­dreck­ten Hosen ver­ra­ten sie aber.

Auch uns fällt es äußerst schwer, das Gleich­ge­wicht zu hal­ten. Des­we­gen haben wir uns nun je einen Wan­der­stock aus dem Dickicht besorgt. Dies erleich­tert das Wan­dern auf die­sem her­aus­for­dern­den Unter­grund. Trotz­dem erwischt es Daniela eben­falls: Sie rutscht weg, fällt, fängt den Sturz aber gut ab und hat somit nur wenige Matsch­spu­ren an ihrem Bein.

Am spä­ten Nach­mit­tag errei­chen wir letzt­end­lich das Camp für die erste Nacht. Offene, ein­fa­che Hüt­ten fin­den wir vor. Hoch­bet­ten – umhüllt von Mos­ki­to­net­zen – ste­hen für uns bereit. Zudem fließt ein Fluss durch die Anlage. An einer Stelle gibt es einen Was­ser­fall, den wir hin­un­ter­sprin­gen und zur Beloh­nung des müh­sa­men Tages im küh­len Was­ser schwim­men, bevor wir das Abend­essen ser­viert bekom­men und danach früh den Tag schla­fend beenden.

Tag 2: Vor­bei an India­ner­dör­fern im nebel­um­han­ge­nen Urwald

Dun­kel­heit umhüllt uns, als wir von unse­rem Guide Sixto aus unse­ren Träu­men geris­sen wer­den. Wir schauen auf die Uhr. Um fünf Uhr am frü­hen Mor­gen set­zen wir die Tour fort. Zuerst sind wir wegen der unan­ge­neh­men Uhr­zeit noch etwas mür­risch. Dies ändert sich aber schnell. Denn der Mor­gen ist der ideale Zeit­punkt, um sich wei­ter in die Sierra Nevada de Santa Marta hin­ein­zu­be­we­gen. Es ist noch nicht drü­ckend schwül. Zusätz­lich ist der Son­nen­auf­gang über dem nebel­um­han­ge­nen Urwald ein Augenschmaus.

Es geht einen Hügel hin­auf. Auf Fel­dern gra­sen Rind­vie­cher. Rie­sige Pflan­zen wuchern. In die­ser Region wur­den vor eini­gen Jah­ren noch Dro­gen ange­baut. Gue­ril­las zogen durch diese Gegend. Jetzt sind wir hier unter­wegs – und bestau­nen trotz all der Mühen der Wan­de­rung die üppige Vege­ta­tion des Dschungels.

Gegen neun Uhr set­zen wir unsere Füße in ein wei­te­res Camp. Dort steht für uns ein Früh­stück bereit. Wir stär­ken uns, schließ­lich liegt noch ein ordent­li­cher Marsch vor uns.

Die­ser führt uns vor­bei an einem India­ner­dorf aus Hüt­ten. Diese bestehen aus Bam­bus und Stroh. Einige Ein­hei­mi­sche begeg­nen uns. Sie tra­gen weiße Klei­dung – die Män­ner Hem­den und Hosen, die Frauen Klei­der. Und die meis­ten Bewoh­ner haben die für diese Region typi­schen Umhän­ge­ta­schen umge­wor­fen, deren Mate­rial aus einer Pflanze gewon­nen wird und die auch im rest­li­chen Kolum­bien zu erwer­ben sind. Auch mir gefal­len diese sehr. Das Pro­blem ist der Preis. Zu teuer. Schlecht für mich.

Gut ist jedoch, dass wir heute vor dem Nach­mit­tags­re­gen in unse­rer Unter­kunft sind. Tro­cken. Aber müde. Schon jetzt sind wir bereit für die Nacht.

Tag 3: Mit­ten im Dschun­gel ent­de­cken wir die mys­ti­sche Stätte der Tayrona-Indianer

Wie­der um fünf Uhr mor­gens geht es aus den Federn. Eine Wan­de­rung zur „ver­lo­re­nen Stadt“ beinhal­tet also frü­hes Auf­ste­hen – das ist uns spä­tes­tens jetzt klar.

Außer­dem umfasst die Tour auch die Über­que­rung des rei­ßen­den Flus­ses Buritaca. Wir zie­hen unsere Wan­der­schuhe aus – und waten durch das schnell flie­ßende Was­ser. Ein Seil ist von einem zum ande­ren Fluss­ufer gespannt. Tou­ris­ten kön­nen sich, wenn sie möch­ten, daran fest­hal­ten. Ich über­lege dies auch kurz, schaffe es schließ­lich aller­dings auch ohne die­ses Hilfs­mit­tel wohl­be­hal­ten hinüber.

Eine Treppe führt dann den Berg hoch, wie­der hin­ein in den ver­wor­re­nen Dschun­gel. Rund 1.200 Trep­pen­stu­fen, die schmal und mit Moos bewach­sen sind. Stufe für Stufe quä­len wir uns nach oben. Die Mus­ku­la­tur in unse­ren Ober­schen­keln brennt. Erin­ne­run­gen an das Trep­pen­stei­gen nach Machu Pic­chu schie­ßen durch unsere Gedan­ken. Der Auf­stieg zur ehe­ma­li­gen hei­li­gen Inka-Stätte in Peru war här­ter, aber auch die letz­ten Meter zur mys­ti­schen Stätte der Tay­rona-India­ner ver­langt uns eini­ges ab.

Schließ­lich lie­gen jedoch die etwa 200 ova­len und run­den Ter­ras­sen der Ciu­dad Per­dida vor uns und kön­nen von uns aus­gie­big aus­ge­kund­schaf­tet wer­den. Neben dem eben erwähn­ten Machu Pic­chu ist dies eine der größ­ten wie­der­ent­deck­ten prä­ko­lum­bia­ni­schen Städte Südamerikas.

Im unte­ren Bereich des Rui­nen­kom­ple­xes trom­melt unser Guide Sixto die Gruppe erst ein­mal zusam­men – und gibt Hin­ter­grund­wis­sen über die „ver­lo­rene Stadt“ an uns wei­ter. Er erläu­tert, dass die vor eini­gen Jahr­hun­der­ten errich­tete Ciu­dad Per­dida erst 1975 von Grab­räu­bern wie­der­ent­deckt wurde, die diese lange Zeit ver­ges­sene Stätte geplün­dert haben. Erst spä­ter schickte die Regie­rung Kolum­bi­ens eine archäo­lo­gi­sche Expe­di­tion auf die Reise in den Dschun­gel, um die Ciu­dad Per­dida vor dem Ver­fall zu schüt­zen. Und heut­zu­tage? Heute wird die ehe­ma­lige Stadt täg­lich von Tou­ris­ten „wie­der­ge­fun­den“. Wie auch von uns.

Erneut müs­sen wir Stu­fen nach oben kra­xeln, da der Höhen­un­ter­schied zwi­schen den ein­zel­nen Ter­ras­sen teil­weise viele Meter beträgt. Am Ende unse­rer Ent­de­ckungs­reise durch die Ciu­dad Per­dida befin­den wir uns – neben zwei Sol­da­ten, die ganz ent­spannt nach dem Rech­ten schauen – sogar auf der obers­ten die­ser Platt­for­men. Auf bei­den Sei­ten sind die Dschun­gel­hänge zu sehen. Und genau vor uns liegt der zen­trale hei­lige Platz der Ciu­dad Per­dida. Der Lohn für die Mühen der letz­ten Tage.

Zum Abschluss besu­chen wir noch eine in der „ver­lo­re­nen Stadt“ ansäs­sige India­ner­ge­mein­schaft. Wir haben sogar eine kurze Audi­enz bei ihrem Häupt­ling. Er über­gibt jedem von uns ein dün­nes Arm­band. Es soll uns auf unse­ren wei­te­ren Rei­sen beschüt­zen, erklärt er bei­läu­fig. Das kann nicht scha­den, denke ich mir, als wir im Anschluss daran die Ciu­dad Per­dida verlassen.

Tag 4: Mein Kör­per gewinnt den Kampf gegen mich – aber nur fast 

Die „ver­lo­rene Stadt“ haben wir also tief im Dschun­gel aus­fin­dig gemacht. Vor­bei ist die Tour aber noch lange nicht. Denn der Rück­weg nach Mamey, wo die Wan­de­rung gestar­tet ist, steht uns noch bevor.

Und der hat es in sich. Und das nicht nur, weil es den iden­ti­schen Dschun­gel­pfad wie­der zurück­geht. Son­dern auch, weil ich mich am vier­ten und letz­ten Tag der Tour rich­tig mies fühle. Jeder Schritt ist Schwerst­ar­beit für mich.

So schleppe ich mich recht müh­sam vor­wärts. Ins­be­son­dere auf den Pas­sa­gen, die berg­auf ver­lau­fen, muss ich auf die Zähne bei­ßen. Nach eini­gen Stun­den schaffe ich es aber den­noch, ich pas­siere die ers­ten Häu­ser des Ortes Mamey.

In mei­nem erschöpf­ten und aus­ge­laug­ten Zustand freue ich mich sehr über den Anblick des im Dorf auf uns war­ten­den Gelän­de­wa­gens, der uns zurück nach Santa Marta bringt. Dort war­tet schließ­lich ein Bett auf mich. Und das kann ich nach der kräf­te­zeh­ren­den Tour zur Ciu­dad Per­dida gebrauchen.

Cate­go­riesKolum­bien
Christian & Daniela

Christian und Daniela tauschten ihren durchgeplanten Alltag in Deutschland gegen die ungewisse Freiheit einer langen Reise durch das holprig-schöne Südamerika. Langweilig wird es dem Journalisten und der (Hobby-)Fotografin dabei nicht. Denn im kunterbunten Ländermix des Abenteuerkontinents wandern sie über die längste Gebirgskette der Erde, verlaufen sich in Megastädten, schippern über den mächtigsten Strom der Welt und verschwinden tief im grünen, verworrenen Dschungel. Und da sie denken, dass sie nicht nur alleine etwas von diesen Erlebnissen haben sollten, drücken sie so oft wie möglich auf den Auslöser ihrer Kamera und tippen fleißig in die Tastatur ihres Laptops. Das Ergebnis: Geschichten von einer Reise.

  1. Enrico says:

    Hallo Daniela, hallo Christian!

    Zunächst herz­li­chen Dank für euren tol­len Bericht. Da meine Freun­din und ich im kom­men­den August eben­falls Kolum­bien berei­sen wer­den, möch­ten wir auch gerne die Ciu­dad Per­dida „erklim­men“. Könnt ihr uns ggfs. euren Tou­ren­ver­an­stal­ter emp­feh­len? Wenn ja freuen wir uns über einen Link /​ die Kontaktdaten. 

    Danke und viele Grüße aus Stuttgart

    Enrico

    1. Hallo Enrico, lei­der kön­nen wir uns nicht mehr erin­nern, wie der Rei­sen­an­bie­ter heißt, mit dem wir die Tour gemacht haben. Gebucht haben wir die Tour in der Stadt Santa Marta. Dort gibt es viele Agen­tu­ren, die diese Tour anbie­ten. Wir wün­schen Euch viel Spaß in Kolumbien!

  2. leila says:

    die Bil­der sind wirk­lich sehr beein­dru­ckend. Die Ciu­dad Per­dida scheint viel Kul­tur und Span­nung zu ver­spre­chen, das merk ich mir :) liebe Grüße aus Kastelruth

  3. Sehr schö­ner Bericht. Die ver­lo­rene Stadt muss ich auch drin­gend noch erkun­den. Damals dachte ich, nur zwei Wochen in Kolum­bien zu blei­ben und für einen sol­chen Mehr­ta­ges-Trip keine Zeit zu haben. (Ich blieb letzt­lich zwei Monate.) Die Ciu­dad Per­dida ist einer der Gründe zurück­zu­kom­men und dank euch, weiß ich, was mich erwartet.

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